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Der Arbeitszeugnis-Code

Je besser das Arbeitszeugnis, desto höher die Chance auf den nächsten Job. Und weil das so ist, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Zeugnis einerseits wahr sein muss und andererseits die Karriere des Arbeitnehmers nicht ungerechtfertigt erschweren darf. Ein Arbeitszeugnis sagt aber häufig mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Manchmal sagt es auch absichtlich zu wenig. Welche Formulierungen gehören in jedes Arbeitszeugnis? Was bedeuten sie wirklich? Den Arbeitszeugnis-Code geknackt hat für uns der Hamburger Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Lars Kohnen.
von wissen.de-Autorin Susanne Böllert, April 2013

wissen.de: Welche Arten von Arbeitszeugnissen gibt es überhaupt?

Lars Kohnen: Grundsätzlich wird bezüglich des Inhalts unterschieden zwischen einfachen und qualifizierten Arbeitszeugnissen. Hinsichtlich des Ausstellungszeitpunktes unterscheidet man zwischen dem Zwischenzeugnis und dem Beendigungszeugnis. Das Zwischenzeugnis bekommt man während des laufenden Arbeitsverhältnisses zum Beispiel wegen einer Beförderung. Das Beendigungszeugnis erhält man dagegen am Ende eines Arbeitsverhältnisses. Ein einfaches Arbeitszeugnis enthält nur die durchgeführten Aufgaben und die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses. Das qualifizierte Arbeitszeugnis enthält weitere Angaben: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerdaten, Tätigkeitsbeschreibung, Leistungsbeurteilung, Verhaltensbewertung und Gesamtbewertung. Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis. Dieser Anspruch sollte unbedingt sofort nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden.

 

wissen.de: Woran erkenne ich, ob mein Chef mir ein gutes Zeugnis ausgestellt hat? Können Sie den Arbeitszeugnis-Code für uns entschlüsseln?

Lars Kohnen: Der erste Anhaltspunkt ist natürlich die vom ehemaligen Chef vergebene „Gesamtnote“. Aber selbst wenn die gut sein sollte, heißt das noch nicht, dass das Zeugnis auch tatsächlich positiv ist. So einfach ist das mit dem Arbeitszeugnis-Code natürlich nicht. Der hat sich übrigens deswegen entwickelt, weil Zeugnisse generell wohlwollend und im Interesse des Mitarbeiters formuliert werden müssen. Eigentlich dürfen Arbeitgeber also nichts Negatives schreiben. Tun sie aber doch! Und zwar zwischen den Zeilen. Dafür wenden sie ganz bestimmte Techniken an.

Beispielsweise die Leerstellentechnik: Der Arbeitgeber lässt bestimmte Angaben im Zeugnis einfach aus, was ein Hinweis darauf sein kann, dass der Arbeitnehmer eben gerade hier Schwächen hatte. Insbesondere wenn Schlüsselqualifikationen für einen Job – wie etwa Kreativität bei einem Werbetexter – nicht erwähnt, dafür aber unwichtige Dinge sehr betont werden, ist dies ein Zeichen dafür, dass der Arbeitgeber nicht so zufrieden war, wie das Zeugnis auf den ersten Blick vermuten lässt.

Wichtig im Arbeitszeugnis-Code ist auch, dass die richtige Reihenfolge eingehalten wird. So sollten Schlüsselaufgaben und -qualifikationen zuerst genannt werden. Weniger wichtige Arbeiten kommen dann weiter hinten.

Dieser Trick des Arbeitszeugnis-Codes, die Umkehrung der richtigen Reihenfolge, kann auch bei der Verhaltensbewertung angewandt werden: Wenn ein Arbeitgeber beispielsweise schreibt, „der Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten war vorbildlich", ist dies ein Hinweis darauf, dass es eben nicht so war. Eigentlich müssten nämlich die Vorgesetzten in dieser Aufzählung an erster Stelle stehen.

 

wissen.de: Welche Techniken gibt es noch, und ist deren Einsatz immer ein Zeichen dafür, dass mein Chef mir ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hat?

Lars Kohnen: Chefs, die den Arbeitszeugnis-Code richtig gut drauf haben, können noch eine ganze Reihe von Techniken anwenden. Sie unterschreiben zum Beispiel nicht selbst, sondern lassen das eine in der Hierarchie weiter unten stehende Person tun. Das entwertet das Zeugnis automatisch.

