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Interview mit Jörg Kachelmann

Deutschlands beliebtester Wetterfrosch

Jörg Kachelmann ist Deutschlands beliebtester “Wetterfrosch“. Seine Hobbys sind “Wetter, Segeln, mehr Wetter“. Tag für Tag präsentieren er und seine Mitarbeiter der meteomedia ag zur besten Sendezeit vor der Tagesschau oder im Halbstundentakt im Morgenmagazin die Vorhersage für alle Regionen der Republik. Ein Netz mit zahlreichen Wetterstationen hat er über das gesamte Land ausgebreitet, um so genau wie nie zuvor Regen, Sonne oder Schnee vorher zu sagen. Aber noch gibt es die perfekte Wettervorhersage nicht und auch Kachelmann und Co können sich mal irren. Im wissen.de-Interview verrät er, was von der Zweimonats-Vorhersage zu halten ist und wie Vorhersagen erstellt werden.

Vor einiger Zeit haben Wissenschaftler im Fachmagazin Science festgestellt, dass Ereignisse in der Stratossphäre in die Tropossphäre, also unseren Bereich der Atmosphäre, “durchschlagen“ und mit bestimmten Wetterbedingungen zusammenhängen. Daraufhin war zu lesen, dass Wetter sei bald zwei Monate im Voraus vorherzusagen. Ist das realistisch?

Es gibt ja eine Menge unsinnige und unwissenschaftliche Pressemitteilungen, aber diese hat tatsächlich einen wahren Kern: Es ist was dran, was die Forscher erzählen. Das Verhalten der Stratosphäre kann wichtige Ansätze für Entwicklungen in der Wetterschicht der Atmosphäre liefern. Uns Meteorologen kann das helfen, Wahrscheinlichkeiten für kalte oder warme Winter besser zu berechnen.

Die Weihnachtsvorhersage also schon Ende Oktober?

Auch wenn wir die Zusammenhänge besser kennen, wird das nicht dazu führen, dass man am Neujahrstag den Wetterbericht für Berlin am 26. Februar hören wird. Das ist alles noch sehr leise Zukunftsmusik.

Wäre das Wetter tatsächlich soweit im Voraus vorherzusagen, wer bräuchte dann noch die tägliche Wettervorhersage? Sind Sie dann Ihren Job los?

Nein, wir werden nicht so schnell ersetzt werden, auch wenn es schon automatische Vorhersage-Werkzeuge gibt, die sehr gute Ergebnisse liefern.

Ihr direkter Konkurrent, der amtliche Wetterdienst, hat inzwischen den Ruf nicht mehr ganz “on the top“ zu sein. Haben Ihre Kollegen da was verschlafen? Ihr Dienst Meteomedia gewinnt ja regelmäßig bei Vorhersage-Wettbewerben.

Vor allem verbreiten wir nicht so unsinnige Mitteilung wie die des Deutschen Wetterdienstes, nur aufgrund eines einzigen Computermodells das Wetter für jeden Stadtteil einer deutschen Stadt vorhersagen zu können.

Was läuft denn falsch beim DWD?

Meiner Meinung nach verschwendet der DWD Steuergelder für falsche Ziele und spart gleichzeitig Personal bei Wetterstationen ein. Er verkauft seine Leistungen zu Dumpingpreisen und darf dafür lustige Interviews in Radios geben. Er vernachlässigt dabei aber seine hoheitlichen Aufgaben. Ich denke aber, dass das nicht mehr lange so bleiben wird. Mir wäre ein starker partnerschaftlich, professionell und fair arbeitender DWD lieber als ein torkelnder, mit über vielen Millionen Euro jährlich gestopfter Popanz.

Und jetzt zum Wetter: Ist Deutschland eigentlich ein eher schwieriges Terrain für die Vorhersage?

Nein. Es ist zwar sehr vielgestaltig, aber Berge und Meere gehören halt dazu.

Haben Sie denn "vorhersagetechnisch" ein Lieblingsgebiet, das Sie besonders fordert oder das generell Schwierigkeiten macht?

Gundsätzlich gilt für mich: Je schwieriger, desto schöner - die Inseln und die Alpen sind meine “Lieblings-Vorhersage-Gegenden“. Deshalb wohne ich da auch am liebsten.

Wie lange dauert es eigentlich, bis die Wettervorhersage, die Sie und Ihre Kollegen jeden Abend vor der Tagesschau präsentieren, zusammengestellt ist, was kommt da alles zusammen? Ist das ein täglicher Datensatz, den Sie morgens zur Hand haben und aus dem Sie dann die Vorhersage "basteln", oder ein mehrtägiges Annähern?

