Wissensbibliothek

Die Terrakotten der Nok-Kultur: Zeugnisse afrikanischer Kunst

Wo ist die Nok-Kultur geografisch anzusiedeln?

Die Nok-Kultur verdankt ihren Namen dem kleinen Ort Nok, der östlich des Flusses Niger auf dem Jos-Plateau im Zentrum Nigerias liegt. In seiner Umgebung wurde 1928 beim Zinnabbau der erste Fund eines eigenständigen Kunststils gemacht: ein imposanter, fast lebensgroßer Terrakotta-Kopf, offensichtlich Bruchstück einer Figur. Hier schuf ein Volk, dessen Geschichte völlig im Dunkeln liegt, vor rund 2000 Jahren die ältesten bekannten Kunstwerke aus dem Afrika südlich der Sahara.

Auf den Zufallsfund folgten zahlreiche archäologische Grabungen, die bis heute mehrere tausend Objekte ans Tageslicht brachten. Zahlreiche Fragmente waren darunter, aber auch fast vollständige Figuren. Neben Skulpturen verschiedener heimischer Tiere – Elefanten etwa, Schlangen, sogar eine Zecke – zeigt ein Großteil der Funde menschliche Figuren und Köpfe. Auch fantastische Mischwesen aus menschlichen und tierhaften Elementen sowie Gefäße mit figürlichen Verzierungen wurden in den letzten Jahren von den Archäologen immer häufiger gefunden.

Was macht die Figuren so einzigartig?

Die Skulpturen bezeugen durch ihre Dimensionen eine außerordentliche Meisterschaft in der Brenntechnik und die fachmännische Beherrschung des Materials. Auch ihre kühne Ästhetik erregt Bewunderung. Die Bildhauer der Nok-Kultur gelten als die frühesten Künstler im Afrika südlich der Sahara, die sich an die Herstellung von nahezu lebensgroßen Terrakotta-Figuren gewagt haben. Die größten der bisher geborgenen Werke sind bis zu eineinhalb Meter hoch.

Als Rohmaterial für die Skulpturen diente Lehm, der zerkleinerte Steinstücke und Quarzbestandteile enthielt. Die Wahl der Tonsorten und das Mischungsverhältnis waren wohldurchdacht. Die Terrakotten wurden von Hand in Aufbautechnik modelliert. Innen sind sie stets hohl, denn dort waren sie durch ein Holzgerüst gestützt, das beim anschließenden Brennen – im offenen Feldbrand – vom Feuer aufgezehrt wurde. Die Werke blieben unglasiert.

Was ist charakteristisch für den Stil der Nok?

Die vollständig erhaltenen menschlichen Figuren sind sitzend oder kniend dargestellt. Die Köpfe sind langgezogen, konisch oder zylindrisch und stark vergrößert. Die stilisierten Gesichter zeichnen sich durch flache Nasen und Augen in Dreiecksform aus. Bei größeren Köpfen sind die Pupillen, Nasenlöcher und Mundöffnungen gelocht. Die kunstvollen Frisuren und Schmuckstücke sind sehr detailliert ausgeführt. Trotz der Stilisierung zeigen die Bildnisse unterschiedliche »Persönlichkeiten«, lassen in den Gesichtszügen Individualität aufscheinen, was ihre kraftvolle Wirkung auf den Betrachter noch verstärkt.

Wen zeigen die Figuren?

Die oft sehr aufwändigen Frisuren und Schmuckstücke lassen vermuten, dass sie Herrscher, Priester oder andere hochrangige Persönlichkeiten darstellen. Möglicherweise handelt es sich auch um Ahnenfiguren, also Figuren von Verstorbenen, die von der Gemeinschaft als Ahnen anerkannt waren. Vielleicht waren die Figuren auf Altären, in Schreinen oder rituellen Räumen aufgestellt, wie es in Nigeria bei bestimmten Bevölkerungsgruppen bis ins 20. Jahrhundert mit Holz- und Lehmfiguren üblich war. Die kleinsten unter ihnen mögen als Amulette oder Schmuck getragen worden sein.

