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Ist eine Landwirtschaft ohne Gift überhaupt möglich?

Die EU-Kommission streitet derzeit über die weitere Zulassung des Pflanzengifts Glyphosat. Doch das Pestizid ist längst nicht das einzige, das umstritten ist. Im Gegenteil: Der Einsatz der Chemiekeule in der Landwirtschaft steht ganz grundsätzlich in der Kritik. Denn die Mittel schaden der Umwelt - und womöglich auch unserer Gesundheit. Doch ist eine ertragreiche Landwirtschaft ohne Gift überhaupt möglich?
DAL, 10.11.2017

Der massenhafte Einsatz von Pestiziden ist eine der Säulen der heutigen Agrarindustrie.

thinkstock.com, oticki

Der Hunger der Welt ist groß - und ohne Pestizide lässt er sich kaum stillen. Denn wo nahrhafte Pflanzen in großflächigen Monokulturen wachsen, sind Schädlinge nicht weit. Gerade auf maximalen Ertrag gezüchtete Sorten sind für Krankheiten und den Befall durch solche ungebetenen Gäste jedoch besonders anfällig. Pflanzenschutzmittel verringern dieses Problem erheblich: Sie wirken gegen gefräßige Schädlinge, aber auch gegen Wildpflanzen, die auf dem Acker gegen die Feldfrüchte konkurrieren.

Grundlage für Massenproduktion

Auf diese Weise machen Pestizide eine massenhafte Produktion von Obst und Gemüse überhaupt erst möglich. Sie waren ein wesentlicher Teil der sogenannten grünen Revolution in den 1960er Jahren, durch die beispielsweise die weltweite Getreideproduktion in den vergangenen 40 Jahren verdoppelt werden konnte.

In Deutschland sind heute über 280 Wirkstoffe für den Pflanzenschutz zugelassen: von Rapsöl bis hin zu den sehr giftigen Organophosphaten. Letztere gehören zu den synthetischen Pestiziden - jene Pflanzenschutzmittel, die als besonders effektiv gelten. Ohne die schlagkräftigen Wundermittel keine Versorgungssicherheit, so scheint es. Doch der Preis dafür ist hoch.

Umwelt und Gesundheit leiden

Kritiker bemängeln, dass der massenhafte Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft der Umwelt schadet. Denn das Gift tötet nicht nur Schädlinge, sondern auch andere Wildpflanzen und -tiere. So sind die chemischen Mittel möglicherweise mit für den Rückgang wichtiger Bestäuber wie Bienen und Hummeln verantwortlich. Werden Pflanzen und Insekten beseitigt, fehlt zudem beispielsweise Vögeln die Nahrungsgrundlage. Klar ist daher: Pflanzenschutzmittel haben das Potenzial, Ökosysteme gefährlich aus dem Gleichgewicht zu bringen -  darunter leidet schlussendlich auch der Mensch.

Darüber hinaus stehen Pestizide unter Verdacht, dem Menschen auch direkt zu schaden. Nach Angaben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) enthält immerhin rund die Hälfte der in EU-Ländern genommenen Lebensmittelproben messbare Rückstände der Gifte, eine mögliche Gesundheitsgefahr.

Ökologischer Anbau als Alternative

Pestizide können sich sowohl akut als auch chronisch auf unsere Gesundheit auswirken. Studien legen etwa den Einfluss bestimmter Pflanzenschutzmittel auf neurologische Störungen, Parkinson, Alzheimer oder Fortpflanzungsstörungen nahe. Pestizide wie das umstrittene Glyphosat werden von manchen Behörden zudem als wahrscheinlich krebserregend eingestuft.

Verbraucher machen sich aus diesen Gründen zunehmend Sorgen, was auf ihrem Teller landet - und suchen nach möglichen Alternativen. Die bietet ihnen die ökologische Landwirtschaft. Denn sie verspricht pestizidfreie, gesunde Lebensmittel und eine umweltverträglichere Nahrungsmittelproduktion.

Pestizide landen nicht ausschließlich dort, wo sie hin sollen. Die Abdrift von Maisherbiziden auf das benachbarte Rübenfeld linker Hand ist auf dieser Aufnahme gut zu erkennen.

Pestizide auch im Bio-Essen

Tatsächlich werden im Biolandbau keine synthetisch hergestellten Pestizide eingesetzt. Stattdessen greifen Ökobauern verstärkt auf den Einsatz von Nutztieren als Schädlingsbekämpfer zurück, entfernen Unkraut mechanisch und achten auf optimale Fruchtfolgen, um Boden und Pflanzen gesund zu erhalten.

Doch diese Maßnahmen reichen nicht immer aus. In vielen Fällen müssen daher auch auf dem Bio-Acker Insektenschutz- und Unkrautbekämpfungsmittel zum Einsatz kommen. Dabei darf es sich zwar nur um sogenannte natürliche Pestizide handeln. Das heißt aber nicht, dass diese nicht giftig sind. So dürfen in der ökologischen Landwirtschaft beispielsweise Eisenverbindungen, Schwefel und Kupfer verwendet werden - ein Schwermetall, dass sich langfristig im Boden anreichert, dort laut Umweltbundesamt (UBA) zahlreiche Organismen schädigen und ins Grundwasser geraten kann.

Natürlich giftig

Daneben werden auf dem ökologisch bewirtschafteten Acker oftmals aus Pflanzen oder Bakterien gewonnene Substanzen versprüht. Ein Beispiel ist das Insektizid Azadirachtin, welches in den Samen des Niembaums vorkommt. Der Stoff hemmt die Larvenentwicklung zahlreicher Insekten, soll für Säugetiere aber relativ unschädlich sein.

Ein weiteres Beispiel ist das sogenannte Bt-Toxin des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis. Bt-Präparate haben in Deutschland bezeichnenderweise bereits eine lange Geschichte als konventionelle Spritzmittel. Das Gift ist aber auch im Bio-Landbau erlaubt und wird dort in vielen Kulturen eingesetzt.

Landwirtschaft ohne Gift?

Völlig ohne Gift kommt demnach auch die ökologische Landwirtschaft nicht aus. Und wenn es hart auf hart kommt, greifen selbst die "natürlichen Gifte" mitunter nicht weit genug. Wenn die Bedingungen allzu widrig sind, müssen Öko-Landwirte entweder herbe Ernteeinbußen hinnehmen oder doch in die Chemie-Kiste der konventionell arbeitenden Kollegen greifen und zumindest kurzfristig auf den Bio-Stempel verzichten - so ist es im letzten Jahr beispielsweise deutschen Winzern ergangen.

Erst die Zukunft wird zeigen, wie gut es gelingt, auch mit ökologischen Methoden den zunehmenden Nahrungsmittelbedarf der Weltbevölkerung zu stillen. Momentan ist die konventionelle Landwirtschaft auch dank synthetischen Pestiziden im Schnitt noch um 20 Prozent produktiver, wie eine niederländische Metastudie vor einigen Jahren ergab. Uns Menschen und der Umwelt wäre es gleichermaßen zu wünschen, dass der Bio-Landbau aufholt und eines Tages alle satt machen kann. Völlig ohne Gift wird es aber wahrscheinlich wohl nie gehen.