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Die Aufklärung: Das Zeitalter der Vernunft

Wann begann das Zeitalter der Aufklärung?

Als Beginn der Aufklärung werden für England, Frankreich und Deutschland drei Ereignisse von unterschiedlicher politischer Tragweite genannt: 1. die Glorious Revolution (1688), die in England 150 Jahre Religions- und Bürgerkriege beendete und die parlamentarische Monarchie festigte; 2. die Aufhebung des Edikts von Nantes (1685), welche die Hugenotten vertrieb und Frankreich zum katholisch-absolutistischen Staat machte, und 3. die Einführung der deutschen (statt der lateinischen) Sprache an der Universität Leipzig (1687), wodurch in Deutschland nicht nur eine Universitätsreform, sondern auch eine allgemeine Kultur- und Gesellschaftsreform ausgelöst wurde.

Wer schuf die wissenschaftlichen Voraussetzungen?

Die Voraussetzungen für die Aufklärung wurden schon seit dem späten 16. Jahrhundert durch die neu entstehenden modernen Naturwissenschaften gelegt. So suchten der englische Mathematiker, Physiker und Astronom Sir Isaac Newton (1643–1727) und der deutsche Mathematiker Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646–1716) nach theologie- und philosophiefreier Erkenntnis und gelangten durch methodischen Vernunftgebrauch zu Gravitationsgesetz und Differentialrechnung als den neuen Grundlagen der Wissenschaften, mit denen sich die Geheimnisse der Natur enträtseln ließen.

Welche unterschiedliche Strömungen gab es?

Die Aufklärung als eine große einheitliche Bewegung gab es nicht. Mit dem die Erfahrung betonenden englischen Empirismus und dem die Vernunft betonenden französischen Rationalismus standen sich zwei erkenntnistheoretische Positionen gegenüber.

Der unter anderem von Thomas Hobbes (1588–1679), John Locke (1632–1704) und David Hume (1711–1776) geprägte Empirismus stellte die Behauptung auf, dass jedes Wissen von der begriffsfreien Erfahrung abhänge und ihrer Kontrolle unterliege. John Locke etwa verfocht in seinem »Essay Concerning Human Understanding« (1690) die Theorie, dass der menschliche Geist anfangs nur eine Art weißes Papier ist, auf dem sich aufgrund äußerer und innerer Erfahrung einfache und zusammengesetzte Vorstellungen abbilden.

Der Rationalismus hingegen, dem u. a. René Descartes (1596–1650) Baruch de Spinoza (1632–1677), Pierre Bayle (1647–1706), Voltaire und die französischen Enzyklopädisten anhingen, ging nicht nur von der logisch-gesetzmäßigen Beschaffenheit der Welt aus, sondern auch von der Existenz allgemeiner, von der empirischen Erfahrung unabhängigen Vernunftwahrheiten.

In welchem Licht betrachtete die Aufklärung die Religion?

Auf theologischem Gebiet entwickelten die Aufklärer das Konstrukt einer natürlichen Religion, die der wahren Vernunft entsprechen sollte. Ihre Religionsauffassung des so genannten Deismus ging von einem Gott aus, der nur in der Natur erfahrbar ist, weil er nach der Schöpfung weder persönlich noch durch Wunder oder Ähnliches in das Leben der Menschen eingegriffen hat. Der Verstandesreligion stellte der Philosoph Jean-Jacques Rousseau eine Gefühlsreligion gegenüber, die vor allem im deutschen Pietismus Spuren hinterließ.

Welche Rechts- und Staatslehre vertraten die Aufklärer?

Das aufklärerische Denken stellte folgende Rechtsprinzipien auf: 1. Jeder Mensch ist frei geboren. 2. Um Herrschaftsverhältnisse herzustellen, bedarf es eines Konsenses aller Betroffenen. 3. Der Staat beruht auf einem Gesellschaftsvertrag. 4. Der Staat muss die angeborenen Menschenrechte wie Recht auf Leben, Freiheit, Eigentum, Streben nach Glück schützen. 5. Aus den Rechten des Einzelnen ergeben sich die Grenzen der Staatsgewalt und der Gedanke der Gewaltenteilung. 6. Der Staat wird zu religiöser Toleranz (einschließlich Abschaffung von Hexenprozessen) und zu humanerem Strafvollzug (insgesamt mildere Strafen, Abschaffung der Folter, Infragestellung der Todesstrafe) verpflichtet.