Wann sind die Kunstwerke entstanden?

Wann genau die Skulpturen geschaffen wurden, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Moderne naturwissenschaftliche Untersuchungen datieren die meisten Kunstwerke der Nok-Kultur zwischen 500 vor und 500 n.Chr. Einige Forscher weiten allerdings ihren Entstehungszeitraum erheblich aus. Sicher ist jedoch, dass die Menschen der Nok-Kultur auch zu den ältesten uns bekannten Eisenschmelzern südlich der Sahara zählten. Dies belegen verschiedene Funde von eisernen Gegenständen und die Überreste von Schmelzöfen, Schlacke sowie Tonröhren für Blasebalge.

Wodurch wird die Arbeit der Archäologen erschwert?

Meist fehlt zu den Fundumständen jede Dokumentation. Die meisten Nok-Terrakotten werden in einer Tiefe von eineinhalb bis zehn Metern gefunden, und zwar vielfach von archäologischen Laien und Raubgräbern. Und die haben leider meist nur ein finanzielles Interesse an den gut erhaltenen Köpfen der Skulpturen, lassen dazugehörige Fragmente im Boden oder zerstören sie. Deshalb fällt es den Archäologen schwer, die Kunstwerke in einen historischen Kontext einzubinden, Informationen zu sammeln über die Menschen, die sie erdachten und erschufen, und über die Kultur, die sie entstehen ließ.

Wussten Sie, dass …

eine der ersten Nok-Skulpturen, die von Forschern entdeckt wurde, als Vogelscheuche gedient hatte?

die Terrakotten auf dem Schwarzmarkt für Tausende von Euro gehandelt werden?

man die Skulpturen und Gefäße der Nok-Kultur unter anderem als Grabbeigaben gedeutet hat? Allerdings wurden bislang bei Ausgrabungen keine Terrakotten in Gräbern gefunden und auch keine Menschenknochen in unmittelbarer Nachbarschaft der Kunstwerke.

Wie ist es um die Archäologie in Afrika bestellt?

Schlecht, denn fachmännische Grabungen finden im Afrika südlich der Sahara bislang nur selten statt. Dennoch werden immer wieder frühe afrikanische Kulturen mit beeindruckenden Kunstformen entdeckt. Ein großes Problem stellen die häufigen Raubgrabungen dar, die wertvolle Spuren für die wissenschaftliche Erforschung afrikanischer Vergangenheit zerstören. Und dieses Problem ist nicht neu, nachdem afrikanische Kunst bei europäischen Sammlern seit Anfang des 20. Jahrhunderts begehrt ist und deshalb viel Geld bringt.

Skyline, Hochhäuser, Dubai
Wissenschaft

Neue Hochhäuser –leicht, biegsam und gut zu recyceln

Wie können Architekten und Bauingenieure mehr Wohnraum mit weniger Material für die wachsende Weltbevölkerung schaffen? Ein groß angelegtes Forschungsprojekt der Universität Stuttgart entwickelt innovative Lösungen. von ROLAND BISCHOFF Bei klarer Sicht ist die Spitze des Kolosses schon aus 100 Kilometer Entfernung zu sehen. Burj...

Skyline, Hochhäuser, Dubai
Wissenschaft

Neue Hochhäuser –leicht, biegsam und gut zu recyceln

Wie können Architekten und Bauingenieure mehr Wohnraum mit weniger Material für die wachsende Weltbevölkerung schaffen? Ein groß angelegtes Forschungsprojekt der Universität Stuttgart entwickelt innovative Lösungen. von ROLAND BISCHOFF Bei klarer Sicht ist die Spitze des Kolosses schon aus 100 Kilometer Entfernung zu sehen. Burj...

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Artikel aus dem Kalender

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon