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Künstliche Befruchtung: Ein Baby aus der Retorte!
In einer kleinen Stadt im Nordwesten Englands erblickte am 25. Juli 1978 Louise Brown das Licht der Welt. Sie sah aus wie ein ganz normales Mädchen. Doch ihre Geburt war eine echte Sensation. Denn Louise Brown war mittels künstlicher Befruchtung im Labor gezeugt worden - ein Verfahren, das bis zu diesem Zeitpunkt noch nie funktioniert hatte. Sie war das erste Retortenbaby der Welt.
Ihr neugeborenes Glück hatten Browns Eltern den Gynäkologen Patrick Steptoe und dem späteren Medizin-Nobelpreisträger Robert Edwards zu verdanken: Jahrzehntelang hatten die beiden Forscher versucht, das Geheimnis des künstlich erzeugten Lebens zu begreifen und waren hunderte Male gescheitert. Schließlich aber gelang ihnen die In-vitro-Fertilisation, die Befruchtung im Glas.
Hoffnung für ungewollt Kinderlose
Bei dieser Methode werden Eizellen mit aufbereitetem Sperma in einem Reagenzglas zusammengebracht. Es findet eine Befruchtung außerhalb des Körpers statt. Anschließend beginnt sich die befruchtete Eizelle zu teilen. In einer Nährlösung wächst ein Embryo heran, der der Mutter nach wenigen Tagen in die Gebärmutter verpflanzt wird.
Die Zeugung von Louise Brown mithilfe dieses Verfahrens bedeutete für unzählige Paare neue Hoffnung: Auch wenn eine Befruchtung auf natürlichem Wege bei ihnen aus medizinischen Gründen nicht klappte, mussten sie nicht kinderlos bleiben! Kein Wunder also, dass das erste Baby aus der Retorte für großes Aufsehen sorgte.
Weitere Erfolgsgeschichten
Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft bekam die künstliche Befruchtung in den folgenden Jahren viel Aufmerksamkeit. Überall auf der Welt versuchten Mediziner, den Erfolg von Steptoe und Edwards nachzuahmen. Sie arbeiteten unter Hochdruck an noch besseren Methoden und konnten schon bald ihre eigenen Erfolgsmeldungen veröffentlichen.
So kam im Jahr 1981 das erste Retortenbaby der USA zur Welt, ein Jahr später wurden in Frankreich und auch in Deutschland die ersten künstlich gezeugten Kinder geboren: Das deutsche Retortenbaby Oliver W. erblickte am 16. April 1982 im Universitätsklinikum Erlangen das Licht der Welt. Nach seiner Geburt meldeten sich hunderte Frauen bei der Klinik, die ebenfalls auf diese Weise ein Kind bekommen wollten. In den folgenden 20 Jahren wurden in Deutschland rund 100.000 Babys nach einer In-vitro-Fertilisation geboren.
Eine neue Ära in der Medizin
Trotz moralischer Kritik seitens der katholischen Kirche und später aufkommenden Diskussionen über Designerbabys war die Verbreitung der künstlichen Befruchtung nicht mehr zu stoppen - eine neue Ära in der Medizin hatte begonnen. Heute ist die In-vitro-Fertilisation längst nichts Ungewöhnliches mehr: Seit der Geburt von Louise Brown sind mehr als acht Millionen Retortenbabys zur Welt gekommen. Schätzungen zufolge kommen inzwischen mit jedem Jahr eine halbe Million Kinder hinzu.
Vieles hat sich seit den Anfängen verändert: Die Erfolgsaussichten der künstlichen Befruchtung sind heute viel besser als vor einigen Jahrzehnten. Die Chancen, dass der Transfer eines Embryos in einer Schwangerschaft mündet, liegen in Europa bei rund 36 Prozent. Neue Methoden eröffnen dabei immer bessere Möglichkeiten. Klappt die klassische In-vitro-Fertilisation nicht, wenden Forscher beispielsweise vielfach die sogenannte intrazytoplasmatische Spermieninjektion an.
Babys aus dem Eis
Dabei werden Eizelle und Spermien nicht einfach im Glas vermischt, sondern das Spermium gezielt mit einer Pipette in die Eizelle eingebracht. So klappt die Befruchtung auch, wenn die männliche Keimzelle sich nicht selbst erfolgreich zum Ziel bewegen kann. Ein weiterer Fortschritt ist die Verwendung eingefrorener Eizellen. So können Frauen ihre Eizellen auf Eis legen lassen, um die Familienplanung zu verschieben - und zum Beispiel erst Karriere zu machen.
Louise Brown ist heute übrigens selbst Mutter. Ihre beiden Söhne wurden allerdings auf vollkommen natürliche Art und Weise gezeugt.