Meistens haben wir Wochenschichten, so dass wir ein gutes Gefühl für die Kontinuität der Wetterlage entwickeln. Die Tagesarbeit geht meistens über neun bis dreizehn Stunden. Zum eigentlichen Erarbeiten der Vorhersage kommen ja noch die Sendungen, in denen wir das Wetter “präsentieren“. Seit Januar 2002 haben wir täglich zehn Sendungen zu realisieren, beim Morgenmagazin sind es sieben im Halbstundentakt.

Wie geht das denn genau? Bekommen Sie Zahlenwerte, die Sie in Programme eingeben, haben Sie Karten mit Hochs und Tiefs und Isobaren vor sich liegen?

Wir haben fünf verschiedene Computermodelle vor uns liegen, dazu unser preisgekröntes MOS (Model Output Statistics), also eine Vorhersage, in der statistische Daten über das Wetter der Vergangenheit mit aktuellen Modelldaten und Messwerten abgeglichen werden - der Rest, das Zusammentragen und Interpretieren der Daten, passiert im Kopf.

Verlassen Sie sich dabei nur auf die Zahlen und Programme oder auch auf Ihre Intuition und Erfahrung oder schauen Sie auch mal einfach in den Himmel?

Der Blick in den Himmel bringt nur im Sommer was, wenn Altocumulus castellanus am Himmel stehen. Das sind die perfekten Gewittervorboten. Sonst gibt es je nach Wetterlage zehn bis zwanzig Prozent Bauchanteil. Routine spielt natürlich eine große Rolle. Hier hilft mir die Erfahrung, die ich jetzt seit 1983 habe.

Sind Sie eigentlich noch an der Berechnungen und dem eigentlichen Erstellen der Vorhersagen Ihrer Firma beteiligt oder präsentieren Sie "nur" und repräsentieren Ihre Firma?

Die Wettervorhersagen, die ich präsentiere, habe ich auch immer selbst erstellt, das ist uns wichtig. Wir arbeiten deshalb auch nicht mit einem Teleprompter, also dem Gerät, von dem man den Text abliest. Damit schließen wir die Zuarbeit durch andere von vorneherein aus. Unsere Ansagen haben wir im Kopf.

Verfolgen Sie als “Tagesmeteorologe“ die laufende Debatte über den Klimawandel?

Ja, klar, mit Interesse und Sorgen.

Und spielt das eine Rolle für Ihre tägliche Arbeit, werden Vorhersagen durch den Klimawandel künftig vielleicht schwieriger?

Für die tägliche Vorhersagearbeit spielt diese Diskussion keine Rolle. Wir erwarten aber auf lange Sicht häufiger extreme Ereignisse wie beispielsweise den Orkan “Lothar“. Was die Vorhersage solcher Ereignisse angeht, hatten wir die bisher aber gut im Griff.

Auch wenn Sie immer wieder Wettervorhersage-Wettbewerbe gewinnen: Kann es in einem chaotischen System wie dem Wetter so etwas wie eine perfekte Vorhersage geben? Oder anders: Würden Sie immer auf Ihre Vorhersagen wetten?

Im direkten Vergleich mit anderen Vorhersagen auf jeden Fall, aber auch wir sind natürlich nicht perfekt und werden es auch nie sein.

Haben Sie sich selbst mal eine völlig falsche Vorhersage gemacht? Nach dem Motto: Ich muss morgen in die Schweiz, Schnee hab ich ja keinen gemeldet, also ist die Autobahn frei. Und dann geraten Sie in das dickste Schneegestöber und verpassen den Termin?

Nicht ganz so schlimm, aber einmal ,1984 , brach der Föhn zwölf Stunden früher zusammen als ich gedacht hatte - statt Sonne und 20 Grad gab es Regen und 8 Grad. Naja, es war am Anfang der Laufbahn. Nachher sind mir solche groben Schnitzer nicht mehr passiert.

Was mögen Sie denn besonders am Wetter? Sind Wolken Ihre Lieblinge oder eher Regen und Schnee oder einfach die Farben des Himmels...?

Ich will meinen täglichen Schneesturm!

Wann haben Sie das letzte Mal ihren Blick träumerisch in den Wolken verloren? Oder geht das gar nicht mehr?

Ich sehe den Himmel nur noch meteorologisch.

Das Interview führte Marcus Anhäuser.

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