Der Weg zum Umsturz
Der Oktoberrevolution vorausgegangen war die Februarrevolution, die 1917 zum Zusammenbruch der zaristischen Herrschaft in Russland geführt hatte. Es bildeten sich zwei neue Machtzentren: einmal die von den liberalen Duma-Parteien gebildete Provisorische Regierung, die zuerst unter der Führung des Fürsten Lwow stand, und zum anderen die bald im ganzen Land aufkommenden Sowjets (Räte), die von Arbeitern, Bauern und Soldaten gewählt wurden. Während die Provisorische Regierung den Krieg gegen Deutschland weiter führen wollte, drängten die Sowjets auf Frieden und Landreform.
Die politischen Zielsetzungen innerhalb der Sowjets, in denen zunächst die Agrarsozialisten und Minderheitssozialisten (Menschewiki) gegenüber den Bolschewisten die Mehrheit hatten, wurden unter dem Einfluss W. I. Lenins, der mit deutscher Hilfe aus dem Exil in der Schweiz zurückgekehrt war, und L. D. Trotzkijs immer weiter radikalisiert. Ihre Forderungen lauteten: keinerlei Unterstützung der Provisorischen Regierung, alle Macht den Sowjets, Frieden, Land und Brot. Die Einnahme Rigas durch deutsche Truppen am 3. 9. (21. 8) 1917 führte zu einem neuen Vertrauensschwund der jetzt unter der Leitung von A. F. Kerenskij stehenden Provisorischen Regierung. Ein Rechtsputsch des Generals L. G. Kornilow konnte von der Kerenskij-Regierung nur mit Hilfe der Bolschewisten niedergeschlagen werden. In der Folge erhielten diese am 13. 9. (31. 8.) eine klare Mehrheit im Petrograder Sowjet, fünf Tage später auch im Moskauer Sowjet und bald danach in den meisten Provinzsowjets. Lenin drängte seine Parteigänger nun, die Macht in Russland zu ergreifen. Am 23. 10. (10. 10.) trat das bolschewistische Zentralkomitee zusammen und billigte den Aufstandsplan. Lenin war zwar die treibende Kraft, Trotzkij jedoch der militärische Führer und Organisator. Der Petrograder Sowjet hatte unter seiner Leitung ein Revolutionäres Militärkomitee gebildet, das die Kontakte mit der Garnison der Stadt koordinierte. Auf Grund der Zuspitzung der Lage befahl Kerenskij am 5. 11. (23. 10.) die Schließung der bolschewistischen Zeitungshäuser und erließ Haftbefehle gegen die bolschewistischen Führer.
Die Revolution und die Etablierung der bolschewistischen Herrschaft
In der Nacht vom 6. auf den 7. 11. (24./25. 10) besetzten die Rotgardisten alle strategisch wichtigen Punkte der Stadt. Am Morgen des 7. 11. (25. 10.) war Kerenskij bereits geflohen. Am Nachmittag wurde seine Regierung im Winterpalais eingeschlossen und nach dem sog. Sturm auf das Winterpalais in der Nacht vom 7. auf den 8. 11. (25./26. 10) verhaftet. Der II. Allrussische Rätekongress bildete den Rat der Volkskommissare unter Vorsitz Lenins als Revolutionsregierung. Unter den Volkskommissaren hatte Trotzkij die auswärtigen Angelegenheiten übernommen, J. Stalin das Amt für Nationalitätenfragen.
Dem weitgespannten Netz der Sowjets im Lande wurde alle Macht übertragen. Ein Dekret schlug einen gerechten Frieden vor, ein anderes verfügte die Enteignung des Großgrundbesitzes. Am 9. 11. (27. 10.) wurde die Einschränkung der Pressefreiheit dekretiert. Später folgten die Liquidation des Gerichtwesens sowie die Bildung der Allrussischen Außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage, kurz Tscheka genannt. Ihre scharfe Gegenerschaft zum demokratischen Parlamentarismus stellten die Bolschewiken nach der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung unter Beweis. Bei dieser Wahl hatten sie nur ein Viertel der Stimmen erhalten. Die absolute Mehrheit war den Sozialrevolutionären zugefallen. Daraufhin hoben die Rotgardisten die Versammlung gewaltsam auf und hinderten die Mitglieder an einem weiteren Zusammentritt. Den vorläufigen Schlusspunkt der staatlichen Entwicklung bildete 1918 die Verabschiedung der Verfassung der neuen Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik.
Am 3. März 1918 schlossen die neuen Machthaber mit den Mittelmächten den Frieden von Brest-Litowsk. Dafür mussten sie aber in einem Bürgerkrieg gegen antibolschewistische Streitkräfte (Weißgardisten) bestehen. Die Zarenfamilie wurde 1918 ermordet, politische Gegner zunehmend durch den „roten Terror“ der Tscheka bekämpft. Nach einem Krieg gegen Polen verlor das Regime 1921 Teile Weißrusslands und Wolyniens. Die kriegerischen Auseinandersetzungen und die gesellschaftlichen Umwälzungen führten zum Zusammenbruch der Wirtschaft. 1921 wurde der Kronstädter Matrosenaufstand gegen die bolschewistische Diktatur blutig niedergeschlagen. Diese hatte sich endgültig 1922 etabliert, als aus der Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik die
Sowjetunion hervorging.
Der in der propagandistischen Terminologie der UdSSR und ihrer Verbündeten als Große Sozialistische Oktoberrevolution bezeichnete Umsturz stellte eine entscheidende Zäsur in der Geschichte des 20. Jahrhundert dar, weil sich damit zum ersten Mal der Kommunismus als staatliche Herrschaftsform konstituiert hatte. Damit war eine in den demokratischen Nationen als fundamentale Bedrohung empfundene Systemalternative geschaffen, die nach 1945 zum Kalten Krieg und zum Ost-West-Konflikt führte. Für viele Historiker markiert diese epochale Zäsur, die die Oktoberrevolution zusammen mit dem Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg bildet, den Beginn der Zeitgeschichte.