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Warum stellen wir immer noch die Zeit um?

Am Sonntag ist es mal wieder so weit: Wir stellen die Uhren von Winter- auf Sommerzeit. Aber Stopp! Hatte die EU nicht schon vor Jahren beschlossen, dass es keine Zeitumstellung mehr geben soll? Warum ist sie dann immer noch nicht abgeschafft? Und falls es doch endlich dazu kommen sollte: Haben wir dann ewige Sommer- oder ewige Winterzeit?
AMA, 28.03.2024
Gähnender Mann und Sommerzeituhr vor Nachthimmel

© Hintergrund: AntiMartina, iStock;  Mann: izusek, iStock

In der Nacht zum Ostersonntag, 31. März 2024, steht uns mal wieder die Umstellung von Winter- auf Sommerzeit bevor. Wir drehen die Uhren dann eine Stunde vor, also von zwei auf drei Uhr. In dieser Nacht bekommen wir dadurch im Prinzip eine Stunde weniger Schlaf. Auch wenn die meisten von uns am Ostersonntag ausschlafen können, schlägt vielen Menschen diese halbjährliche Umstellung aufs Gemüt: Sie fühlen sich auch in den Tagen und Wochen danach müde und unausgeglichen.

Vielleicht wären diese Nachteile noch hinnehmbar, wenn dafür wenigstens der ursprüngliche Grund für die Zeitumstellung – nämlich Stromersparnis – eingetreten wäre. Doch Fehlanzeige: Zwar verbringen die Menschen an langen Sommerabenden tendenziell mehr Zeit im Freien und lassen deswegen elektrische Geräte wie den Fernseher aus, aber auf das Jahr gerechnet ist die dadurch entstandene Ersparnis minimal. Wie Hochrechnungen zeigen, spart eine deutsche Familie mit drei Kindern dank Zeitumstellung gerade einmal zwölf Euro pro Jahr.

Es liegt also auf der Hand, warum das Europäische Parlament im Jahr 2019 dafür gestimmt hat, die Zeitumstellung abzuschaffen. Doch warum merken wir auch fünf Jahre später noch nichts von diesem Beschluss?

„Es ist kompliziert“

Kurz gesagt: Es ist kompliziert. Was auf dem Papier wie eine gute und simple Idee klingt, zieht in der Praxis einen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Das hängt vor allem mit der großen europäischen Zeitzone zusammen, in der wir uns befinden. Sie erstreckt sich vom Westen Spaniens bis zur Ostgrenze Polens. Wenn wir uns in Zukunft also darauf einigen, ganzjährig Sommer- oder Winterzeit einzuführen, würde das in den verschiedenen europäischen Ländern zu ganz unterschiedlichen Anpassungsproblemen führen.

„Bei ganzjähriger Normal- beziehungsweise Winterzeit hätten wir zur Sommersonnenwende Mitte Juni in Ostpolen von 3 bis 20 Uhr Sonne, in Westspanien von 6 bis 21:30 Uhr“, erklärt Ökonom Korbinian von Blanckenburg von der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Doch wer braucht schon Sonnenschein um drei Uhr nachts? „Sehen wir uns also einmal das andere Extrem an: Würde man sich auf die Sommerzeit als neuen Standard festlegen, hätte man zur Wintersonnenwende Mitte Dezember in Westspanien Sonne von circa 10 bis 19 Uhr. In Deutschland von 09:15 Uhr bis 17 Uhr. Der späte Sonnenaufgang wird dabei von vielen Menschen als nicht optimal empfunden.“

Wie man es also macht: Mindestens ein europäischer Staat hätte immer Gründe für ein Veto. Außerdem stellt sich die Frage, wer letzten Endes darüber entscheiden würde, ob ewige Somme- oder Winterzeit herrscht. Die Politik, ein Expertengremium oder die europäische Bevölkerung selbst? In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2023 sprachen sich 48 Prozent der befragten Deutschen für die Sommerzeit und 37 Prozent für die Winterzeit aus. Fraglich ist jedoch, ob jeder von uns auf Anhieb einschätzen kann, welche Folgen und veränderten Tageszeiten die jeweiligen Optionen tatsächlich nach sich ziehen würden.

Europäische Zeitzonen und EU-Mitglieder
Die aktuell größte europäische Zeitzone (rot) erstreckt sich vom Westen Spaniens bis zur Ostgrenze Polens. Sie umfasst die meisten, aber längst nicht alle EU-Mitglieder (gelbes Häckchen in blauem Kätschen).

© Zeitzonen: Giorgi Balakhadze; derivative work of File:Blank map of Europe (without disputed regions).svg / CC BY-SA 4.0

Warum passiert nichts?

Nun könnte man argumentieren, dass auch andere europaweite Entscheidungen bereits knifflig waren und trotzdem getroffen wurden. Wieso passiert also ausgerechnet hinsichtlich der Zeitumstellung nichts mehr? Das Europaparlament hatte sich doch dafür ausgesprochen, oder etwa nicht? Das stimmt zwar, doch um wirklich europaweit durchgesetzt zu werden, braucht die Abschaffung der Zeitumstellung noch die Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsstaaten und die ist ungewiss.

Das liegt vor allem daran, dass jedes Land andere Vorstellungen davon hat, wie es nach dem Beschluss weitergehen soll. Während manche Länder gerne alles so belassen wollen wie es ist, wünschen sich andere eine ewige Sommer- und wieder andere eine ewige Winterzeit. Und weil die EU einen Flickenteppich aus unterschiedlichen Zeitzonen unbedingt vermeiden will, liegt das Thema seit fünf Jahren auf Eis.

Ein ungewöhnlicher Kompromiss

Womöglich gäbe es aber einen Kompromiss, der die Interessen der verschiedenen Länder und die der europäischen Bürger unter einen Hut bringen könnte. „Wir brauchen eine Neusortierung der Zeitzonen. Länder östlich von Deutschland wechseln in die Zeitzone ‚GMT +2‘. Und Spanien wechselt in die ‚GMT‘ und wäre damit in derselben Zeitzone wie Portugal oder Großbritannien. Dann hätte man das Problem nicht, dass eine ganzjährige Sommer- oder Winterzeit die Spanier so extrem treffen würde“, schlägt von Blanckenburg vor.

In diesem Szenario wäre es in Ostpolen am 21. Juni von 4 bis 21 Uhr hell, in Deutschland von 4 bis 20:30 Uhr und in Spanien von 5 bis 20:30 Uhr. Am 21. Dezember wiederum hätte Ostpolen Sonne von 8:30 bis 16 Uhr, Deutschland von 8:15 bis 16 Uhr und Spanien von 8 bis 17 Uhr. Wie die betroffenen Länder über den Vorschlag denken, ist noch unklar. Und derzeit hat die Diskussion darüber für sie offensichtlich auch keine große Priorität. Leidenschaftliche Gegner der Zeitumstellung sollten sich also auch weiterhin keine allzu große Hoffnung auf Veränderung machen.

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