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“Mein schönes Leben“ – Manfred Krug im Interview
Manfred Krug, in Ost und West gleichermaßen beliebter Schauspieler und – weniger bekannt – Jazz-Musiker, gibt Auskunft über seine Lebenserinnerungen, die unter dem Titel “Mein schönes Leben“ jüngst erschienen sind.
“Bring es raus, Manfred“
FRAGE: “Verlage hoffen mit dicken
Namen und dünnen Stoffen auf einen heißen Herbst“, schrieb
der STERN vor zwei Wochen. Es fällt tatsächlich auf, dass in diesem
Herbst auffällig viele Promi-Biographien oder als Biografie verpackte
Bücher erscheinen. Herr Krug, wieso erscheinen gerade jetzt Ihre Jugenderinnerungen „Mein
schönes Leben“?
MANFRED KRUG: Kein Kalkül.
Ich habe nur gedacht: Wenn das Buch fertig ist, bring es raus, Manfred. Und
da ist es.
FRAGE: Sie beschreiben Ihre Erlebnisse
aus Bombenkrieg, Flucht, russischer Besatzung und Nachkriegszeit in Duisburg
und später in der neu gegründeten DDR. Was war am Leben in dieser
Zeit für Sie so schön?
MANFRED KRUG: Für
mich als Kind war die Trümmerlandschaft schön. Die ganze Welt ein
einziger Abenteuerspielplatz. Schwache Autoritäten, nur wenige strenge
Väter waren aus dem Krieg zurück, die Jugendfürsorge war noch
eine hilflose Behörde. Im Westen gab es richtige Engländer zu sehen,
im Osten richtige Russen. Spannend. Und plötzlich gab es Jazzmusik.
FRAGE: Ihre Erinnerungen lesen sich in erster Linie als „Opfer-Erinnerungen“,
weil Sie im Wesentlichen Begebenheiten aus dem privaten Umfeld schildern.
Im Gegensatz zu Ihrem ersten Buch „Abgehauen“ gehen Sie in diesem
Buch selten über das Anekdotische hinaus. Ist über Naziverbrechen
und Wiederaufbau der beiden deutschen Staaten aus Ihrer Sicht genug gesagt?
MANFRED KRUG: Ja. Ich weiß viel über die Naziverbrechen.
Ich wollte Begebenheiten erzählen, die was mit meinem Leben zu tun haben.
Darin spiegeln sich für meinen Geschmack ausreichend die politischen
Verhältnisse.
FRAGE: Die Schilderung der
russischen Besatzung erinnert an das in diesem Frühjahr wiederentdeckte „Tagebuch
vom 20. April bis 22. Juni 1945“, in dem eine anonyme Journalistin ihre
Erlebnisse in der sowjetischen Zone Berlins protokolliert, insbesondere die
Vergewaltigungen durch russische Soldaten. Auffällig ist der nüchterne
Stil dieser „Anonyma“. Sie haben als Kind auch beides erlebt:
Gewalt und prosaische Haltung. Als Ihre Tante Hilde mit der Tochter Ilonka
nach Hause kam, kommentierte Ihre Oma Lisa lediglich: „Da wird nicht
gerade Iwan der Schreckliche ihr Papa gewesen sein“. Haben Sie auch
die Erfahrung gemacht, dass im Überlebenskampf „keine Zeit war
für komplizierte Beschreibungen“ und ist Ihre Sprache aus den gleichen
Gründen so einfach?
MANFRED KRUG: Vor allem
ist meine Sprache deshalb so einfach, weil sie jeweils mit dem adäquaten
Vokabular des aufwachsenden Menschen auskommt, den ich beschreibe und der
ich selbst bin. Deshalb erzähle ich im Präsenz.
FRAGE: Immerhin greifen Sie zu einem literarischem Kunstgriff
und stellen sozusagen als Leitmotiv die Geschichte von Ihrer taub-stummen
Ur-Oma über Ihre Erinnerungen. Warum haben Sie Johannas Geschichte derartig
hervorgehoben und welche Bedeutung hatte diese Frau für Sie?
MANFRED KRUG: Nix für ungut: das muss ich nicht erklären.
