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Die Mär von den gefährlichen Flüchtlingen
Es ist das wohl heikelste Thema im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom der vergangenen Jahre: die Kriminalität von Migranten und Asylbewerbern. Stand die Welle der Einwanderung nach Deutschland zunächst ganz im Zeichen der viel zitierten Willkommenskultur, kippte die Stimmung spätestens in der Silvesternacht von 2015 auf 2016.
Damals kam es in Köln zu massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen. Die Täter: hauptsächlich junge Männer aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum – darunter etliche Asylsuchende. Ein Jahr später wühlte dann der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt erneut die Gemüter auf. Denn der Attentäter Anis Amri war in der Bundesrepublik als Asylbewerber registriert.
Gefährliche Kriminelle?
Immer wieder werden seitdem Vorwürfe laut, mit den Flüchtlingen kämen überdurchschnittlich viele, gefährliche Kriminelle ins Land. Vor allem vom rechten Rand der Gesellschaft wird dieses Argument gerne angeführt, um gegen ausländische Schutzsuchende zu hetzen. Eine Studie vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung nimmt diesen Menschen nun jedoch den Wind aus den Segeln.
Für die Untersuchung haben Wissenschaftler Informationen der Polizeilichen Kriminalstatistik und des Ausländerzentralregisters aus den Jahren 2010 bis 2015 ausgewertet. Sie wollten wissen: Welchen Einfluss hat die Zuwanderung von Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen auf unterschiedliche Deliktarten in Deutschland?
Kein pauschaler Anstieg
Die Auswertung zeigt: Der Flüchtlingszuzug hat zumindest keinen pauschalen Anstieg der Kriminalität zur Folge gehabt. Zwar offenbart eine erste Analyse aller Deliktarten, dass ein Anstieg der Asylbewerberzahl auch mit einem Anstieg der Kriminalitätsrate verbunden ist. Allerdings handelt es sich bei den kriminellen Aktivitäten, die zu diesem Anstieg führen, zumeist um migrationsspezifische Delikte.
Hierzu gehören beispielsweise Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz – Taten, die von der einheimischen Bevölkerung gar nicht begangen werden können. Rechnet man diese Art von Delikten aus der Statistik heraus, verändert sich die Kriminalitätsrate in einem Kreis durch den Zuzug Asylsuchender nicht signifikant.
Mehr gewaltfreie Delikte
Etwas anders sieht das bei der Gruppe der bereits anerkannten Flüchtlinge aus. Sie treiben vor allem die Zahl gewaltfreier Delikte wie Diebstahl und Betrug in die Höhe. Steigt der Anteil der anerkannten Flüchtlinge im Kreis um einen Prozentpunkt, so erhöht dies den Anteil der tatverdächtigen Flüchtlinge um gut 0,4 Tatverdächtige pro 100 Einwohner, wie die Forscher berichten. Mit Blick auf gefährlichere Vergehen wie Gewaltverbrechen, Raub oder Sexualdelikte lässt sich dagegen kein Anstieg des Kriminalitätsniveaus feststellen.
Schuld an dem Anstieg der gewaltfreien Delikte sind der Studie zufolge vor allem solche Flüchtlinge, die in Regionen ziehen, in denen schon viele weitere Migranten gleicher Nation leben. Dies betrifft insbesondere Großstädte wie Berlin, München, Hamburg und Köln sowie Regionen wie das Ruhrgebiet und die Rhein-Main-Region.
Faktor Bildung
Frühere Analysen haben gezeigt, dass insbesondere Einwanderer mit einem niedrigen Bildungsniveau bevorzugt Wohnorte wählen, an denen bereits etliche Mitbürger der eigenen Ethnie leben. Gleichzeitig erhöht ein niedriges Bildungsniveau allgemein die Wahrscheinlichkeit, kriminell zu werden – auch bei gebürtigen Deutschen. Dies könne den beobachteten Zusammenhang womöglich erklären, schreiben die Autoren.
Und noch etwas zeigt die Untersuchung: Auch auf das kriminelle Verhalten der einheimischen Bevölkerung hat die Zahl der Flüchtlinge keinen Einfluss. Insgesamt ergeben sich demnach keine Hinweise darauf, dass die Kriminalität in Deutschland durch die Flüchtlingseinwanderung kurzfristig pauschal zugenommen hat. Fundierte Aussagen zu langfristigen Auswirkungen seien dagegen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich, schließt das Team