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Leipziger Autoritarismus-Studie 2020
Seit 2002 beobachten Wissenschaftler der Universität Leipzig mit der sogenannten Leipziger Autoritarismus-Studie die Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in Deutschland. Die Studienteilnehmer werden zufällig ausgesucht und füllen dazu selbstständig einen Fragebogen aus. Im ersten Teil sollen die Befragten soziodemografische Angaben über sich selbst und zum Haushalt nach den demografischen Standards des Statistischen Bundesamtes machen. Im zweiten, inhaltlichen Teil der Umfrage folgen zum Beispiel Fragen zum Antisemitismus, zur Einstellung gegenüber des Nationalsozialismus oder zur Ausländerfeindlichkeit.
Bei der diesjährigen, zehnten Umfrage hat ein Forscherteam um Oliver Decker von der Universität Leipzig vom 2. Mai 2020 bis zum 19. Juni 2020 bundesweit rund 2.500 Menschen im Alter von 14 bis 93 Jahren befragt. Diese Antworten werteten die Wissenschaftler aus und berücksichtigten dabei auch die prozentualen Anteile der Antworten aus Ost- und Westdeutschland. Zusätzlich verglichen sie die diesjährigen Resultate mit dem Langzeitverlauf der Ergebnisse der letzten Jahre.
Ausländerfeindlichkeit in Deutschland leicht gesunken, aber noch immer hoch
Dabei zeigte sich als erstes zentrales Ergebnis, dass die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland abgenommen hat: Der Prozentsatz der laut der Studie „manifest ausländerfeindlich Eingestellten“ ist im Vergleich zu 2018 von circa 23 auf 16 Prozent gesunken. „Auffällig ist dabei der Unterschied des Rückgangs in West- und Ostdeutschland“, berichtet Decker. Im Westen sank der Anteil von rund 21 auf 13 Prozent, im Osten nur von etwa 30 auf 27 Prozent.
Fast ein Drittel der Bevölkerung hegt demnach manifeste Vorurteile und negative Einstellungen gegenüber Ausländern: Insgesamt stimmen knapp 28 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass „Ausländer nur hierherkommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen“. Dabei lag der Anteil im Osten fast doppelt so hoch wie im Westen. Rund 26 Prozent der Befragten halten die Bundesrepublik „durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“.
Antisemitismus und Muslimen-Feindlichkeit weiterhin präsent
Die aktuelle Studie zeigt außerdem, dass die Zustimmung zu tradiertem Antisemitismus bundesweit leicht rückläufig ist. Dennoch äußerten zehn Prozent der Befragten bestimmte antisemitische Auffassungen, indem sie Verständnis dafür zeigten, dass „manche Leute etwas gegen Juden haben“. Zudem gaben 41 Prozent an, dass „Reparationszahlungen nur einer Holocaust-Industrie“ nützten, was fünf Prozent mehr sind als noch zwei Jahre zuvor. Außerdem verharmlosen etwa zehn Prozent der Deutschen noch immer den Nationalsozialismus und befürworten die damalige Diktatur.
Ebenso leicht zurückgegangen ist die Abwertung von Muslimen. Trotzdem stimmten mehr als ein Viertel der Befragten der Forderung zu, dass „Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen“ sei. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer bestätigten den Satz „Sinti und Roma neigen zur Kriminalität“. Und immerhin noch 47 Prozent der Befragten fühlen sich „durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“.
Obwohl die Zustimmungen zu Antisemitismus und Muslimen-Feindlichkeit im Vergleich zu 2018 sanken, zeigen die Ergebnisse für die Experten weiterhin deutliche Tendenzen in Deutschland: „Wir dürfen uns nichts vormachen, wir verzeichnen bei manchen Fragestellungen weiterhin ein erschreckend hohes Niveau an Zustimmung“, warnt Deckers Kollegin Elmar Brähler.
Hohes Niveau an rechtsextremen Einstellungen
Zudem stellten die Forscher ein dauerhaft hohes Niveau an rechtsextremen Einstellungen in der deutschen Gesellschaft fest: Während der Anteil „verfestigt rechtsextrem eingestellter Personen“ in Westdeutschland auf drei Prozent sank, stieg er in Ostdeutschland auf über neun Prozent an. Demnach zeigten insgesamt über vier Prozent der Befragten „manifest rechtsextreme Einstellungen“ - fast jeder zwanzigste Befragte hatte also ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Zu beobachten sei laut der Forscher zudem eine „Radikalisierung und Enthemmung unter extremen Rechten“.
Für die Wissenschaftler zählt zu einer der Hauptursachen dieser rechtsextremen Einstellungen der Autoritarismus: „Menschen mit autoritärem Charakter neigen zu rigiden Ideologien, die es gestatten, sich gleichzeitig einer Autorität zu unterwerfen, an ihrer Macht teilzuhaben und die Abwertung anderer im Namen dieser Ordnung zu fordern“, erläutert Brähler. „Rund ein Drittel der Deutschen zeigen Merkmale eines autoritären Typus.“
Unzufrieden mit der Demokratie?
Und das hat laut der Experten auch Einfluss auf den Rest der Gesellschaft: „Wir müssen darauf hinweisen, dass autoritäre und antidemokratische Einstellungen eine beständige Bedrohung für unsere offene, liberale Gesellschaft darstellen“, fasst Decker zusammen.
Gerade in Ostdeutschland ist laut der Umfragen bereits jetzt eine deutliche Unzufriedenheit gegenüber der Demokratie zu erkennen. Hier sank die Zufriedenheit im Vergleich zur letzten Studie etwa sieben Prozent ab, auf insgesamt nur 40 Prozent. In Westdeutschland blieb die Zufriedenheit hingegen etwa konstant bei über 55 Prozent. Dementsprechend zeigten sich die Umfrageteilnehmer aus Ostdeutschland auch weniger unterstützend gegenüber der amtierenden Politiker.
Verschwörungstheorien haben Konjunktur
Neu in diesem Jahr waren Fragestellungen zu Verschwörungstheorien bezüglich der Corona-Pandemie. Dabei zeigte sich, dass 33 Prozent der Befragten der Aussage stark zustimmten, dass „Die Corona-Krise so groß geredet wurde, damit einige wenige davon profitieren können“. Weitere rund 48 Prozent befürworteten ebenfalls sehr stark, dass „Die Hintergründe der Corona-Pandemie nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen werden“. Weitere fast 15 Prozent der Befragten bestätigten letzteres, jedoch weniger stark.
„Unsere Befragung hat gezeigt, dass der Glaube an Verschwörungsmythen in der Bevölkerung seit 2018 gestiegen ist“, erklärt Decker. Die Ursache darin sehen die Experten in der aktuellen Pandemie, die die Verschwörungsmentalität aller Deutschen um 40 Prozent erhöht habe. Außerdem gaben auch mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer an, sich von der Pandemie bedroht oder stark bedroht zu fühlen. 60 Prozent fürchten zudem, dass die deutsche Kultur durch die Corona-Pandemie stark bedroht ist.