Karwendel: Vom Achensee bis nach Mittenwald

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Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Und das heißt nicht nur intensives Kartenstudium, sondern vor allem: den Rucksack effektiv UND effizient packen. Vom kurzärmeligen Funktionsshirt über Waschzeug und Hüttenschlafsack, komplette Regenbekleidung und Müsliriegel reicht das Spektrum bis hin zu Handschuhen und warmer "Haube", wie der Österreicher gerne sagt. Trotz Packdisziplin kommen so schnell 12 - 14 kg zusammen. Die einem niemand abnimmt.

Jörg Peter Urbach

2/20

Von München aus lässt sich der Achensee ausgezeichnet mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen - wenn diese denn pünktlich sind und man den Anschluss erreicht ... Doch in Deutschland fährt ja die Deutsche Bahn und so gilt es nach der gleich 15minütigen Verspätung des IC zu improvisieren und auf den Bus umzusteigen. Im verregneten Pertisau entscheiden wir uns, den Nostalgiebus ins Falzthurntal zur Gramaialm zu nehmen und die Regenjacken vorerst noch im Rucksack zu lassen. Mehr als 700.000 km hat das 51 Jahre alte Gefährt Schweizer Bauart bereits gesehen. Mit viel Zwischengas und knarzenden Scheibenwischern überholen wir tapfere Mountainbiker.

Jörg Peter Urbach

3/20

Gramai-Alm, am Talschluss des Falzthurntales. Wir brechen auf, "schlucken" die ersten Halbschuhtouristen und finden nach wenigen Minuten unseren eigenen Rhythmus. Nicht zu schnell, nicht zu langsam, aber stetig. Mit anfangs noch zaghaften, später dann sicheren Stockeinsätzen erarbeiten wir uns die ersten 700 Höhenmeter auf dem Weg zur Lamsenjochhütte auf 1953 m. Seit über 100 Jahren bietet das Haus Alpinisten und Wanderern Schutz und Unterkunft. Leider gestattet das Wetter keine Gipfeltour auf die Lamsenspitze. Der erhoffte Ausblick bis in die Tuxer und Zillertaler Alpen muss so ausbleiben. Wir trösten uns mit einem wirklich sensationellen Marillenkuchen! Innerhalb kürzester Zeit ist die Hütte in Wolken und Nebel verschwunden. Und gesteckt voll wird es hier heute! Wanderer aus Zürich, Köln und selbst aus den Niederlanden finden ihren Platz in der Hüttenstube, in der ein bulliger Kachelofen wohltuende Wärme verbreitet.

Jörg Peter Urbach

4/20

Der erste Hüttenabend. Gesprächsfetzen über Gipfelsiege, unerfüllte Bergträume, gescheiterte Unternehmungen dringen zwischen zahlreichen G'spritzen, Radlern und Obstlern von den Tischen zu uns herüber. Dicht gedrängt sitzen Bergsteiger, Wanderer und Mountainbiker zusammen. Man kommt sich nah und versteht sich rasch blind, weil man die Träume (meistens) teilt. Um 22 Uhr ist Hüttenruhe. Wenn da nur der ewig piepsende Rauchmelder in unserem Zimmer nicht wäre, den Hüttenwirt Oswald mit den Worten "Jetzt raucht's net so vui!" grummelnd aber bestimmt rausdreht.

Jörg Peter Urbach

5/20

Einen Wecker braucht man auf der Hütte nicht. Die knarzenden Dielen der Frühaufsteher beenden die Träume unsanft. Dafür entschädigt die Morgensonne, die sich auf den Felswänden hinter der Hütte rotglühend für wenige Minuten verewigt. Das selbstgemachte Müsli und ein erstaunlich aromatischer Kaffee bringen den Körper rasch in Schwung. Heute geht es "über den Weg 201/E4 zur Engalm und weiter über den Adlerweg/E4 zur Falkenhütte. Besteigung der Steinspitze. Zurück zur Falkenhütte." Zumindest hatte Günther das so geplant.

