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Wahlen in Russland: Ist Putin unvermeidbar?

Schon seit einem Vierteljahrhundert steht Wladimir Putin an der Spitze Russlands. Bei den heute beginnenden Präsidentschaftswahlen hat er die Chance, seine Position ein weiteres Mal zu sichern. Doch haben die Menschen im Land überhaupt eine andere Option, als erneut für Putin zu stimmen? Geht es bei den Wahlen mit rechten Dingen zu? Und könnte es danach zu weiteren Eskalationen kommen?
AMA, 15.03.2024
Symbolbild Russische Präsidentschaftwahlen 2024

Karte: Ruslan Maiborodin, iStock; Arm: Martinns, iSotck; V. Putin (cropped): Kremlin.ru, CC BY 4.0

Von heute bis einschließlich Sonntag, 17. März 2024, können die Menschen in Russland ihre Regierung wählen. Beobachter und Politikexperten halten die Wahl jedoch für eine Farce, denn die Chancen, dass jemand anderes als Wladimir Putin sie gewinnt, gehen gegen Null. Der 71-Jährige ist mittlerweile seit rund einem Vierteljahrhundert an der Macht und hat sogar extra die Verfassung ändern lassen, um theoretisch noch bis 2036 regieren zu dürfen. Doch wie laufen die Wahlen ab? Und stehen wirklich so viele Russen hinter Putin wie es nach außen scheint? Wir beantworten die fünf wichtigsten Fragen zur Russland-Wahl.

Wie läuft die Wahl in Russland ab?

Rund 110 Millionen Russen haben von heute an die Gelegenheit, ihre Stimme für den Kandidaten abzugeben, der ihrer Meinung nach in den folgenden sechs Jahren das Amt des Präsidenten bekleiden soll. Auch zwei Millionen Russen, die sich gerade im Ausland befinden, sowie die Menschen in besetzten ukrainischen Gebieten werden zur Wahlurne gebeten. In der Ukraine stationierte russische Soldaten hatten bereits die Möglichkeit zu wählen.

Neben Putin stehen nur drei weitere Namen auf dem Wahlzettel, und sie alle gehören zu systemtreuen Oppositionellen. Experten schätzen, dass der Nationalist Leonid Sluzki, der Kommunist Nikolai Charitonow und der Geschäftsmann Wladislaw Dawankow jeweils fünf oder sechs Prozent der Stimmen holen könnten. Damit bliebe immer noch eine überwältigende Dreiviertelmehrheit für Putin.

Geht es bei der Wahl mit rechten Dingen zu?

Alle drei Gegenkandidaten gelten nicht als ernstzunehmende Konkurrenz für Putin, sondern vielmehr als eine Form der Inszenierung: „Die neben dem Amtsinhaber zugelassenen Kandidaten sollen eine Wahlmöglichkeit lediglich suggerieren. Würden sie auch nur annähernd eine Konkurrenz darstellen oder Gegenpositionen zur Politik des Kremls vertreten, wären sie nicht zugelassen worden“, erklärt Wolfgang Mueller, Professor für Russische Geschichte an der Universität Wien.

Ein echter Gegenpol zu Putin wäre der Oppositionspolitiker und Kriegsgegner Boris Nadeschdin gewesen, doch der ist von den Behörden wegen angeblich fehlerhafter Unterlagen nicht zur Wahl zugelassen worden. Der prominente Kreml-Kritiker Alexei Nawalny war jahrelang eingesperrt und ist kürzlich im sibirischen Gulag unter unklaren Umständen gestorben. Dass Putin die Wahlen gewinnt, gilt somit als unumstritten und wird auch deshalb zur Realität, weil die Wahlergebnisse neutralen Beobachtern zufolge verfälscht sein werden. Sie erwarten, dass Putins Getreue großen Druck auf die Wähler ausüben und außerdem die Online- und Briefwahl zu Putins Gunsten manipulieren.

Warum wählt Russland dann überhaupt?

Da der Sieger der Wahlen bereits im Vorhinein feststeht, erscheint es nicht wirklich sinnvoll, überhaupt zur Wahl zu rufen. Doch Putin hat gute Gründe dafür. Einerseits setzt er auf die Außenwirkung der Wahl. Ihr Ergebnis soll die Menschen in anderen Ländern davon überzeugen, dass die Mehrheit Russlands hinter ihm und seiner Politik steht.

Andererseits sorgen die inszenierten Wahlen aber auch dafür, dass die Stimmung im Land nicht kippt. Denn Putin will demonstrieren, dass er und sein Regime sich an geltendes Recht halten und nicht einfach schalten und walten, wie sie wollen. Der Schein einer Demokratie soll so gewahrt bleiben. Wenn die Bevölkerung sieht, dass Putin die Verfassung achtet, könnte das auch die Kritiker davon abhalten, diese zu brechen und gewaltsame Gegenwehr zu leisten, so Experten.

Wie viele Russen sind wirklich für Putin?

Von der russischen Regierung durchgeführte Umfragen zeigen zwar regelmäßig eine Putin-Zustimmung von 70 bis 80 Prozent, doch das spiegelt nicht zwingend die Realität im Land wieder, wie Politikwissenschaftlerin Margarita Sawadzkaja im Deutschlandfunk erklärt. Sie verweist stattdessen auf Umfragen privater Meinungsforschungsinstitute, nach denen gerade einmal 25 Prozent der Bevölkerung bedingungslose Putin-Anhänger sind, die auch den Krieg in der Ukraine unterstützen.

Weitere 25 Prozent sind demnach vehemente Putin-Gegner und die verbliebenen 50 Prozent trauen sich einfach nur nicht, ihre wahre Meinung zu sagen – aus Angst vor den Konsequenzen, die in ihrem repressiven Land drohen. Für diejenigen, die bei der aktuellen Wahl dennoch ein Zeichen gegen Putin setzen wollen, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie nehmen gar nicht erst teil und drücken so ihre Unzufriedenheit aus oder sie folgen einem Aufruf von Kremlgegnern: Wer am Sonntag um genau 12 Uhr zur Wahl geht, äußert damit seinen Unmut. Die Länge der Schlangen vor den Wahllokalen soll dann zeigen, wie viele Russen in Wirklichkeit unzufrieden mit Putin und seiner Politik sind.

Wie geht es nach den Wahlen weiter?

Russland-Experten sehen derzeit zwei Möglichkeiten für die Zeit nach der Wahl. Erstens: eine De-Eskalation. Wenn das Regime mit dem Wahlsieg bekommen hat, was es wollte, kann es hinsichtlich seiner Einschüchterungsmaßnahmen und Propaganda wieder einen Gang zurückschalten und stattdessen auf Stabilität setzen.

Zweitens: Der Wahlsieg verleiht dem Regime einen regelrechten Höhenflug, der zu folgenschweren Entscheidungen wie einer Massenmobilmachung führen könnte. „Nachdem es das gewünschte Ergebnis geliefert hat, wird das System für eine Weile frei von Verpflichtungen gegenüber seinen Bürgern sein. In diesem Moment können unpopuläre Entscheidungen getroffen werden“, prophezeit etwa die Politologin Jekaterina Schulmann im Interview mit dem MDR.

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