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150 Jahre „Urwalddoktor“ Albert Schweitzer
Bekannt als „Urwalddoktor“, Theologe, Musiker, Pazifist und Friedensnobelpreisträger erfuhr Schweitzer zu Lebzeiten viel Anerkennung. Doch er erhielt auch Gegenwind: Kritiker warfen ihm rassistische und prokolonialistische Denkweisen vor. Sein Vermächtnis wird daher bis heute ambivalent betrachtet – zwischen bewundernswertem humanitärem Einsatz und einer paternalistischen Haltung, die aus heutiger Sicht problematisch erscheint.
Der dreifache Doktor
„Ich wurde am 14. Januar 1875 in Kaysersberg im Oberelsass geboren, in dem Haus mit dem Türmchen, das man am oberen Ende der Stadt sieht, wenn man links aus der Stadt hinausgeht. In diesem kleinen, mehrheitlich katholischen Ort war mein Vater Pfarrer und Lehrer [...]“, schreibt Schweitzer über sich selbst in seinem 1924 erschienenen Buch „Aus meiner Kinderzeit und Jugendzeit“.
Schweitzer trat zunächst in die Fußstapfen seines Vaters. Nach einem Studium der Theologie und Philosophie – jeweils inklusive Dissertation – an der Universität Straßburg, an der er auch lehrte, viel Orgelspiel und einer Tätigkeit als Prediger besuchte der damals 30-Jährige jedoch erneut als Student den Vorlesungssaal. Diesmal für ein Medizinstudium mit dem Ziel, als Missionsarzt in Französisch-Äquatorialguinea zu arbeiten.
1912 heiratete Albert Schweitzer die Tochter des jüdischen Historikers Harry Bresslau, Helene Bresslau, und schloss ein Jahr später sein Medizinstudium ab. Anschließend zog es das junge Ehepaar direkt nach Lambarene, eine Stadt im heutigen Gabun. Hier sollte Schweitzers „Urwaldspital“ entstehen.
Getragen von der Liebe der Menschen
Das berühmte Krankenhaus war anfangs allerdings wenig glamourös. Als erster Behandlungs- und Operationsraum im Urwaldspital diente ein verlassener Hühnerstall. Patienten mussten ihre Krankheiten in einem alten Bootsschuppen auskurieren. Ein paar Monate später ließ er drei Wellblechhütten bauen. „Aber was bedeuten alle diese vorübergehenden Widerwärtigkeiten im Vergleich zu der Freude: hier wirken und helfen zu dürfen!“, schrieb Schweitzer.
Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellte die französische Armee das Ehepaar aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit unter Hausarrest. Später überführte die Armee die Eheleute nach Frankreich und internierte sie bis kurz vor dem Ende des Krieges. Anfang der 1920er Jahre sammelte Schweitzer durch Konzerte und Vorträge genug Geld, um nach Afrika zurückzukehren. Dort baute er das verfallene Spital wieder auf und errichtete es später komplett neu.
„Das Spital sollte getragen werden von der Liebe der Menschen. Das hat uns Kraft gegeben“, erinnert sich Siegfried Neukirch im Interview mit der Deutschen Welle, der mehrere Jahre als Helfer im Urwaldspital tätig war. „Er war von der ersten Begegnung an freundlich, herzlich und gerecht zu allen und schenkte uns sein Vertrauen.“
Schweitzers Ethik – die Ehrfurcht vor dem Leben
Schweitzer ist jedoch nicht nur für sein Krankenhaus in Lambarene bekannt, sondern auch für seine Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“. „Diese Ethik macht keinen Unterschied zwischen einem höherwertigen und einem weniger wertvollen Leben“, sagte Schweitzer 1964 in einer Audioaufnahme, ein Jahr vor seinem Tod über sein Motto, das er bereits 1915 für sich aufstellte.
Schweitzer setzte sich auch gegen Atombomben und Atomwaffentests ein. 1957 verbreitete er über einen Radiosender seinen bekannten „Appell an die Menschheit“, in welchem er vor den Folgen von Kernexplosionen warnte. Doch schon vor seinem Appell erhielt der überzeugte Pazifist – rückwirkend für das Jahr 1952 – den Friedensnobelpreis für sein Engagement.
War Schweitzer Kolonialist oder Retter?
Doch nicht jeder war von Schweitzers Arbeit überzeugt. Vor allem afrikanische Intellektuelle kritisierten ihn und seine autoritäre Haltung gegenüber der lokalen afrikanischen Bevölkerung und warfen ihm Kolonialismus vor. „Man empfand ihn als aggressiv gegenüber den Kranken“, erklärt Kulturjournalist François Bingono Bingono gegenüber der Deutschen Welle. „Man hat ein Stück Herzlichkeit vermisst, man hat ein Stück Gefühl und ein Stück Zuneigung vermisst. Es war, als ob er ein Soldat im Dienst der Medizin gewesen wäre.“
Doch für die Patienten im Urwaldkrankenhaus war Schweitzers Arbeit oft ein Segen, da sie endlich Zugang zu medizinischer Versorgung erhielten. „Die Bevölkerung hat ihn fast als Retter betrachtet, denn er hat neue Methoden im Gesundheitswesen eingeführt“, so Bingono Bingono weiter. „Die Bevölkerung hat ohne weiteres das akzeptiert, was die Intellektuellen als Brutalität kritisierten, und dass er sich zum Herrscher aufgeschwungen hat.“
Albert Schweitzer wird trotz dieser Kritik jedoch bis heute hochgeschätzt. In Lambarene steht noch heute das – inzwischen neu erbaute – von Schweitzer gegründete Krankenhaus und behandelt jährlich fast 30.000 Patienten. Und so ist Albert Schweitzers Einfluss auch fast 60 Jahre nach seinem Tod im Jahr 1965 noch spürbar.