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Japan – Alpenhochland und Palmenstrände

High-Tech, Erdbeben und hoffnungslos überquellende Städte. Während sich dieses Bild von Japan vielen in Europa durch die Medien aufdrängt, gilt das Land bei anderen als hip – vor allem wegen seiner Comics, der Manga. Seit dem 11. März 2011 prägt noch ein weiteres Bild die hiesigen Vorstellungen: „Da ist doch jetzt alles verstrahlt“, glauben nicht wenige. Ihnen sei gesagt: Fukushima ist zwar in Japan, aber Japan ist nicht Fukushima. Nach wie vor hat das Inselreich in Fernost Fantastisches zu bieten, und wohl kaum ein Land besticht durch so viele Gegensätze.
von wissen.de-Autor Jens Ossa, August 2013

Schuhe aus, Slipper an

Tokio bei Nacht: der Stadtbezirk Shibuya
thinkstockphotos.de/Getty Images/Photodisc/Ryan Mcvay

An der riesigen Diagonalkreuzung im Tokioter Stadtteil Shibuya warten Tausende auf das blaue Ampelsignal. Richtig, in Japan schalten die Ampeln auf Blau statt Grün. Es ist still. So still es an einem Nachmittag unter der Woche in dem belebten Viertel eben sein kann. Es reicht, um ein Tröten wahrzunehmen, das sich zweifelsfrei als die Vibration von Nasenflügeln identifizieren lässt. Ein blonder Mann – er ragt um gut eine Kopflänge über das Meer der Wartenden hinaus – faltet sein Taschentuch zusammen und steckt es weg. Aus den unzähligen Blicken, die er nun erntet, strömt kollektive Verachtung.

Die Ampel springt um, der Puls der Metropole schlägt weiter. Der Mann jedoch, offenbar westlicher Ausländer, wird diesen Moment nie vergessen. Und vor allem wird er sich nie wieder in der japanischen Öffentlichkeit die Nase schnäuzen. Das nämlich gehört sich nicht. Ebenso wenig wie ein paar andere Dinge, an die wir in Europa keinen Gedanken verschwenden würden. Wer zum Beispiel zu Gast in einem japanischen Privathaushalt ist oder eine traditionelle Herberge – die Ryokan – aufsucht, wird merken, dass es dort heißt: Schuhe aus. Auch wird er schnell lernen, dass er die am Eingang gereichten Slipper beim Gang auf die Toilette gegen die meist in grellen Farben gehaltenen WC-Slipper auszutauschen hat. Was Ausländer dann aber gern vergessen: diese beim Verlassen der Toilette auch wieder auszuziehen. Das sorgt nicht selten für stille Empörung.

Anderes hingegen, was bei uns Empörung auslösen würde, ist in Japan gang und gäbe. Zum Beispiel das laute Schlürfen von Nudeln. Versuchen Sie es, wenn Sie sich in einem Restaurant den Gepflogenheiten anpassen wollen. Das ist gar nicht einfach.

Soviel zu ein paar wenigen Grundregeln, die den Alltag erleichtern. Sicher, der Verhaltenskodex im Land der aufgehenden Sonne ist ungleich länger. Aber vieles werden einem die Japaner verzeihen, über anderes werden sie sich amüsieren. Schließlich ist man ein unwissender Ausländer. Was kann man da schon erwarten?

 

Englisch ist Glücksache

Flieger aus Übersee – und das ist praktisch alles, was außerhalb Japans liegt – landen in Tokio, Osaka oder Nagoya. Doch wohin nach der Landung? Lautet das Ziel Tokio, empfiehlt es sich zunächst, den Narita-Express ins Zentrum zu nehmen. Narita ist der Name des internationalen Flughafens. Die zentralen Stationen heißen Shibuya, Shinjuku und Ikebukuro, Fahrzeit etwa eine Stunde.

