"Für dunkle Tage unterwegs"

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Ein Bild, das als Motto für den gesamten Zyklus dienen kann: „Für dunkle Tage unterwegs“ ist ein wesentliches Kriterium für Glauben und die Nutzung der Bibel: Trost und Hilfe zu vermitteln.

Prof. Jörg Immendorff

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Das Paradies, gedacht als Ort vor der Enthüllung des Menschen. Der Mensch ist kaum „angelegt”, schon wirft er einen Schatten. Ein böses Omen? Der Baum der Erkenntnis, eingebettet in denSchatten, deutet klar darauf hin. Verweis auf die negativen Strömungen der Menschheitsgeschichte: Die Sünde und deren Folgen.

Prof. Jörg Immendorff

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Der Mensch „nimmt sein Kreuz auf sich“: Er begibt sich auf Wanderschaft durch die Existenz. Sein Kopf ist ein Zitat des vorhergehenden Bildes: Symbol für die Welt einerseits, andererseits wirkt die „Kappe“ aus Tugenden und Lastern wie eine Augenbinde oder wie eine Narrenkappe. An einem dicken Tau zieht er eine Art geordneten Irrgarten hinter sich her – auch dies eine Metapher für die Schwierigkeit, den richtigen Weg zu finden. Im Vordergrund ein monströses schwarzes Gewächs als Symbol der Bedrohung.

Prof. Jörg Immendorff

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Blindheit und körperliches Leid gehören zur menschlichen Existenz wie der Atem zum Leben. Der Foltertisch deutet darauf hin, dass hier nicht nur Schicksal waltet, sondern der Mensch sich oftgenug gegen den Menschen wendet. Der Bildtitel „Kampf der Zeit“ deutet den Rahmen an: Mit dem Sprung aus der Ewigkeit in die Zeit des Seins ist der Mensch konträren Kräften unterworfen.[Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt.]

Prof. Jörg Immendorff

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Blindheit und Gebrechlichkeit sind nicht nur an die Physis gebunden. Auch psychisch-geistig ist der Mensch orientierungslos. Die Qual der Wahl (symbolisiert etwa durch Herkules am Scheidewegzwischen Tugend und Laster) steckt in dieser Darstellung: sie ist keine momentane Entscheidungssituation, sondern ein dauerhafter, weil existenzieller Zustand. Zwei „Kugeln” symbolisieren die Widersprüche der Existenz: Mann/Frau, Gut/Böse, Geist/Körper, Diesseits/Jenseits etc. Ins Groteske gewendet erscheint eine Yin-Yang-Figur: die fernöstliche Einheit des Gegensätzlichen ist aufgespießt, die Enden klaffen auseinander. Eine Aufhebung der Gegensätze wird nicht geboten.

Prof. Jörg Immendorff

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Der Turm zu Babel, einmal als kleines, in Goldtöne gekleidetes Insertbild, einmal ins Natürliche gewendet. Es geht jeweils um eine Strategie des Menschen, sich dem Göttlichen und damit demUrzustand einer Gottnähe zu nähern. Doch die „Abkürzung” zum Himmel existiert nicht: Jedes organische Wachstum ist abgestorben. Am weitesten reckt sich ein Gemälde in den Himmel – Verweis auf die zentrale Rolle der Kunst in Immendorffs Denken und Vorgriff auf eine diesseitige „Erlösungsstrategie“.

Prof. Jörg Immendorff

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In der Bibel führt der Turmbau zu Babel zur Sprachenvielfalt der Menschen und zur Vereinzelung. Immendorff radikalisiert diese Vereinzelung im Bild des „Suchenden“ im Wald. Urängsteklingen an. Das Licht soll den Weg zum Ziel zeigen, aber die Kerze beleuchtet eher ihren Träger als den Weg. Schemenhaft erscheint eine Fratze auf einem Baum. Sie blickt zur Seite: ins undurchdringliche Dunkel.[Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt.]

