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Woher wissen die Pflanzen, wann es Frühling wird?
Die ersten sind meist die Schneeglöckchen und Krokusse, dann folgen die gelben Narzissen und auch einige Bäume und Sträucher beginnen schon im frühen Frühjahr zu blühen. Und ihre Reihenfolge ist fast in jedem Jahr gleich. Nicht umsonst gibt es einen Pollenkalender, in dem Heuschnupfengeplagte nachsehen können, wann für sie die "schlimme Zeit" beginnt.
Woher aber wissen die Pflanzen, wann "ihre" Zeit zur Blüte oder zum Austreiben gekommen ist? "Es gibt da eine ganze Batterie verschiedener Auslöser, die alleine oder in Kombination wirksam sind", erklärt Thomas Stützel, Professor für Evolution und Biodiversität der Pflanzen an der Ruhr Universität Bochum. Neben äußeren Faktoren wie der Tageslänge und der Umgebungstemperatur können auch innere Faktoren wie Pflanzenhormone, Gene oder schlicht eine bestimmte Mindestgröße der Pflanze beeinflussen, ob und wann diese blüht.
Warum Kälte wichtig ist
"Bei vielen Zwiebelpflanzen ist der erste Auslöser eine Absenkung der Temperatur", sagt Stützel. Narzissen, Krokusse und Tulpen beispielsweise benötigen mindestens einige Wochen der Kälte im Winter, um in ihren Zwiebeln die Vorstufen der Blüte anzulegen. Erst wenn es dann im Frühling wieder wärmer wird, werden diese Vorstufen aktiviert und die Blume treibt aus. "Das Schieben der Blüte kann aber durch besonders niedere Temperaturen auch wieder gestoppt werden", erklärt der Biologe. Bei einem plötzlichen Kälteeinbruch nach den ersten warmen Tagen bleibt die Knospe dadurch noch im schützenden Boden.
Viele Obstbäume besitzen sogar eine Art inneren Wärmezähler: "Die Pflanzen können warme Tage aufsummieren und so recht genau ermitteln, ob es schon passt", erklärt Stützel. Erst wenn eine bestimmte Anzahl wärmerer Tage verstrichen sind, beginnen die Bäume auszutreiben. Das verhindert, dass schon ein paar ungewöhnlich warme Tage im Winter die Blüte auslösen. Ohne diesen Wärmezahler komme dagegen die Haselnuß aus: "Sie 'beglückt' die Pollenallergiker daher auch im Winter, wann immer es ein paar Tage warm genug ist", sagt Stützel.
Das Licht macht's
Aber die Wärme allein ist für viele Pflanzen nicht genug. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Tageslänge: Viele Pflanzen reagieren auf die im Frühling kürzer werdenden Nächte und längeren Tage. "Sie beginnen zu blühen, sobald das Tag-Nacht-Verhältnis einen bestimmten Schwellenwert überschreitet", erklärt Stützel. Auch Nutzpflanzen wie Kopfsalat oder Spinat gehörten beispielsweise zu den Arten, die ausschließlich über das Licht aktiviert werden.
Wie aber messen diese Pflanzen die Tageslänge? Möglich wird dies, weil auch sie, ähnlich wie wir Menschen, eine innere Uhr besitzen. Diese tickt ungefähr im 24-Stunden Takt und gibt damit quasi einen internen Vergleichsmaßstab vor. In ihren Genen ist zudem festgelegt, wie lange es innerhalb dieser 24 Stunden mindestens hell sein muss, damit sie zu blühen beginnen. Dieser Schwellenwert ist von Art zu Art verschieden und kann sogar innerhalb einer Art variieren.
Auch Pflanzen haben "Augen"
Um überhaupt feststellen zu können, ob es um sie herum hell oder dunkel ist, besitzen die Pflanzen zudem Lichtsensoren in ihren Geweben. Sie registrieren damit die Tageslänge und gleichen diesen Messwert über einen komplexen Mechanismus mit ihrer inneren Uhr ab. Ist dann im Frühling der kritische Schwellenwert überschritten, löst dies eine ganze Kaskade von physiologischen Veränderungen aus - und die Pflanze beginnt zu blühen.
Bei Blumen, die nicht im Frühjahr, sondern im Herbst oder Winter blühen, ist es umgekehrt: Bei ihnen muss die Dunkelphase der Nacht erst eine Mindestdauer erreichen, damit sie eine Blüte bilden. "Bei solchen Kurztagspflanzen genügt es bereits, wenn man nachts nur kurz das Licht einschaltet, um eine erneute Blüte zu verhindern", sagt Stützel. Dazu gehören beispielsweise der Weihnachtsstern oder das Flammende Käthchen. Im Gartenbau muss man solche Kulturen daher verdunkeln, weil bereits das Licht vorbeifahrender Autos ihre Blüte verhindern würde.