Was passierte im Bildungsbereich?

Das Erziehungswesens wurde reformiert, in Deutschland etwa durch Christian Thomasius (1655–1728) und Joachim Heinrich Campe (1746–1818). Hier sollten – von der Vernunft bestimmte – sittliche Lebensweisen als Vorbild genommen, wissenschaftliche Verfahrensweisen angewendet, die praktische Ausbildung einbezogen und die Erziehung auf alle Volksschichten ausgedehnt werden. Auch Angebote der Erwachsenenbildung wurden gefordert. John Locke in England betrachtete die Privaterziehung als sein Ideal, die einen Gentleman zu einem selbständigen und sozialen Individuum heranbildet.

Was veränderte sich in der Literatur?

Der aufklärerischen belletristischen Literatur ging es wesentlich um die Verbreitung von verstandesmäßigem und tugendhaftem Handeln. Wichtige Gattungen wurden das bürgerliche Trauerspiel (Gotthold Ephraim Lessing) und der bürgerliche Roman (Daniel Defoe), dazu kleinere lehrhafte Formen wie Lehrgedicht (Alexander Pope, Albrecht von Haller), Fabel und Satire (Jonathan Swift). So genannte Moralische Wochenschriften brachten philosophisches Gedankengut auf allgemein verständliche Weise unters Volk. Der Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing (1729 bis 1781) verfasste mit seiner Ringparabel in »Nathan der Weise« (1779) ein Plädoyer für Toleranz und Humanität.

Wie wurden Musik und Kunst beeinflusst?

Auch hier lassen sich im 18. Jahrhundert aufklärerische Tendenzen nachweisen: So ist der empfindsame, galante frühklassische Musikstil mit seinem deutschen Hauptvertreter Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788) geprägt von der Forderung nach Vernunft, Natürlichkeit und gutem Geschmack. Die gesellschaftskritische und zugleich satirische Kunst des englischen Malers und Kupferstechers William Hogarth (1697–1764) entstand aus aufklärerischen Zielen.

Was war das zentrale Werk der Aufklärung?

Das Hauptwerk der französischen Aufklärung ist das 35-bändige Lexikon aller Wissenschaften, Künste und Berufe, das zwischen 1751 und 1780 unter dem Titel »Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers par une société de gens de lettres« erschien. Als Übersetzung der zweibändigen englischen Enzyklopädie von Ephraim Chambers (1728) geplant, wurde daraus unter der Leitung von Jean Le Rond d'Alembert (1717–1783) und Denis Diderot (1713–1784) ein eigenständiges Werk, an dem fast 200 Autoren mitwirkten. Wie brisant die Texte der »Enzyklopädie« damals waren, zeigt, dass Diderot wegen freigeistiger Äußerungen für einige Monate im Gefängnis saß.

Wer griff die Ideen der Aufklärung auf?

Die Kritik am Bestehenden und der Wille zu Reformen fand beim Bürgertum großen Anklang. Die Begriffe »Vernunft« und »Freiheit« wurden zu Waffen gegen die herrschenden geistlichen und adeligen Mächte. Mitte des 18. Jahrhunderts politisierten und radikalisierten sich in Frankreich die aufklärerischen Ideen. Weil die Aufklärer hier in grundsätzlicher Opposition zum gesellschaftlichen, religiösen und politischen System standen, lebten sie oft ein Doppelleben: nach außen angepasst, in ihrer privaten Überzeugung revolutionär. Das Spektrum reichte bis zu Skeptizismus, Atheismus und Materialismus.

Wie war das Verhältnis zum Absolutismus?

