Lexikon

Südosteuropa

der südöstliche Teil Europas, der die Balkanhalbinsel umfasst.

Geographie

Geschichte

Völker verschiedener Herkunft haben in die Geschicke Südosteuropas eingegriffen und ihre Spuren hinterlassen: Kelten, Römer, Germanen, Slawen, Ungarn (Magyaren), Griechen, