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Ab unter den Meeresboden

Immer mehr Treibhausgase und immer weniger Zeit, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Die Bundesregierung möchte dieses Problem jetzt durch Carbon Capture and Storage (CCS) lösen, also durch die industrielle Abtrennung und anschließende unterirdische Speicherung von Kohlendioxid. Aber wie funktioniert das? Warum steht das Verfahren gerade jetzt im Fokus? Und welche Hindernisse stehen dem CCS im Weg?
THE, 01.03.2024
Symbolbild Carbon Capture

© Dmitry-Kovalchuk, iStock

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will das Klima retten. Dafür hat er in der letzten Zeit bereits verschiedene Gesetzesentwürfe auf den Weg gebracht. Der nächste Schritt: Er will CCS-Verfahren, also die industrielle Abtrennung und anschließende Speicherung des Treibhausgases Kohlendioxid im Untergrund, in Deutschland einführen. Derzeit ist die Untergrund-Speicherung von CO2 hierzulande nur zu Forschungszwecken erlaubt. Das soll sich nun ändern.

Wozu brauchen wir CCS?

Hintergrund des plötzlichen Sinneswandels des Grünen-Spitzenpolitikers ist die tickende CO2-Uhr. Bis das CO2 Budget aufgebraucht ist, mit dem das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens noch erreicht werden könnte, bleibt nicht mehr viel Zeit. „Das zeigt, dass jede eingesparte Tonne Kohlendioxid umso wichtiger ist, weil das Budget so extrem knapp ist“, betont Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln. Deutschland hat zudem ohnehin Schwierigkeiten, die selbstgesteckten Klimaschutzziele zu erreichen. Mittels CCS ließe sich dies zumindest teilweise ausgleichen – indem man das erzeugte CO2 im Untergrund „verschwinden lässt“ statt es in die Atmosphäre freizusetzen.

Vor allem bei schwer oder nicht vermeidbarer Emissionen, wie sie in der Stahl- oder Zementindustrie entstehen, sollen die Verfahren genutzt werden. „Carbon Capture und Nutzung ist buchstäblich die einzige skalierbare Technologielösung, um starke Emissionsminderungen bei der Zementproduktion zu erzielen“, heißt es in einem aktuellen Bericht der International Energy Agency (IEA). Zwei Drittel des dort anfallenden Treibhausgases sind chemisch bedingt. Sie können daher kaum vermieden werden.

Die norwegische Gasförderplattform "Sleipner".
Die norwegische Gasförderplattform "Sleipner".

 Raus aus der Fabrik, rein in den Meeresboden

Die überschüssigen Treibhausgase sollen aus den Abgasen der Industrieprozesse abgetrennt und anschließend im Untergrund der Nordsee gespeichert werden. Dazu Habeck: „Wir werden auch die Offshore-Speicherung erlauben; Meeresschutzgebiete nehmen wir aber aus. Mit der Erlaubnis schließen wir zu unseren europäischen Nachbarn wie Norwegen und vielen weiteren Staaten auf.“ Dabei nimmt er Bezug unter anderem auf das sogenannte Sleipner-Gasfeld vor der norwegischen Küste: Dort fördert der norwegische Ölkonzern Statoil Erdgas, im Gegenzug pumpt er mittels CCS jährlich mehr als eine Million Tonnen CO2 in den Untergrund.

Um das CO2 aus den Emissionen zu entfernen, bevor es in die Atmosphäre gelangt, fängt man es vor Verlassen des Schornsteins aus dem Abgasstrom der Fabrik auf und trennt es direkt ab. Um die Abscheidung möglichst effektiv und energieeffizient zu gestalten, erforschen Wissenschaftler unterschiedliche Methoden der CO2-Abscheidung. Eine davon ist die Nutzung von Membranen, die ausschließlich CO2 passieren lassen oder von Materialien, die selektiv CO2 binden. Doch auch bestimmte Gesteinssorten im Untergrund können Kohlendioxid chemisch fixieren.

Poröse Sandsteingeschichten als „Schlafzimmer“ für ungewolltes CO2

Der nächste Schritt ist die Speicherung des abgetrennten Kohlendioxids im Untergrund. Dafür müsste man das CO2 per Pipeline zu Pumpplattformen vor die deutsche Küste transportieren. Dort wird es über eine Bohrung mindestens zwei Kilometer unter den Meeresboden gepresst. Die Sandgestein-Schichten in den Tiefen der Nordsee stellen laut Experten einen optimalen CO2-Speicherungsort dar. „Geeignete Speichergesteine haben genügend Poren, in denen Fluide wie Gas, Formationswasser oder Öl zirkulieren können. Wenn CO2 injiziert wird, verdrängt es diese Fluide aus dem Porenraum“, erklärt das Exzellenznetzwerk CO2GeoNet.

Auf dem Meeresgrund haben sich Sedimentgesteine wie Ton, Sandstein oder Gips in Schichten übereinander abgelagert. Dabei wechseln sich durchlässige Formationen mit undurchlässigen Gesteinen ab. Letztere können als Barriere wirken, die ein Austreten der eingeschlossenen Treibhausgase verhindert. Leitet man das CO2 in poröse Basaltgesteine ein, kann es sich dort im Laufe der Zeit in Carbonatgestein wie Kalk umwandeln. „Diese Carbonate bleiben über Tausende von Jahren stabil und können daher den Kohlenstoff nahezu dauerhaft speichern“, berichtet Sandra Snæbjörnsdóttir vom isländischen Energiekonzern Orkuveita Reykjavíkur. 

Entweichendes CO2 und andere Geschichten

Obwohl sich Experten einig sind, dass die CCS-Technologie für die Emissionsreduktion in einigen Bereiche wahrscheinlich unverzichtbar ist, sind viele Ansätze für Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid technisch noch kaum ausgereift. „CCS ist mit vielen Risiken und Unsicherheiten behaftet und muss sehr begrenzt und nur gezielt eingesetzt werden. Die Technologie ist verbunden mit sehr ernsten Gefahren für die Meere und die nachfolgenden Generationen, auf die die Speicherung abgeschoben wird“, sagt dazu Heike Vesper vom WWF.

Viele Umweltschützer wie Vesper befürchten, dass das gespeicherte CO2 durch Leckagen aus dem Untergrund entweichen könnte. Folgen wären unter anderem Schäden im Ökosystem und eine geringere Artenvielfalt am Meeresboden. Das CO2 könnte auch salzige Lauge, die sich in einigen Sedimentgesteinsformationen angelagert hat, ins Meerwasser verdrängen. Im schlimmsten Fall könnte die Lauge bis in oberflächennahe Grundwässer und an die Erdoberfläche gelangen und diese versalzen.

CO2-emissionsarme Pilotanlage Schwarze Pumpe
Technisches Neuland: Die emissionsarme Pilotanlage Schwarze Pumpe wurde zwischen 2006 und 2014 betrieben.

Stromfresser CCS

Und es gibt ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur CCS-Idylle: Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2 benötigen große Mengen Energie. Aus fossilen Quellen darf der benötigte Strom jedoch nicht stammen, denn bei der Verbrennung von Kohle oder Gas würde wiederum CO2 in die Atmosphäre freigesetzt werden. Dann hätte man nichts gewonnen. Der Strom für die CCS-Prozesse muss also aus erneuerbaren Energieträgern, wie Solarkraft oder Windrädern, stammen.

Doch selbst ohne den Einsatz stromhungriger CCS-Anlagen kann Deutschland seinen Strombedarf derzeit nicht durch Solar- und Windkraft stillen. Im Gegenteil: Im Jahr 2023 kam nur knapp die Hälfte des nationalen Energieverbrauchs aus grünen Quellen. Würde man den Plan des Wirtschaftsministers sofort umsetzen, müssten Teile des Stroms für CCS also aus fossilen Energieträgern stammen. Dass das nicht geht, weiß auch die Bundesregierung. Deshalb proklamiert sie den „beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien“ zur Stromversorgung der CCS-Technologien. Ob das reichen wird, bleibt abzuwarten.

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