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"Heerschau des Proletariats"

Im 19. Jahrhundert nahm die Tradition des "politischen" 1. Mai ihren Anfang. Aus der ursprünglichen "Heerschau des Proletariats" sind die heute oft ritualisiert wirkenden Maikundgebungen hervorgegangen - und ein geschätzter Feiertag am Frühlingsbeginn.

Bereits 1888 hatte die US-Gewerkschaft "American Federation of Labor" (AFL) beschlossen, am 1. Mai 1890 landesweit eine Kampagne für den Achtstundentag durchzuführen. Der Termin sollte an die Opfer des sog. Haymarket-Riot in Chicago erinnern. Dort hatte die Polizei während einer früheren Kampagne zur Durchsetzung des Achtstundentages im Mai 1886 zahlreiche Arbeiter verletzt, nachdem eine Bombe sieben Polizisten getötet hatte. Auf Anregung des AFL-Führers Samuel Gompers übernahm die Zweite Internationale - also die weltweite Dachorganisation der Sozialistischen Parteien - diesen Termin.

Daraufhin fand in Argentinien, den USA und 18 europäischen Ländern am 1. Mai 1890 die erste "Maimanifestation" der Arbeiterbewegung mit Demonstrationen und Streiks statt. Als allein in London etwa 300.000 Menschen demonstrierten, meinte Friedrich Engels: "... heute hält das Proletariat Heerschau über seine zum ersten Mal mobil gemachten Streitkräfte, mobil gemacht ... für ein nächstes Ziel, den gesetzlich festzustellenden, achtstündigen Normalarbeitstag ..."

Bis nach dem Ersten Weltkrieg galt die Arbeitsruhe am 1. Mai meist als Streik. Später wurde das Datum als "Tag der Arbeit" in zahlreichen Ländern zum Feiertag erklärt. In den USA wurde ab 1894 der erste Montag im September als "Labor Day" begangen. Hier wollte man keine offizielle Verbindungslinien zu den Krawallen in Chicago vom Mai 1886.

In Deutschland nutzten die Nationalsozialisten den 1. Mai im Zusammenhang mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung für Propagandazwecke. Am 10. April 1933 erklärte die Reichsregierung den 1. Mai zum "Feiertag der nationalen Arbeit". Damit war der 1. Mai in Deutschland erstmals offizieller Feiertag, dessen Höhepunkt eine Großkundgebung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin war. Reichskanzler Adolf Hitler forderte hier u. a. die Überwindung von "Standesdünkel und Klassenwahnsinn" und kündigte Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung an. Der Bundesausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes hatte seine Mitglieder am 19. April zur Teilnahme an diesen Maifeiern aufgerufen. Bis zuletzt glaubten viele Gewerkschaftsführer, ihre Organisation in den NS-Staat hinüberretten zu können - was sich dann als Irrtum erwies.

In der Bundesrepublik Deutschland ist der 1. Mai weiterhin ein gesetzlicher Feiertag - nach den Feiertagsgesetzen der Bundesländer. Abgesehen von seiner nach wie vor zelebrierten politischen Bedeutung wird er auch zum Anlass für nächtliche Krawalle genommen, besonders prominent in Berlin-Kreuzberg.

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