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Musikalische Exequien von Schütz: Einheit von Musik und Text

Was hatte Luther mit der Kirchenmusik im Sinn?

Er wollte die Musik aus der Ecke holen– denn während die Reformation die bildende Kunst in eine existenzielle Krise geführt hatte, wies Martin Luther der Musik innerhalb der Liturgie einen zentralen Platz zu. Nachdem zunächst vor allem Werke katholischer Komponisten durch Unterlegung deutscher Texte für den neuen Kultus adaptiert worden waren, entwickelte die protestantische Kirchenmusik ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend eigene Formen (Choral, Spruchmotette). Doch erst die Auseinandersetzung mit dem modernen konzertanten Stil italienischer Prägung schuf jene eigenständige evangelische Kirchenmusik, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kennzeichnend ist.

Warum zog es Schütz nach Venedig?

Venedig war mit Adriaen Willaert (um 1490–1562) und Andrea Gabrieli (um 1510 bis 1586) zur führenden musikalischen Instanz aufgestiegen. Ein Studienaufenthalt in der Dogenrepublik wurde für junge, aufstrebende Musiker aus dem Raum nördlich der Alpen fast obligatorisch. Im Gegensatz zur traditionellen motettischen Kompositionsweise mit einem mehrstimmigen Vokalsatz hatte sich in der Zeit um 1600 die so genannte Monodie herausgebildet, die auf dem Zusammenspiel von Sologesang und einem begleitenden Generalbass basiert und insbesondere für die Entwicklung der Oper von herausragender Bedeutung war.

Nach seiner Rückkehr aus Italien wurde Schütz 1617 Hofkapellmeisters in Dresden. Der sächsische Hof nahm seit Luthers Zeiten eine Vorreiterstellung in der Entwicklung der protestantischen Liturgie ein. Neben der Vertonung der »Psalmen Davids« (1619/1628) und der »Auferstehungshistoria« (1623) zählen vor allem die »Musikalischen Exequien« zu Schütz' epochalen und wegweisenden Werken. Äußerer Anlass für diese Komposition war der Tod seines in Gera residierenden Landesvaters und Gönners Heinrich Posthumus von Reuß 1635. Noch zu seinen Lebzeiten hatte dieser in Abstimmung mit Heinrich Schütz und seinem Hofprediger die Texte seiner Begräbnismusik bis in das letzte Detail festgelegt.

Wie sind die »Exequien« aufgebaut?

Den Auftakt der dreiteiligen »Musikalischen Exequien« bildet ein »Concert in Form einer teutschen Begräbnis-Missa«, das sich aus einem Introitus und einem deutschen Kyrie zusammensetzt, in das die Verse der Sarginschriften des Fürsten integriert sind. Vor allem der Wechsel von solistischen und chorischen Abschnitten, bei denen der Chor die Erbarmensrufe und die Solisten die Sarginschriften übernehmen, erinnert an die mittelalterliche Tradition des Tropierens (Einschieben von Texten in ein vorgegebenes Stück).

Der Mittelteil ist dem Text der Leichenpredigt gewidmet und zeigt sich in seiner streng doppelchörigen Anlage (zwei vierstimmige Chöre) der venezianischen Mehrchörigkeit verpflichtet, wobei Schütz neben der Klanglichkeit besondere Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von Wort und Ton legt. Jeder Ausruf »Herr!« wird mit einer langen Note vertont und durch die anschließende Pause als Ausrufezeichen verstärkt.

Den Abschluss der »Exequien« bildet der Gesang des Simeon: »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren.« Der vollstimmigen Capella mit dem Haupttext wird ein dreistimmiges Soloensemble gegenübergestellt, das, in der Ferne postiert, die Seligpreisung »Selig sind die Toten, die im Herren sterben« als Vision des Paradieses vorträgt.

Warum ist die Musik von Schütz noch modern?

Weil er großen Wert auf eine möglichst enge Verbindung von Wort und Ton legt. Rhythmik und Phrasierung der Musik werden in den Dienst des vertonten Textes gestellt und unterstreichen den Anspruch auf eine ganzheitliche Qualität. Wesentlich für das Verständnis der Werke von Heinrich Schütz und besonders der »Exequien« ist sein Bemühen, das Verhältnis von Musik und Sprache rhetorisch zu definieren. Ähnlich wie die Madrigalismen im 16. Jahrhundert soll die Vertonung unmittelbarer und charakteristischer Ausdruck von Wort und Text sein. Die deutsche Sprache mit ihren harten Konsonanten bot dafür ungleich günstigere Voraussetzungen als die vokalorientierten romanischen Sprachen.

Aus welchen Gründen hielt es Heinrich Schütz nie lange in Deutschland?

Heinrich Schütz wurde 1585 im thüringischen Köstritz geboren; ab 1598 förderte Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, in dessen Kantorei er als Sänger wirkte, sein Talent und gewährte ihm 1609 ein Stipendium zur Ausbildung in Venedig. Dort lernte Schütz sowohl die prachtvolle Mehrchörigkeit, wie sie an San Marco gepflegt wurde, als auch den modernen »stile concertato« von Ludovico Viadana (1560–1627) und Claudio Monteverdi (1567–1643) kennen.

Nach seiner Lehrzeit in Italien trat Schütz 1617 als Hofkapellmeister in den Dienst des sächsischen Kurfürsten in Dresden. 1628 reiste der Komponist nach diversen Schicksalsschlägen erneut nach Italien, wo er Monteverdi traf und neue Anregungen erhielt. Über Dresden ging er 1633 wegen des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland an den dänischen Hof, blieb aber Deutschland weiterhin verbunden. Er starb 1672 in Weißenfels bei Leipzig.

Wussten Sie, dass …

Heinrich Schütz 1627 mit »Dafne« die erste deutsche Oper komponierte? Allerdings wurde die Partitur bei einem Brand zerstört, das Werk ist nicht überliefert.

Schütz anscheinend über den Tod hinaus vom Unglück verfolgt war? Er wurde in der Vorhalle der alten Frauenkirche in Dresden beigesetzt. Als diese aber 1727 für den Neubau abgerissen wurde, gingen seine Gebeine verloren.

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