Jörg Peter Urbach

6/20

Doch das Wetter spielt leider auch heute nicht wirklich mit. Die Wolken hängen tief, die Sicht ist eingeschränkt. Die Temperaturen für Mitte August sind eindeutig zu tief, finden wir beide. Dennoch sind die Panoramen, die sich uns immer wieder für wenige Augenblicke zeigen, wirklich grandios.

Jörg Peter Urbach

7/20

Über einen Fahrweg geht es vom Westlichen Jamsenjoch (1940 m) hinab zur Binsalm (1503 m), beim Flüsschen Eng durch den Großen Ahornboden und nach kurzer Jause wieder recht steil über unangenehme nasse Steige hinauf zum Hohljoch.

Jörg Peter Urbach

8/20

Erstaunlich gut gehorchen die Beine auf dieser zweiten Etappe. Viel Zeit zum Schauen nehmen wir uns nicht, da der Regen stärker wird und die Steige rutschiger. Wir flüchten geradezu den Weg durch das Schuttkar unter den steil aufragenden Laliderer Wändern bis unserem nächsten Stützpunkt, der Falkenhütte (1848 m).

Jörg Peter Urbach

9/20

Dort treffen wir auch Mitwanderer aus der Lamsenjochhütte wieder, die heute dann auf dem Adlerweg noch weiter bis zum Karwendelhaus wollen. Wir beziehen stattdessen unser Lager im zweiten Stock und machen uns dann mit leichtem Gepäck auf zum Mahnkopf, den wir ob des wieder einsetzenden Regens leider nicht erreichen. So bleibt heute als kleine Gipfelstation nur das Ladizköpfl.

Jörg Peter Urbach

10/20

Doch der Sonnenuntergang entschädigt uns für das heute entgangene Gipfelerlebnis. Gerade einmal fünf Minuten bleiben, um die Kameras einzustellen und die richtige Perspektive zu finden. Das nennt man Abendglück.

Jörg Peter Urbach

11/20

Und dieses Abendglück setzt sich in der Hütte fort. Denn Hüttenwirt Fritz beglückt seine Freunde aus Innsbruck mit Extra-Schmankerln außerhalb der Speisekarte, von denen auch wir kosten dürfen. Bei dem einen oder anderen "Glaserl" entstehen Freundschaften für einen Abend oder auch länger. Auch wenn die sympathische Sauerländerin am Tisch doch so ihre Schwierigkeiten mit dem Tiroler Dialekt hat ...

Jörg Peter Urbach

12/20

Begeistert sind wir nicht. Denn auch Tag 3 fordert uns und die Regenausrüstung. Von der Falkenhütte machen wir uns über den "Adlerweg" auf zum Kleinen Ahornboden. Von dort wandern wir zum Hochalmsattel und sehen ...

Jörg Peter Urbach

13/20

... blauen Himmel und die ersten Sonnenstrahlen! Rasch steigen die Temperaturen und der Nebel verzieht sich, dampfende Feuchtigkeit zurücklassend. Endlich! Der schönste Platz im Karwendel ist für viele das Naturdenkmal Ahornboden. Hunderte bis zu 600 Jahre alte Ahornbäume stehen hier und bieten einen faszinierenden Anblick.

Jörg Peter Urbach

14/20

Kurz hinter dem Hochalmsattel wartet bereits das Karwendelhaus, Stützpunkt für Wanderer, Kletterer und Mountainbiker in farbenfrohen Outfits. Und wieder nimmt uns das Lager mit seinen diesmal über 30 Schlafplätzen auf, bietet ein Zuhause für eine Nacht. Auch wenn fünf Minuten heiße Dusche 2,50 € kosten - es ist gut angelegtes Geld nach drei Tagen anstrengender Tour mit ausschließlich gebirgsbachkaltem Wasser! Und hier unterziehen wir unsere strapazierte Kleidung dann einer ausgiebigen Kur im modernen Trockenraum ...

