Jedes Jahr am 2. April findet der Internationale Kinderbuchtag statt. Am Geburtstag des dänischen Dichters Hans Christian Andersen gibt es weltweit Aktionen, die das Lesen und die Beschäftigung mit Literatur bei Kindern und Jugendlichen fördern sollen. Ein ungewöhnliches Projekt führt dazu eine Familie aus dem Albert-Schweitzer-Kinderdorf Waldenburg durch: Sie haben zusammen mit ihren Pflegekindern mittlerweile zwei Märchenbücher geschrieben und gemalt.
Reicher Schatz
Märchen gaben früher wichtige Inhalte aus dem Erfahrungsschatz des menschlichen Lebens weiter. Sie wurden in der Gemeinschaft erzählt und richteten sich an Kinder und Erwachsene, Gebildete und Ungebildete. Sie halfen, gefährliche Situationen, die eine Seele im Laufe ihrer Entwicklung erfährt, zu erkennen und zu vermeiden. Insbesondere Gefahren, die von bösen Menschen - oft als gute Menschen getarnt - ausgehen, wurden thematisiert.
Märchen transportieren für alle hörbar oder lesbar die guten und schlechten moralischen Werte. Hörer und Leser können sich mit den Helden identifizieren und so entstanden Archetypen, die entweder Gut oder Böse repräsentieren – der böse Wolf, die Prinzessin, der rettende Prinz. Die Figuren und Handlungen sind stark vereinfacht und die Charaktere einfach und klar. Die Seele des Menschen erkennt diese Archetypen daher intuitiv, ohne dass das Bewusstsein dies reflektieren muss.
Wichtige soziale Erfahrungen
Lesen gehört in den Albert-Schweitzer-Kinderdörfern zum Alltag. Märchen schreiben ist jedoch ein Abenteuer. "Märchen können unsere Pflegekinder warnen und schützen. Sie entwickeln dadurch eine wesentliche Bedeutung für die emotionale und soziale Entwicklung der uns anvertrauten Kinder." so berichten die Kinderdorfeltern Silke und Thomas Schwan. Noch intensiver als das Hören oder Lesen der Märchen ist der intensive Prozess des Märchenschreibens. "Zum gemeinsamen Schaffensprozess gehören Misserfolge genauso dazu wie Erfolge", so Thomas, aber "die kleinen Schriftsteller lernen dabei Lösungen zu finden und umzusetzen". Kinderdorfmutter Silke erzählt: "Wir konnten richtig spüren, wie die Kinder über ihre eigenen Leistungen regelrecht staunten."
Während des langen und intensiven Prozesses erfahren die Kinderdorfkinder auch, wie wichtig Freundschaften und Zusammenarbeit für das soziale Miteinander sind. Sie lernen andere Kulturen kennen und stellen fest, dass es viele "Andere" auf dieser Welt gibt und müssen sich nicht mehr alleine fühlen mit dem eigenen "Anderssein". "Unser Ziel ist, dass sich die uns anvertrauten Jungen und Mädchen zu integrierten Menschen entwickeln, die Achtung vor sich und dem Anderen haben. Aus der Achtung für den Anderen kann sich allmählich auch eine gefestigte Selbstachtung entwickeln", so die Kinderdorfmutter.
Sprudelende Ideen
Als die Kinderdorffamilie Schwan sich dem Thema stellte, war nicht klar, ob das Pilotprojekt von Erfolg gekrönt sein würde. Neben den sieben Pflegekindern der Kinderdorffamilie legte besonders Leon Nicolic, ein damals achtjähriger Junge, mit seiner Phantasie den Grundstein für die 20 spannenden Geschichten im ersten Märchenbuch. Die Geschichte mit "Ferdinand, der Wilden Rosa und den fliegenden Hamstern" war von Anfang an ein Abenteuer zwischen Aufgeben und Weitermachen in der Schreibwerkstatt für Kinder. "Wir, die Kinderdorfeltern, mussten am Anfang die vielen Ideen, die aus den Kindern nur so heraus sprudelten, aufschreiben", erklärt der Kinderdorfvater.
Heute, zwei Jahre nachdem ihr erstes Märchenbuch erschienen ist, hat die Familie nun das zweite Buch "Theodor, das kleine U-Boot und seine abenteuerliche Reise um die Welt" fertiggestellt. Der neue Held ist ein kleines U-Boot namens Theodor, das auf der Suche nach seinen Eltern die Weiten der Weltmeere bereist. Für den zweiten Band setzten sich die Kinderdorfkinder mit illustrierten Atlanten und informativen Büchern hin und bereiteten die einzelnen Länder für eine weltumspannende U-Boot-Exkursion vor. Mit Neugierde und Akribie informierten sie sich über die ausgesuchten Länder - Abenteuerlust und Motivation entstanden. Die Phantasie begann automatisch zu arbeiten. "Sie spürten, es geht voran", so Kinderdorfmutter Silke.
Für den internationalen Kinderbuchtag übernimmt jedes Jahr ein anderes Mitgliedsland des IBBY (International Board on Books for Young People) die Patenschaft. Sie entscheidet über das spezifische Thema und gewinnt einen führenden Autor aus ihrem Land dazu, eine an die Kinder der Welt gerichtete Botschaft zu verfassen, ein bekannter Illustrator gestaltet dazu ein Plakat.
Mehr Informationen zum Internationalen Kinderbuchtag 2014
(Quelle: Albert-Schweitzer-Verband der Familienwerke und Kinderdörfer)