Dort erst mal einen Kaffee trinken gehen, um den Jetlag zu bekämpfen? Bestellen Sie im Café ausdrücklich einen heißen, denn sonst kann es sein, dass Sie Ihren Aufguss auf Eis bekommen. Aber wer es mag…

Sicher wird sich der eine oder andere an dieser Stelle fragen, wie er das denn alles sprachlich bewerkstelligen soll. Die Namen der Bahnhofsstationen sind schon mal in lateinischer Schrift umschrieben, so weit, so gut. Doch der landläufigen Meinung, in Japan würde jeder Englisch sprechen, sei erst einmal der Wind aus den Segeln genommen. Tatsächlich kommt man gerade mal im Zentrum der Hauptstadt mit Englisch aus. Was darüber hinausgeht, ist Glückssache. Wenn Sie auf Nummer Sicher gehen wollen, buchen Sie eine geführte Reise, angeboten von einem ausgewiesenen Veranstalter. Wer es abenteuerlicher mag, bekommt Hilfe bei der Touristenauskunft an einem der zentralen Bahnhöfe – oder natürlich am Flughafen.

 

Mobilität

Superexpress: der japanische Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen
shutterstock.com/SNEHIT
Viel Stress erspart es, vor Antritt der Reise den Japan Rail Pass zu buchen. Es handelt sich um ein zeitlich begrenztes Ticket, gültig für alle Verkehrsmittel der japanischen Bahngesellschaft Japan Railways (JR). Den Gutschein dafür bekommen Sie in Ihrem Reisebüro, einlösen können Sie ihn an den größeren Bahnhöfen in Japan. Die kleinste Version für sieben Tage kostet zurzeit 224 Euro. Doch Achtung: Der Schein verfällt nach drei Monaten ab Buchungsdatum. Drei Monate beträgt im Übrigen auch die Aufenthaltsgenehmigung, die Sie bei der Einreise bekommen. Ein Visum braucht es für diesen Zeitraum nicht.

 

Wann lohnt sich die Japan-Reise?

Am schönsten zeigt sich Japan im Herbst und Frühling. Der Frühling erreicht seinen Höhepunkt in der Kirschblüte, die im März und April über die Hauptinseln gen Norden zieht und die Menschen in die Parks zum Feiern lockt. Die japanischen Sommer sind, nun ja, gewöhnungsbedürftig. Zunächst, weil der saisonbedingte Pazifikwind dem Land einen Monat lang sein feuchtes Geschenk beschert: Tsuyu, die japanische Regenzeit. Je nach Region beginnt sie im Mai, Juni oder Juli. Anschließend wird es so heiß und schwül, dass jeder Saunagang dagegen eine Erfrischung ist.

Zum Wintersport wird sich vermutlich kaum jemand auf die weite Reise begeben, aber auch dafür bieten sich Möglichkeiten. Auf der nördlichen Insel Hokkaido etwa, mit Sapporo als größter Stadt, Austrägerin der olympischen Winterspiele 1972. Oder in den Japanischen Alpen auf der Hauptinsel Honshu. Hier liegt Nagano, Stadt der Winterolympiade 1998.

 

Sehenswertes

Älteste Tempelanlage Tokios: der Asakusa-Kannon-Tempel
shutterstock.com/Holger Mette

Wer in Tokio nur Glas, Stahl und Beton erwartet, wird im Asakusa-Kannon-Tempel, auch Senso-ji, eines Besseren belehrt. Den Eingang der ältesten Tempelanlage der Stadt bildet das sogenannte Donnertor, das wiederum schmückt eine gigantische Papierlaterne. Wie wäre es anschließend mit einer Fahrt in luftige Höhen? Mit 634 Metern ist der Sky Tree der höchste Fernsehturm und das zweithöchste Gebäude der Welt. Sie möchten nicht ganz so hoch hinaus? Auch gut. Dann tut es sicherlich der 332,6 Meter hohe Tokyo Tower. Dem Eifelturm nachempfunden, schlägt er diesen um knapp neun Meter Höhe. Und schließlich darf ein Gang durchs berühmte Shopping- und Vergnügungsviertel Ginza bei einem Besuch in Tokio nicht fehlen.