Jörg Peter Urbach

15/20

Sehnsüchtig geht unser Blick nach oben - zur Birkkarspitze, mit 2749 m der höchste Gipfel im Karwendel. Aber unsere späte Ankunftszeit, die leider immer noch instabile Wetterlage und die härteste Etappe am morgigen Tag lassen uns den Plan rasch verwerfen, diese hochalpine Tour zu unternehmen. Vernunft tut in den Bergen not. Und manchmal auch weh.

Jörg Peter Urbach

16/20

Einen "Gipfel machen" wir dennoch. Wir eilen in hohem Tempo aufs Hochalmkreuz, und erahnen mit einem Blick zum Wörner, was uns am nächsten Tag erwarten wird. Dass unsere Entscheidung gegen Birkkarspitze richtig war, spüren wir spätestens jetzt, als uns dichte Wolken umhüllen und von ferne schweres Gewittergrollen sich langsam der Hütte nähert. Abends gibt es die besten Spaghetti bolognese der ganzen Tour und als Belohnung für die müden Beine eine Extra-Portion Kaiserschmarrn. Der schmeckt auch den beiden Holländern, mit denen wir den Abend scherzend und philosophierend verbringen.

Jörg Peter Urbach

17/20

In aller Frühe verabschieden wir uns von den Hüttenfreunden und machen uns auf die "Königsetappe" der Tour, vom Karwendelhaus bis zum Ziel nach Mittenwald. Wir werfen einen letzten Blick auf die jetzt von der Sonne umschmeichelte Birkkarspitze und betreten den Gjaidsteig, der sich anfangs durch Latschenkiefern und morastigen Boden recht unangenehm Richtung Bäralplsattel zieht. Wir überschreiten die Grenze nach Deutschland und ab jetzt sind "alpine Erfahrung und Trittsicherheit" gefordert, wie uns die Drahtseilsicherungen über stark ausgesetzten Passagen vermelden. Hier ist hohe Konzentration gefragt. Das erkennen wir bitter, als wir uns verlaufen und gezwungen sind, etwa 200 Höhenmeter durch Geröll abzusteigen und anschließend durch steile Hänge einen alternativen Steig zu suchen, der uns auf die Ursprungsroute zurückführt.

Jörg Peter Urbach

18/20

Wir queren nun entlang einer riesigen Schuttreißen zwischen Raffelspitze und Hochkarspitze, wo wir nur wenigen Wanderen begegnen. Stattdessen tauchen in einer Senke Schafe auf. Zum Glück bleibt die Wetterlage stabil, da es im Geröll keinen Schutz gibt.

Jörg Peter Urbach

19/20

Der Aufstieg zum Wörnersattel auf noch einmal knapp 2000 m ist die letzte wirkliche Anstrengung des heutigen Tages. Zeit Atem zu holen. Und zurück zu blicken.

Jörg Peter Urbach

20/20

Denn von jetzt an geht es nur noch bergab. Bei strahlendem Sonnenschein fliegen wir geradezu hinunter zur Hochlandhütte. Nudelsuppe, Radler - und die müden Beine hochlegen. Nur der leicht großmäulige Berliner am Tisch nervt und wir spüren, dass es nicht mehr weit ins Tal ist ... Vier Tage durch eine jederzeit beeindruckende alpine Landschaft liegen hinter uns. Vier Etappen, die uns zwar nicht an unsere Leistungsgrenze gebracht aber doch wieder einmal vor Augen geführt haben, dass man den Alpen jederzeit mit Respekt gegenübertreten sollte. Denn die vermitteln dem Aufgeschlossenen vor allem zwei Dinge: Größe und Erhabenheit. Und die Erkenntnis, wie klein wir Menschen doch sind.

Jörg Peter Urbach