Noch nie wurde ein Roman in der Literaturgeschichte so schnell verurteilt wie Martin Walsers Tod eines Kritikers. Nach einem Offenen Brief des FAZ–Herausgebers Frank Schirrmacher entzündete sich schnell eine Antisemitismus-Debatte, ehe das Buch überhaupt veröffentlicht wurde. Der Roman hat indes Besseres verdient: Tod eines Kritikers ist eine akribische Studie der Machtverhältnisse im deutschen Literaturbetrieb - eine unterhaltsame Tour de force um Eitelkeit, Neid und Missgunst.
Verordnetes Schuldgefühl
“Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus.“ Diese zentrale Passage des neuen Martin Walser Romans artikuliert das scheinbar Unartikulierbare: Darf man, in dieser Republik, aus der Reihe der historisch verankerten Betroffenheit ausscheren und kritisieren, was als unangreifbare Instanz gilt, zumal als moralische?
Martin Walser hat sich getraut. In Tod eines Kritikers sublimiert der 75-Jährige das große Tabu-Thema intellektueller Grundsatz-Diskussionen der Nachkriegsgeschichte zum Roman: Die grenzenlose und unbegrenzbare Debatte um die Instrumentalisierung von Schuld. Dieses verordnete Schuldgefühl, das unablässige Ducken vor der NS-Vergangenheit, das eine rationale Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte immer wieder erschwere, war es, was Martin Walser in seiner umstrittenen Friedenspreis-Rede den Begriff der “Moralkeule“ prägen ließ.
Sensibilisiert durch diese Vorgeschichte und aufgeheizt durch die Auseinandersetzung zwischen Jürgen Möllemann und Michel Friedman hätte der Aufschrei nicht größer sein mögen, als bekannt wurde, wovon der neue Walser-Roman handele: In Tod eines Kritikers gehe es um den Mord an einem Juden! Zudem noch um “das Spiel mit antisemitischen Klischees“, war synchron in den Tagen nach dem Offenen Brief des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher (“Dokument des Hasses“) zu hören. Die zerstrittenen deutschen Intellektuellen zogen in seltener Eintracht in einen Feldzug gegen Walser.