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Leben auf dem Berg – warum die Almwirtschaft wichtig ist
In vielen Bergregionen wurden zwischen dem zwölften und 14. Jahrhundert großflächig Waldgebiete gerodet, um Weideland zu gewinnen. Diese Weiden und bereits von Natur aus waldfreie Bergwiesen werden seither in den Sommermonaten landwirtschaftlich genutzt. In großen Teilen Bayerns und Österreichs werden diese Sömmerungsgebiete als „Alm“, im Allgäu als „Alpe" bezeichnet. In der Schweiz gibt es schätzungsweise rund 500 Almen, in Deutschland 1.300 und in Österreich sogar mehr als 12.000.
Mit dem Frühling in die Berge
Sobald im Frühjahr der Schnee auf den Wiesen in den Bergen geschmolzen und der Untergrund nicht mehr matschig ist, machen sich Almbauern und Sennerinnen auf den Weg in die Berge. Dort oben haben sie einen kleinen Bauernhof, eine Almhütte mit Viehställen, in der sie während der Sommermonate leben und arbeiten.
Die Almwirte betreuen meist von verschiedenen Bauern im Tal etwa Kühe, Schafe oder Ziegen und treiben sie beim Almauftrieb hoch in die Berge. Dort müssen sie zunächst die Almweiden „schwenden“ – also Büsche und Steine entfernen, die im Winter auf die Wiesen gelangt sind. So vorbereitet, können die Almwirte ihre Tiere dann den Tag über auf den Bergweiden grasen lassen.
Wenn Milchvieh auf der Alm gehalten wird, muss es abends zusammengetrieben und gemolken werden. Die gewonnene Milch wird mehrfach während der Zeit auf der Alm abgeholt und zum Milchhof ins Tal transportiert. Dort wird sie entweder als Milch verkauft oder etwa zu Käse oder Butter verarbeitet.
Neben den reinen Melkalmen gibt es zudem häufig auch die sogenannten Sennalmen. Auf Sennalmen wird die frisch gemolkene Milch direkt vor Ort in der Almhütte zu Butter, Käse und Co. verarbeitet. Die Senner arbeiten dabei meist ohne große Maschinen und brauchen deshalb viel Erfahrung, um die Milchprodukte in Handarbeit herzustellen.
Alm als Attraktion
Die selbsthergestellten Milchprodukte sowie die Almhütten und die Landschaft locken in den Sommermonaten vielerorts Touristen in die Berge. Einige Almlandwirte und Senner bieten deshalb heutzutage für die Besucher ihre regionalen Lebensmittel, Sitzmöglichkeiten und manchmal sogar Schlafplätze an, sodass sich die Regionen um die Almhütten mit der Zeit zu beliebten Ausflugszielen entwickelt haben.
Besonders gern besucht wird aber nicht nur die Almhütte: Nach etwa drei bis vier Monaten, wenn das Alm-Leben für die Tiere vorbei ist, folgt noch ein großer Festtag, der gerne von Touristen verfolgt wird. Zum sogenannten „Almabtrieb“ treffen sich alle Bauern eines Ortes in den Bergen und treiben gemeinsam ihre Tiere von ihren Almen wieder hinunter ins Tal.
Dazu wird das Vieh mit Kränzen aus Tanne und Blumen sowie mit Kuhglocken festlich geschmückt und die Bauern und Almwirte tragen bei ihrem Fußmarsch meist Trachten. Heute erfolgt der Abtrieb immer öfter auch zusätzlich mit Traktoren und Anhänger. Im Tal angekommen, werden die Tiere der verschiedene Höfe voneinander „geschieden“ und den einzelnen Besitzern zugeteilt. Deshalb wird der Abtrieb von der Alm manchmal auch als „Viehscheid“ bezeichnet.
Vorteil für Landwirte und Natur
Für die Landwirte im Tal hat die Almwirtschaft einen großen Vorteil: Wenn ihre Tiere über den Sommer hinweg in den Bergen von den Weiden grasen, kann sich das Gras ihrer Wiesen im Tal erholen und wachsen, ohne abgefressen zu werden. So können die Landwirte es stattdessen mähen, zu Heu trocknen und lagern. Im Winter, wenn die Besitzer ihre Tiere dann wieder selbst versorgen, können sie das Heu von den Talwiesen zum Füttern benutzen.
Außerdem tut die sommerliche Wanderung in die Berge und das Grasen auf den Bergweiden auch den Tieren gut: Durch den Auf- und Abtrieb und die riesigen Weideflächen in den Berglagen bleiben Kuh, Schaf und Co. in Bewegung, sodass ihre Muskulatur und etwa das Herz-Kreislauf-System gestärkt werden. Zudem wachsen auf den Böden der Almwiesen mit rund 70 verschiedenen Kräutern pro Quadratmeter zehnmal so viele nährstoffreiche Pflanzen wie im Tal. Dadurch bleibt das Vieh häufig länger gesund und umso besser schmeckt dann oft auch die Milch.
Die traditionelle Bewirtschaftung der Almen prägt zusätzlich auch seit Jahrhunderten die Landschaft vieler Bergregionen und erhält die einzigartige Pflanzenwelt. Ohne die Tiere und Landwirte würden aus den von Kräutern und Blumen bewachsenen Alpwiesen mit der Zeit wieder Waldflächen werden, durch die die seltenen Pflanzen ihren Lebensraum verlieren. Die Almweiden gehören durch ihre Pflanzenwelt sogar zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa.
Gefahr für die Almwiesen
Diese seltene Kulturlandschaft ist aber zunehmend gefährdet. Denn die Weidewirtschaft im Gebirge lohnt sich für die Landwirte unter anderem aufgrund der niedrigen Preise für Milch und Butter kaum noch. Zudem wollen immer weniger Menschen die körperlich sehr anstrengende Arbeit in der Natur auf der Almhütte machen.
Eine weitere Gefahr für die artenreichen Bergweiden ist auch der Einsatz moderner Tierrassen: Während früher vor allem traditionell an das Hochgebirge angepasste, trittfeste und leichte Rindersorten auf den Almwiesen gehalten wurden, sind es heute Hochleistungszuchtformen, die in kurzer Zeit sehr groß und schwer werden und viel Milch geben können. Da sie wesentlich schwerer als ihre Vorgänger sind, zerstören sie die Bodendecke der Weiden stärker, sodass diese leichter aufreißt und die Erde mit den Pflanzen etwa vom Wind oder Regen abgetragen wird.