Das steht im Text. Ein stummes Fräulein, das vier Kinder von vier verschiedenen
und bald verschwundenen Männern großzieht. Wenn das keine Geschichte
ist. Herausgehoben erscheint sie nur, weil ich für diese wiederkehrende
Rückblende den schlichten Kinderton verlasse. Und ich bin froh, das mir
das so gut gelungen ist. Ich kenne die Frau nicht, als ich auf die Welt kam,
war sie lange tot.
FRAGE: Trotzdem war Ihre
Oma Lisa die wichtigste Person in Ihrer Jugend. Für die sind Sie sogar
als Junge mit dem Fahrrad von Leipzig über die Grenze nach Duisburg gefahren.
Sie beschreiben Oma Lisa unter anderem als eine Frau mit „feinem Dialekt
und feinen Gefühlen“, als „fleißig und fromm“.
Was hat Oma Lisa Ihnen gegeben, was Sie von Ihren Eltern nicht bekommen konnten?
MANFRED KRUG: Sie hat mich geliebt. Sie hat an mich geglaubt.
Ohne dass sie es wusste (und ohne dass ich es wusste) hat sie mich ermutigt.
Dieser Schub hat für ein ganzes Leben angehalten. Wenn sie nicht gewesen
wäre, hätte es den Schauspieler Krug nicht gegeben.
FRAGE: Trotz der frommen Oma Lisa, sind Sie Ihrer Meinung nach
kein Christ geworden. Konnten Sie sich nicht für eine bestimmte Religion
entscheiden oder war Ihnen etwas anderes am Christ-Sein suspekt?
MANFRED KRUG: Vielleicht bin ich kein Christ geworden, weil es
mir von Kindheit an schwer fiel, an den lieben Gott zu glauben. Aber die Bibel
habe ich freiwillig gelesen, und sie hat mir geholfen, mich gegen andere über
weite Strecken wie ein Christ zu benehmen.
FRAGE: Als
Ihre Eltern sich trennten, kamen Sie zum Vater, Ihr Bruder Roger blieb zunächst
bei der Mutter. Und weil Ihr Vater als Ingenieur keine Arbeit in Duisburg
fand, sind Sie beide in die „Ostzone“ gegangen. Das war damals
eher unüblich, zumal Ihr Vater ja keine politischen Motive hatte. Sie
sind dann in beiden deutschen Staaten zur Schule gegangen - im Westen
haben Sie alles über Germanen, Deutsche Kaiser und Schmetterlingsblütler
gelernt und lateinische Vokabeln gepaukt. In der DDR-Schule gabs stattdessen
Klassenkampf, Filme über Konzentrationslager, Lehren vom Genossen Stalin
und Russisch. Trotzdem wollten Sie kein Pionier werden. Aus Opposition zur
DDR oder warum?
MANFRED KRUG: Ich wollte immer ein
freier Mensch sein. Das Wort „Massenorganisation“ war mir zuwider.
Ich hatte immer Angst, in eine Partei einzutreten. Wenn schon, dann wollte
ich deren Programme erfüllen, und ich dachte, das schaffe ich nicht.
Politiker konnte ich nicht werden, weil ich glaubte, dass Politiker hochmoralische
Menschen sein sollten. Und ich fürchtete, dass es damit bei mir nicht
gut genug bestellt war.
FRAGE: Sie waren sehr
eifersüchtig auf Ihren Bruder Roger, der mit seinen blonden Locken besonders
Ihren Vater entzückte. Später haben Sie beim weihnachtlichen Krippenspiel
in der Kirche nicht nur Ihre Oma mit Ihrem engelsgleichen Sopran zu Tränen
gerührt. Wie gings nach diesem Anfang mit Ihrer Sänger-Karriere
weiter?
MANFRED KRUG: Nach dem Stimmbruch war der
Sopran weg. Es kam ein passabler Bariton zum Vorschein. Obwohl viele Kulturfunktionäre
in der DDR den Jazz als dekadentes, amerikanisches Gejaule ablehnten, gab
es dort immer ein Publikum dafür. Ich sang Schlager und Songs aller Art,
die jazzinspiriert waren, machte Schallplatten mit Meinhard Lüning, Klaus
Lenz, Günter Fischer, und schließlich sang ich sechs Jahre lang
den „Sporting Life“ in „Porgy and Bess“ an der Komischen
Oper zu Berlin. Das wusste im Westen kaum jemand und die Leute kauften, nachdem
ich hier war, lange Jahre keine Platten von mir.