Prof. Jörg Immendorff

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Weltenwald – Fortsetzung des Dunkels. Der Suchende wandert weiter, über den Kopf gezogen hat er die Kappe mit den Tugenden und Lastern, die für seine Orientierungslosigkeit steht. Dasklassische Symbol des Spiegels verweist auf die Rolle der Kunst („Dem Menschen den Spiegel vorhalten“) – um so mehr, als im Spiegelglas lauter Zitate aus der Kunstgeschichte vorkommen. Hineingeworfen in die Trostlosigkeit eines verdorrten Waldes wirkt die Kunst als leuchtendes Gegenbild, doch der Suchende läuft an ihr vorbei. Immendorffs Selbstreferenzen zur Kunst nehmen zu. [Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt.]

Prof. Jörg Immendorff

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Künstler und Gelehrte sind in einem Auditorium versammelt, um auf einen Lkw zu schauen, der seine irdene Last auskippt. Die Dargestellten sitzen völlig beziehungslos nebeneinander,die Schaukel überträgt die Szene ins Groteske. Der Bezug im Titel auf Wilhelm Lehmbruck (seine berühmte Knieende wird zitiert), der sich 1919 das Leben nahm, erinnert abermals an den Tod als generelle Bedrohung des Lebens.[Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt.]

Prof. Jörg Immendorff

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Hintergrund der überall waltenden Verzweiflung ist die Angst vor dem Tod, eindringlich dargestellt durch die Figur des Betenden im Skelett. Zwei Affen tragen ein Transparent mit der Aufschrift„Kunst“ herein. Ist das, oder vielmehr SIE, die Lösung?

Prof. Jörg Immendorff

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Damit richtet sich schließlich der Blick auf den Künstler und seine Rolle im existenziellen Dschungel. Die ambivalente Welt/Das Rad der Fortuna erscheinen im reflektierenden Blick des Suchendenebenso wie der Turm von Babel und die Bedrohung des Menschen durch Krieg. Der Künstler zeigt auf ein außerhalb des Bildes liegendes Ziel. Eine mögliche Lösung? Allenfalls scheinbar, denn am Finger kriecht ein Wurm in die andere Richtung, und der Künstler blickt starr auf den Finger, nicht in die Richtung dieses Ziels.

Prof. Jörg Immendorff

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Die Versuchung des Hl. Antonius als Versuch, den Künstler in das „pralle“ Leben hineinzuziehen. Er steht abseits, auch wenn ihm in einer Art Spiegel ein Affe etwas entgegenhält, was einerseitsals goldenes Herrschaftsinsignium, andererseits als goldene Fessel erscheint. Bild 17 und 18 suggerieren: Es gibt keine Erlösung in Fleisch und Sinnlichkeit.

Prof. Jörg Immendorff

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Im Schöpfertum ist es möglich, die Isolation des Einzelnen zu überwinden. „L’autre c’est moi“ (Der Andere, das bin ich) ist eine fundamentale Einsicht, welche die Beziehungslosigkeitin Bild 6 überwindet. Indem ich durch das Kunstwerk mich selber (und den anderen) immer wieder neu erschaffe, entstehen Entwürfe der Welt, die dem Leiden, den Widersprüchen, der Vereinzelung und der Orientierungslosigkeit entgegengesetzt sind. Das aktive Schaffen überwindet das passive Suchen.

Prof. Jörg Immendorff

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Getarnt durch Baum und Borke wird des Malers Pinsel zum Spaten, der die existenziellen Probleme des Menschen zu Tage fördert und in der Sphäre der Kunst aufhebt.

Prof. Jörg Immendorff

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Die Ergebnisse künstlerischer Produktion: Bilder von Menschen, von der Schöpfung; zahlreiche Zitate anderer Bilder. Die gesamte Komposition wirkt verschlossen, abgeriegelt, fast wie eineKlagemauer. Die Welt ebenso wie die Ewigkeit liegen dahinter.[Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt.]

Prof. Jörg Immendorff