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Haben wir bald Gentechnik auf dem Teller?
Schon lange diskutiert die Europäische Kommission, ob die Regulierung gentechnisch veränderter Pflanzen womöglich gelockert werden sollte. Gegenstand der aktuellen Debatte sind vor allem die neueren Methoden der Gentechnik, die nach 2001 erfunden wurden. Man nennt sie auch „new genomic techniques“ oder kurz NGT. Heute legt die EU-Kommission die Richtung für die Zukunft von NGT-Pflanzen fest.
Was sind NGT-Pflanzen?
Verändert man das Erbgut einer Pflanze mit neuen gentechnischen Methoden, macht sie das zu einer sogenannten NGT-Pflanze. Und das funktioniert so: Die DNA einer Pflanze legt unter anderem ihre Farbe und Wuchshöhe, die Anzahl ihrer Früchte und ihren Wasserbedarf fest. Schreibt man diesen DNA-Code nun gezielt um, indem man einzelne Gene stilllegt oder abändert, lassen sich damit auch die Eigenschaften der Pflanze verändern. Sie kommt dann eventuell besser mit Trockenheit klar oder wirft mehr Früchte pro Ast ab.
Dieses Umschreiben der DNA wird auch Genom-Editierung genannt und ist mit den neuen Methoden der Gentechnik weit präziser möglich als früher. Dazu gehört zum Beispiel die Genschere CRISPR/Cas, die DNA-Sequenzen bis auf die einzelne DNA-Base genau verändern und „umprogrammieren“ kann. Bei früheren Methoden mussten neue Gensequenzen entweder in die Zelle geschossen werden oder mittels Viren eingeschleust. Beides war jedoch sehr unpräzise und bewirkte dadurch auch unvorhersehbare und nicht erkennbare Veränderungen des Erbguts.
Dass wir Pflanzen zu unserem Vorteil ändern, ist allerdings nichts Neues. Das tun wir bereits, seit wir vor 10.000 Jahren die Landwirtschaft erfunden haben – damals allerdings noch in Form von gezielten Züchtungen und Kreuzungen.
Warum steht Gentechnik in der Kritik?
Kritiker von Gentechnik befürchten, dass die Folgen der DNA-Manipulationen noch nicht in Gänze absehbar sind. Sie könnten zum Beispiel Risiken für die Gesundheit der Verbraucher darstellen. „Und für die Umwelt besteht unter anderem eine Bedrohung der Artenvielfalt und erhöhter Gifteinsatz auf dem Acker durch herbizidresistente Gentech-Pflanzen und eine Schädigung unserer Nutzinsekten durch insektenresistente Pflanzen“, kritisiert der Naturschutzbund BUND.
Als Paradebeispiel für die Vorsicht gegenüber Gentechnik gilt der sogenannte Bt-Mais, umgangssprachlich auch Genmais genannt. Dabei handelt es sich allerdings – anders als bei den meisten heute zur Debatte stehenden NGT-Pflanzen – um eine transgene Pflanze: Bei diesem Mais wurde nicht das eigene Erbgut verändert, sondern ihm wurden artfremde Gensequenzen eingesetzt. Sie stammten vom Bakterium Bacillus thuringiensis, das ein insekten-tötendes Gift produziert. Das Gen dieses Bakteriums hat dem Bt-Mais die Fähigkeit verliehen, sich gegen Schädlinge wie den Maiszünsler zu wehren. Doch das von ihm produzierte Gift tötet auch nützliche Insekten.
Wie werden Gen-Pflanzen aktuell in der EU gehandhabt?
Gentechnisch veränderte Pflanzen müssen hierzulande erst von der EU genehmigt werden, bevor sie importiert oder angebaut werden dürfen. Sie fallen unter die Regularien für „genveränderte Organismen“ (GVO). Die Saatgutunternehmen müssen also erst entsprechende Zulassungsanträge stellen, die dann streng geprüft werden.
Bisher hat die EU den Import von 94 genveränderten Pflanzenarten und den Anbau des Bt-Maises erlaubt. Bald könnten es allerdings deutlich mehr Pflanzen sein, denn die EU-Kommission ist womöglich kurz davor, die Regelungen im Gentechnikgesetz zu lockern.