Etwa 50 Kilometer südwestlich liegt Kamakura, eine verträumte Stadt in der benachbarten Präfektur Kanagawa, umgeben von Bergen und Meer. Hier thront seit dem 13. Jahrhundert ein gewaltiger Buddha. Es heißt, ein Tsunami habe einst den Tempel fortgespült, der ihn umgeben hatte. 50 Kilometer westlich von dort lädt im Landesinneren eines der größten Heiligtümer Japans, der Vulkan Fuji, zu einem Aufstieg ein und gewährt einen Blick in seinen Krater. Aber keine Angst, der Berg ist seit anno 1707 nicht mehr ausgebrochen.

Begeben wir uns rund 300 Kilometer weiter gen Südwesten in die alte Kaiserstadt Kyoto. Ein unbedingtes Muss ist hier der Kinkaku-ji oder Goldener Pavillon-Tempel. Um dessen obere Etagen funkeln zu lassen, haben die Erbauer bei der Verkleidung nicht mit Blattgold gespart. Überhaupt lässt es Kyoto an Tempeln nicht mangeln, 14 davon hat die UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Unter ihnen der Kiyomizu-dera. Am Hang gelegen bietet der buddhistische Tempel einen atemberaubenden Ausblick über die Stadt.

 

Übers Wochenende in die Provinz

Ein weiterer Sprung von gut 600 Kilometern nach Südwest führt uns in den Süden der Insel Kyushu. Hier, im verschlafenen Städtchen Ibusuki, ticken die Uhren anders, halten die Menschen in der Mittagsglut Siesta. Ein Nest – aber es hat etwas, das viele Gäste anlockt: Es sind die heißen Sandbäder. Ihnen sagt man nach, sie förderten die Durchblutung, würden den Stoffwechsel anregen und bei allen möglichen Leiden helfen. Nur wenige Kilometer weiter: Palmen, weiße Strände, blaues Meer…

Kleiner Tipp: Decken Sie sich mit genügend Bargeld ein, wenn Sie übers Wochenende in die Provinz fahren. Geldautomaten sind in Japan nicht unbedingt rund um die Uhr geöffnet. Erkundigen Sie sich vor Reisebeginn auch bei Ihrer Bank, ob Ihre Kreditkarte in Japan automatentauglich ist. Maestro und Mastercard werden in der Regel von Geräten der Citibank, der Post und Supermärkten der Kette Seven Eleven akzeptiert.

 

Fukushima

Bei all dem Schönen, was Japan zu bieten hat, bleibt doch die Frage offen, inwieweit das Reaktorunglück vom 11. März 2011, ausgelöst durch einen Tsunami, das Land verändert hat. Die Antwort: abseits der betroffenen Zone gar nicht. Doch das will man in Deutschland nur begrenzt glauben. „Nach einem Totaleinbruch der Zahl an Japanreisenden hat sich der Markt zwar wieder einigermaßen erholt“, sagt Robert Horst vom japanischen Generalkonsulat in Frankfurt. „Aber es wird wohl nie wieder so werden wie einst, dafür ist man hier zu ängstlich.“

Beim Messgerätehersteller Conrad seien kurz nach dem Unglück sogar die Geigerzähler ausverkauft gewesen, weil man fürchtete, die Radioaktivität würde um den Globus ziehen. „In der britischen Reisebranche hingegen gab es kaum Veränderungen.“ Die Schuld für die Reaktionen in Deutschland gibt der Japanexperte der hiesigen Berichterstattung und auch der als „German Angst“ bekannten schnell aufwallenden kollektiven Besorgnis der Deutschen.

Auf der Internetseite des Auswärtigen Amts heißt es zum Thema Fukushima: „Die Anlagen sind derzeit in einem relativ stabilen Zustand… Aus radiologischer Sicht ist ein Aufenthalt außer in den gesperrten Gebieten in ganz Japan unbedenklich.“ Bei den gesperrten Gebieten handelt es sich um einen Umkreis von 20 Kilometern um das Kernkraftwerk sowie Regionen um die Ortschaften Iitate, Katsurao, Minamisoma und Kawamata – alle gelegen in der Präfektur Fukushima im Nordosten der Hauptinsel Honshu.

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