FRAGE:
Seit einigen Jahren treten Sie wieder als Sänger auf. Mit
so großem Erfolg, dass Ihre Fans voller Anerkennung von der „großen
real existierenden Jazzmusik“ sprechen. Gibts für Sie einen
inneren Zusammenhang zwischen Ihrer Kunst und Ihrer DDR-Zeit?
MANFRED KRUG: Zu den schönsten Kulturerfindungen des amerikanischen
Brudervolks gehört für mich der Jazz. Dafür braucht man ein
gewisses „Feeling“. Das kann man nicht lernen, man erbt es, also
ist es ein Gottesgeschenk. Und ich dachte, wenn du es schon hast, dann nutze
es. An Kunst habe ich gar nicht gedacht. Meine Tochter Fanny hat es auch geerbt,
deshalb singe ich mit ihr zusammen auf der neuen CD „Sweet Nothings“
vierzehn Stücke aus der besten Zeit. Es ist zwar kein reiner Jazz, aber
gut ist es doch.
FRAGE: Ihr erstes Buch „Abgehauen“
ist ein Tagebuch. Sie beschreiben darin die Zeit vom November 1976, als elf
namhafte DDR-Künstler eine Resolution gegen die Ausweisung von Wolf Biermann
aus der DDR unterschrieben, bis zu Ihrer eigenen Ausreise 1977. Das Buch enthält
vor allem das Protokoll eines Streits zwischen drei hochrangigen DDR-Funktionären
und Stefan Heym, Jurek Becker, Christa Wolf, Angelica Domröse und Ihnen.
Sie haben damals widerrechtlich ein Tonband mitlaufen lassen - ein höchst
riskanter Akt zivilen Ungehorsams. Warum haben Sie das damals getan, denn
dieser aufrechte Gang war doch nicht nur für Sie gefährlich? Hat
Ihnen Oma Lisa diese Haltung beigebracht?
MANFRED KRUG: Es
war wohl ein bisschen einfacher. Ich dachte, die Chance kommt nie wieder,
ein spannendes Gespräch heimlich aufzunehmen, in dem sozusagen der Anfang
vom Ende der DDR sich abzeichnet. Die Ängste, die ich dabei ausgestanden
habe, sind in dem Buch selbst beschrieben. Die Tat war frech, es hätte
dumm ausgehen können. Vielleicht steckte in diesem Moment gar ein kleiner
Journalist in mir, der im entscheidenden Moment nicht lange an die möglichen
Konsequenzen denkt.
FRAGE: Wie stehen Sie heute
zu Wolf Biermann und Angelika Domröse? Und was halten Sie von der derzeitigen
Ostalgie-Welle?
MANFRED KRUG: Mit Biermann habe
ich lockeren Kontakt. Ich höre seine Lieder, lese seine Gedichte und
Artikel und werde nie den Mut vergessen, den er in größter Bedrängnis
an den Tag gelegt hat. Die Domröse habe ich lange nicht gesehen. Schade.
Ich wollte ihr immer mal sagen, wie sehr ich ihre Kraft bewundere, mit der
sie sich vom Alkohol losgelöst hat. Die Ostalgie-Welle ist schon OK.
Halt eine von vielen Wellen.
FRAGE: Als Kind haben
Sie „Robinson Crusoe“ geradezu verschlungen, weil dieses Buch
das Einzige war, was, neben Ihrer Oma, Ihre Einsamkeit trösten konnte.
Was sollen Ihre Bücher bewirken und wovon wird Ihr nächstes Buch
handeln?
MANFRED KRUG: Meine Bücher sollen
unterhalten. Es soll Freude machen, sie zu lesen. Und wenn hier und da eine
Erkenntnis abfällt, soll es mir recht sein. Da ich mit “Mein schönes
Leben“ nicht so weit gekommen bin, wie ich wollte, schreibe ich vielleicht
den zweiten Teil. Denn was noch fehlt, ist die „Karriere“.
FRAGE: Und was ist Ihr Literaturtipp für diesen Herbst?
MANFRED KRUG: Mit zunehmendem Alter lese ich weniger Ausgedachtes
und mehr Herausgefundenes. Hans Leyendecker: “Die Korruptionsfalle -
Wie unser Land im Filz versinkt“
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