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Indien: 75 Jahre Unabhängigkeit
In Indien gibt es schon lange zwei große Religionen, denen die meisten Gläubigen angehören: Hinduismus und Islam. Diese kommen aber nicht immer gut miteinander aus. Der Konflikt zwischen Hindus und Muslimen spielt deshalb eine große Rolle in der Geschichte Indiens und hat das Schicksal des Landes entscheidend mitgeprägt. So hängt auch der Beginn der britischen Herrschaft über die indische Halbinsel mit dem Streit zwischen den beiden Religionen zusammen.
Machtübernahme durch die Briten
Im 17. Jahrhundert herrschten die muslimischen Moguln über Indien. Zu Beginn dieser Zeit pflegten Muslime und Hindus noch ein friedliches Miteinander, gegen Ende des 17. Jahrhunderts radikalisierte der damalige Herrscher Aurangzeb allerdings die Gesellschaft, indem er Hindus an der Ausübung ihrer Religion hinderte und beispielsweise ihre Tempel niederreißen ließ. Zusätzlich durch hohe Steuerbelastungen befeuert, kam es schließlich zu großen Aufständen, die das Ende der indischen Mogul-Dynastie zur Folge hatten.
Das brachte auch für die dort angesiedelten europäischen Handelsposten große Probleme mit sich, denn die politische Fragmentierung Indiens erschwerte die sonst äußerst lukrativen Geschäfte. Um dem entgegenzuwirken, verstärkte Großbritannien schließlich seinen politischen und militärischen Einfluss und leitete 1757 mit einem militärischen Sieg gegen die Bengalen im Nordosten Indiens den Beginn seiner Herrschaft über den Subkontinent ein.
In den nachfolgenden Jahrzehnten breitete sich die britische Ostindiengesellschaft weiter aus. Dies geschah allerdings kaum militärisch – stattdessen brachte diese Handelsgesellschaft durch wirtschaftliche und diplomatische Methoden immer mehr Fürstentümer unter ihre Kontrolle. Obwohl Großbritannien zu diesem Zeitpunkt schon großen politischen und gesellschaftlichen Einfluss auf das Land hatte, war die britische Königin formell noch nicht die Herrscherin über Indien und das Land noch keine offizielle Kolonie. Dies änderte sich durch den blutig niedergeschlagenen Sepoy-Aufstand Mitte des 19. Jahrhunderts, infolge dessen Königin Viktoria zur Kaiserin Indiens proklamiert wurde.
Erste Nationalbewegungen entstehen
Um wieder mehr Mitspracherecht in ihrem eigenen Land zu bekommen, gründete die hinduistische Bevölkerung im Jahr 1885 den Indischen Nationalkongress. Anfangs waren seine Mitglieder noch gemäßigt gestimmt, im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte radikalisierten sie sich aber zunehmend. Das hing vor allem damit zusammen, dass das britische Regime die Forderungen des Kongresses nach mehr Selbstbestimmung nicht ernst nahm. Auch der muslimische Teil Britisch-Indiens formierte sich zu dieser Zeit zu einer geschlossenen politischen Bewegung, der Muslimliga.
Den ersten Wendepunkt in der britischen Herrschaft brachte schließlich eine Aufteilung der religiös durchmischten Provinz Bengalen, mit der der regierende Vizekönig ihren Einfluss verringern wollte. Der Eingriff löste eine große, teils terroristische Protestwelle aus – die Stimmen nach einer Selbstregierung wurden stärker. Durch die Beteiligung Britisch-Indiens am Ersten Weltkrieg wurden diese Forderungen konkreter und die Regierung in Großbritannien reagierte. Indien bekam 1921 eine neue Verfassung, zehn Prozent der männlichen Bevölkerung das Wahlrecht und die Provinzen gesetzgeberische Kompetenzen. Aber reichte das dem Indischen Nationalkongress?
Auftritt Ghandi
Mahatma Ghandi sagte Nein. Der wohl berühmteste Unabhängigkeitsaktivist Indiens war damals Anführer des Kongresses und rief zu gewaltfreien Protesten gegen die britische Regierung auf. Die bekannteste Kampagne war dabei der sogenannte Salzmarsch, bei dem Ghandi von seiner Heimatstadt aus fast 400 Kilometer zum Arabischen Meer wanderte. Nach 24 Tagen erreichte er sein Ziel, wo er als Zeichen gegen das britische Monopol über den Rohstoff eine Handvoll Salz aufhob. Im Laufe des Salzmarsches verhaftete die britische Regierung über 100.000 Personen – was nicht gerade zur Beruhigung der Proteste beitrug.
Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg bekamen die indischen Provinzen eine stärkere Autonomie zugesprochen. Außerdem wurden Provinzwahlen abgehalten, bei denen sich die hinduistische Kongresspartei größtenteils gegen die Muslimliga durchsetzen konnte. Nach Ende des Weltkriegs, in dem auch rund zwei Millionen indische Soldaten auf Seiten Großbritanniens zum Einsatz kamen, konkretisierten sich die Unabhängigkeitspläne Indiens schließlich: Die britische Regierung willigte ein, sich am 15. August 1947 vom Subkontinent zurückziehen und Indien die volle Autonomie zu gewähren.
Die Sache mit den Hindus und den Muslimen
Die Konflikte auf dem indischen Subkontinent waren damit allerdings alles andere als gelöst. So hatte sich die Muslimliga in den vorangegangenen Jahren dafür stark gemacht, aus den im Norden liegenden, überwiegend von muslimischer Bevölkerung besiedelten Teilen Indiens einen eigenständigen Staat namens Pakistan zu gründen. Um weitere Konflikte zu vermeiden, stimmte der Nationalkongress der Forderung zu. Pakistan bekam eine eigene Verfassung und die Provinzen mussten sich nun entscheiden, welchem der beiden Staaten sie künftig angehören wollen.
Als Folge brach Chaos aus: Hinduistische Minderheiten flohen aus den künftig pakistanischen Gebieten, muslimische aus den indischen. Etwa eine Millionen Menschen kamen dabei ums Leben. Mahatma Ghandi, der sich für eine faire Behandlung Pakistans eingesetzt hatte, wurde auch zum Opfer der Teilung: Im Januar 1948 erschoss ihn ein hinduistischer Fanatiker, der die Gleichsetzung von Hindus und Muslimen nicht tolerieren wollte.
Bangladesch und Tag der Republik
Während sich die meisten Provinzen zwischen einem der beiden Staaten entscheiden konnten, musste Bengalen aufgeteilt werden. Das muslimisch geprägte Gebiet sollte schließlich Ostpakistan bilden, während der Rest des Staates an der westlichen Grenze Indiens lag. Die geographische Trennung führte dazu, dass sich 1971 der unabhängige Staat Bangladesch formte. Übersetzt heißt das: Land der Bengalen.
Neben dem Unabhängigkeitstag, der am 15. August begangen wird, gibt es in Indien übrigens noch einen weiteren großen Nationalfeiertag. Denn bis die indische Verfassung verkündet wurde, war Georg VI., zu diesem Zeitpunkt König von England, das offizielle Staatsoberhaupt. Das änderte sich schließlich, als am 26. Januar 1950 offiziell die Verfassung der Republik Indien in Kraft trat. An diesem Datum wird deshalb jährlich der Tag der Republik gefeiert.