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75. Geburtstag: Warum die NATO heute wichtiger ist denn je
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg im Jahr 1945 schlitterte die Welt direkt in die nächste große Auseinandersetzung: den Kalten Krieg. Blutige Schlachten waren einer passiv-aggressiven Rivalität zwischen den USA und dem Ostblock gewichen. Über allem hing zudem die Sorge vor einem drohenden Atomkrieg. Um einen ernstzunehmenden Gegenpol zur Sowjetunion zu bilden, schlossen sich daher am 4. April 1949 zwölf westliche Staaten, darunter die USA, Kanada und Frankreich, zur sogenannten North Atlantic Treaty Organization beziehungsweise NATO zusammen.
Das wichtigste Grundprinzip: Einer für alle. Nach Artikel 5 des NATO-Vertrags wird ein Angriff gegen einen der Alliierten als Angriff gegen alle Alliierten gewertet und löst den sogenannten Bündnisfall aus. Dabei kommen die anderen NATO-Staaten dem angegriffenen Land im Rahmen einer kollektiven Verteidigung zu Hilfe. Allerdings geschieht dies nicht automatisch, sondern die jeweiligen Länder entscheiden, in welcher Form sie ihren Beitrag leisten.
Mit Einrichtung des Bündnisfalls wollte die NATO einen sowjetischen Angriff im besten Fall mittels Abschreckung verhindern und ihn im schlimmsten Fall zumindest möglichst schnell stoppen.
Die Nato erfindet sich neu
Spätestens seit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 fehlte dann die Notwendigkeit, sich gegen einen mächtigen potenziellen Gegner „aufzuplustern“, der gar nicht mehr existierte. Doch die NATO blieb und erfand sich stattdessen neu. Sie unterzeichnete einen Friedensvertrag mit den Staaten des ehemaligen Ostblocks und vereinbarte außerdem Regelungen zur Rüstungskontrolle. 1999 traten mit Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik dann sogar die ersten osteuropäischen Staaten dem Militärbündnis bei.
Nur rund zwei Jahre später erlebten die Neuankömmlinge direkt den ersten und bislang einzigen Bündnisfall in der Geschichte der NATO: das Attentat von al-Qaida-Terroristen auf das World Trade Center in New York City am 11. September 2001. Am nachfolgenden Militäreinsatz in Afghanistan beteiligten sich zahlreiche NATO-Länder – darunter auch Deutschland, das zehn Jahre nach der Gründung der Nato ebenfalls beigetreten war.
20 Jahre lang bemühte sich die NATO unter Führung der USA darum, das Taliban-Regime zu stürzen, das Land wieder zu stabilisieren und afghanische Sicherheitskräfte auszubilden. Nach dem überstürzten Rückzug vor ein paar Jahren ist allerdings wenig vom bis dahin Erreichten übriggeblieben.
Wieder ein wichtiger internationaler Player
Trotz des Einsatzes in Afghanistan erschien die NATO vielen Kritikern nach dem Wegfall der Rivalität mit dem Osten weiterhin als überflüssig und aus der Zeit gefallen. Im Jahr 2019 nannte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sie sogar „hirntot“. Doch spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Jahr 2022 hat die NATO wieder an Relevanz gewonnen. Das zeigt sich auch daran, dass nicht einmal drei Monate nach dem Angriff auch Finnland und Schweden vom Schutz der NATO profitieren und ihr beitreten wollten. Mittlerweile sind die Anträge durch und die NATO zählt nun insgesamt 32 Mitglieder.
Das größte Militärbündnis der Welt hat somit mittlerweile wieder eine ähnliche Rolle wie zu Beginn und definiert Russland im neuesten strategischen Konzept erneut als „direkte Bedrohung“. Und um auf diese Bedrohung vorbereitet zu sein, verstärkt das Militärbündnis derzeit seine Ostflanke und stockt außerdem seine Eingreiftruppen erheblich auf.
Wie geht es weiter?
Eine der wichtigsten Veränderungen, die der NATO nun ins Haus stehen, ist die Aufnahme ihres 33. Mitgliedsstaates: der Ukraine. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigte erst kürzlich in Brüssel, dass der Beitritt der Ukraine längst keine Frage mehr sei. Lediglich ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest. Er würde sich auch abseits davon weiteres NATO-Engagement im Ukraine-Krieg wünschen, etwa indem das Bündnis gezielt ukrainische Soldaten ausbildet oder Waffenlieferungen koordiniert.
Doch trotz dieser Zukunftspläne ist es derzeit noch ungewiss, wie genau es mit der NATO weitergeht. Klarheit bringt erst die Wahl des nächsten US-amerikanischen Präsidenten. Denn sollte dessen Name erneut Donald Trump lauten, könnte das der NATO erheblich schaden. Bereits während seiner letzten Amtszeit hat Trump mehrmals damit gedroht, das Militärbündnis zu verlassen. Da es jedoch vor allem das amerikanische Militär ist, das der NATO ihre Schlagkraft und Bedrohlichkeit verleiht, würde ein solcher Rückzug das Bündnis erheblich schwächen.
Womöglich hat Trump diese Pläne aber mittlerweile verworfen, denn auf aktuellen Wahlkampfauftritten spricht er „lediglich“ davon, bei einem durch Russland ausgelösten Bündnisfall keine militärische Unterstützung zu schicken. Laut NATO-Vertrag wäre das theoretisch sogar rechtens, würde aber ebenso wie ein kompletter Ausstieg zu großen Problemen führen.