Was könnte die EU-Kommission heute beschließen?
Noch hat die EU-Kommission ihren Vorschlag zwar nicht offiziell vorgelegt, doch ein geleakter interner Entwurf zeigt zumindest, in welche Richtung es wahrscheinlich geht. Glaubt man dem Entwurf, dann hat die EU-Kommission vor, einer Vielzahl von NGT-Pflanzensorten den strengen Zulassungsprozess zu ersparen, den sie aktuell noch durchlaufen müssen. Diese Pflanzen würden dann das Label NGT-1 tragen.
Saatgutunternehmen müssten NGT-1-Pflanzen in Zukunft also nur noch offiziell anmelden und in ein öffentliches Register eintragen, jedoch keine langwierige Zulassung mehr erwerben. Während Saatgut weiterhin als gentechnisch verändert deklariert werden müsste, entfiele diese Kennzeichnungspflicht bei Lebens- und Futtermitten. Ob das Popcorn oder Brot im Supermarkt Teile von NGT-Pflanzen enthält, wäre für den Verbraucher somit nicht mehr ersichtlich. Er könnte nicht mehr frei entscheiden, ob Gentechnik auf seinem Teller landet oder nicht.
Für welche Pflanzen ist die NGT-1-Kategorie vorgesehen?
Um vom beschleunigten Zulassungsprozess zu profitieren, müssen die gentechnisch veränderten Pflanzen laut Entwurf zwei Bedingungen erfüllen. Erstens: Sie dürfen kein Erbgut von anderen Arten, zum Beispiel Bakterien, enthalten. Zweitens: Sie müssen substanziell gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen sein. Das bedeutet, dass sich die gentechnischen Veränderungen einer NGT-1-Pflanze theoretisch auch mittels klassischer Kreuzungen erzeugen lassen könnten.
Das Erbgut einer NGT-1-Pflanze darf sich daher nur minimal von der Pflanze unterscheiden, aus der sie entstanden ist. Genauer gesagt schreibt der vorläufige Entwurf maximal 20 genetische Veränderungen in „vorhersehbaren DNS-Sequenzen“ vor. Züchter dürften also zum Beispiel bis zu 20 Basenpaare ersetzen, einfügen oder eine beliebig große Anzahl aus dem Erbgut entfernen.
Eine vereinfachte Zulassung könnte zukünftig aber auch für Pflanzen gelten, die den genannten Kriterien nicht entsprechen. Dafür müssen sie laut Entwurf bestimmte Nachhaltigkeitsbedingungen erfüllen, also zum Beispiel toleranter gegenüber Trockenheit und Hitze sein, Resistenzen gegen Krankheitserreger beherbergen oder einen höheren Ertrag beziehungsweise eine optimierte Nährstoffzusammensetzung aufweisen.
Wie sehen Wissenschaftler den geleakten Vorschlag?
Unter wissenschaftlichen Experten stößt die geleakte Version des Vorschlags überwiegend auf Zustimmung. „Wenn der Regulationsvorschlag am 5. Juli so kommt, wäre das ein sehr großer Schritt in die richtige Richtung, für die europäische Wissenschaft wie auch für die Züchter. Es wäre ein ganz wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft in Europa mit weniger Pestizideinsatz und Kulturpflanzen, die dem Klimawandel besser standhalten könnten“, sagt zum Beispiel Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie.
Ein wenig kritischer sehen Wissenschaftler allerdings die vorgeschriebene Grenze von maximal 20 genetischen Veränderungen im Erbgut. Während einige sie sinnvoll und ausreichend finden, beklagen andere, dass sie zu wenig Spielraum für gentechnische Veränderungen lässt beziehungsweise schlicht willkürlich gezogen ist.
„Wieso eine magische Zauberzahl von 20 Nukleotiden für ‚sichere‘ Manipulation von Genen gelten soll, hat nichts mit Wissenschaft zu tun und ist schlicht Gegenstand von politischen Verhandlungen. Der Kontext ist entscheidend dafür, welche genbeeinflussten Veränderungen zu welchen Konsequenzen führen“, kritisiert etwa Angelika Hilbeck von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Ihr zufolge könne bereits die Veränderung eines einzigen Gens dramatische Folgen haben.