Absolutistische Herrscher waren eine Art Negativfolie der Aufklärung: Wo die Aufklärer Vernunft, Freiheit und Tugend predigten, lebten die Monarchen ihren Untertanen Unvernunft, Unfreiheit und Unmoral vor. Die meisten Philosophen der Aufklärung versuchten, den Absolutismus im eigenen Sinne zu verbessern – als aufgeklärten Reformabsolutismus. Berühmtestes Beispiel war Voltaire, der sich 1750–1753 auf Einladung König Friedrichs II. als Gast auf Schloss Sanssouci in Potsdam aufhielt. Nur wenige, wie etwa Jean Meslier (1664–1733) in seinem politischen Testament »Mémoire des pensées et des sentiments de Jean Meslier«, wählten die radikalere Methode, die absolute Monarchie als Despotismus oder Tyrannei zu verdammen, um für einen generellen Umsturz zu kämpfen.

Welche politischen Auswirkungen gab es?

Die Ideen der Aufklärung führten in letzter Konsequenz zum Nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) und zur Französischen Revolution (1789) und bedingten den Liberalismus des 19. Jahrhunderts. Die Französische Revolution war gleichzeitig Höhe- und Endpunkt der Aufklärung. Zwar entsprach die Verkündung der Menschenrechte den Forderungen der Aufklärung, doch ließen sich im weiteren Verlauf der Revolution blutiger Terror und französisches Vormachtstreben nicht mehr mit ihr vereinbaren.

Wussten Sie, dass …

Jean-Jacques Rousseau wegen der Verbreitung einer Natur- und und Gefühlsreligion im »Émile« (1762) jahrelang politisch verfolgt wurde? »Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts« (ebenfalls 1762) wurde ebenfalls verboten.

Rousseaus »Julie oder Die neue Héloïse« (1761) eine ganze Reihe von Briefromanen in Europa nach sich zog? Der bekannteste deutsche Vertreter ist Goethes »Die Leiden des jungen Werther«.

Wussten Sie, dass …

die Strömung des Materialismus das gesamte Weltgeschehen als Wirkung des Stoffs und seiner Bewegung erklärte? Julien Offray de La Mettrie (1709–1751) etwa beschrieb den Menschen in seinem Hauptwerk »L'homme machine« (1747) als einen Mechanismus ohne eigenständige Seele und ohne Freiheit.

Was hatte Jean-Jacques Rousseau Voltaire voraus?

Der am 28.6.1712 in Genf geborene Rousseau wirkte nicht nur als aufklärerischer Philosoph und Schriftsteller, sondern auch als Komponist und Musiktheoretiker (Musikbeiträge für die »Encyclopédie«). Der Sohn eines kalvinistischen Uhrmachers kam früh nach Frankreich, konvertierte zum Katholizismus (1754 Rückkehr zum Kalvinismus) und wurde 1750 schlagartig bekannt mit einer »Abhandlung über die Wissenschaften und Künste«, in der er deren positiven Einfluss auf die Moral verneinte. Seine Hauptwerke entstanden Anfang der 1760er Jahre in Paris: der Briefroman »Julie oder Die neue Héloïse« (1761), »Émile oder Über die Erziehung« und »Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts« (beide 1762). Rousseau starb am 2.7.1778 in Ermenonville/Senlis.

Wussten Sie, dass …

Immanuel Kant (1724 bis 1804) die Aufklärung auf eine griffige Formel brachte? »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.«

Wie wurde Voltaire zum bekanntesten französischen Aufklärer?

Voltaire wurde am 21.11.1694 als François-Marie Arouet in eine Pariser Juristenfamilie geboren, lernte 1726–1729 in England Isaac Newtons Mechanik und John Lockes Empirismus kennen, wurde 1746 Mitglied der Académie française und lebte 1750–1753 auf Einladung Friedrichs II. auf Schloss Sanssouci in Potsdam. In seinen philosophischen Vorstellungen, die u. a. in seine Artikel für die französische »Encyclopédie« eingeflossen sind und wesentlich von der englischen Aufklärung geprägt sind, trieb er in Frankreich den Prozess der aufklärerischen Bewusstseinsbildung wie kein zweiter voran und wurde nach seinem Tod am 30.5.1778 in Paris als Held der Französischen Revolution ins Panthéon überführt. Bekannt ist auch sein satirischer Roman »Candide oder Der Optimismus« (1759).

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