Oder sie wenden die Negationstechnik an und verneinen negative Begriffe nochmals. Dadurch entsteht zwar zunächst ein positiver Eindruck. Doch wenn im Zeugnis steht: „Er erzielte nicht unerhebliche Verkaufserfolge", heißt das womöglich: „Er war kein so guter Verkäufer.“ Ein solcher Schluss wäre nicht möglich, wenn im Zeugnis ganz klar stünde: „Er erzielte sehr gute Verkaufserfolge.“

Manchmal gehen Arbeitgeber beim Arbeitszeugnis dem Code jedoch selbst auf den Leim, da sie sich mit diesem gar nicht auskennen, und verwenden versehentlich zweideutige Formulierungen. So könnte der Arbeitnehmer in unserem Beispiel durchaus in beiden Fällen ein guter Verkäufer gewesen sein, was ihm der Chef auch attestieren wollte. Man sollte daher nicht zu kritisch einzelne Wörter oder Sätze deuten, sonst findet sich in fast jedem Zeugnis ein „versteckter Hinweis“, der eigentlich gar keiner sein soll. Stattdessen sollte man das Zeugnis mit gesundem Menschenverstand lesen und als Ganzes betrachten. Dass jemand, der „sehr zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen hat" oft zu tief ins Glas geschaut hat, dürfte mittlerweile jeder wissen. Dass aber mit der Aussage, „er erledigte seine Arbeiten mit großer Genauigkeit und Sorgfalt“, stets gemeint sein soll, dass der Arbeitnehmer bemerkenswert langsam war, kann ich nicht bestätigen. Eventuell hat der Feinmechaniker ja tatsächlich besonders sorgfältig und genau gearbeitet. Wenn sich dann aus dem Zeugnis zusätzlich ergibt, dass er nicht langsam war, ist das ja gut. Wenn man aber auf Nummer sicher gehen möchte, sollte man den Chef darum bitten, die positive und eindeutige Formulierung zu verwenden, also zum Beispiel „vorbildlich“ statt „tadellos“.

 

wissen.de: Gibt es für die Erstellung von Zeugnissen feste Regeln?

Lars Kohnen: Ja, die Arbeitgeber haben bestimmte Regeln einzuhalten. Zunächst einmal muss das Zeugnis der Wahrheit entsprechen. Zudem darf es das weitere berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unnötig erschweren. Der Arbeitgeber muss außerdem gutes und haltbares Papier im Format DIN A4 benutzen, und dass das Zeugnis sauber und ordentlich in einheitlicher Schriftform geschrieben ist. Flecken, Verbesserungen, Durchstreichungen oder ähnliches darf es im Arbeitszeugnis nicht geben. Das Zeugnis muss mit einem ordnungsgemäßen Briefkopf ausgestattet sein mit Namen und Anschrift des Ausstellers. Der Unterschrift ist ein Firmenstempel beizufügen.

Auch für den Aufbau gibt es eine feste Struktur. Das Zeugnis beginnt mit der Überschrift und dem Einleitungssatz mit Personalien des Arbeitnehmers und Dauer des Arbeitsverhältnisses. Dann folgt die Aufgabenbeschreibung des Mitarbeiters mit anschließender Beurteilung der Leistung. Erst dann kommen die Verhaltensbeurteilung und der Schlussabsatz. Wenn der Arbeitnehmer das möchte, muss Grund für das Ende des Arbeitsverhältnisses angegeben werden. Ganz am Ende folgt dann die Dankesformel mit Zukunftswünschen. Aber auf die guten Wünsche hat der Arbeitnehmer leider keinen Anspruch.

 

wissen.de: Was kann ich tun, wenn ich gar kein oder aber ein schlechtes Zeugnis bekommen habe?

Lars Kohnen: Weigert sich ein Arbeitgeber, ein Zeugnis auszustellen, oder stellt er ein schlechtes Zeugnis aus, kann man den ehemaligen Arbeitgeber auf Erstellung, beziehungsweise Korrektur des Zeugnisses in Anspruch nehmen und diesen Anspruch auch vor dem Arbeitsgericht einklagen. Allzu lange sollte man damit aber nicht warten. Wer sich nicht sicher ist, ob sein Zeugnis „versteckte Hinweise“ enthält, sollte das Zeugnis lieber von einer auf den Arbeitszeugnis-Code spezialisierten Agentur oder einem Arbeitsrechtsanwalt prüfen lassen. Eine erste Checkliste gibt es auf der Homepage meiner Kanzlei.

Übrigens:  Wenn das Arbeitsverhältnis nicht durch Befristung oder Kündigung, sondern durch einen Aufhebungsvertrag endet, sollte man den konkreten Wortlaut des Zeugnisses bereits im Aufhebungsvertrag regeln.

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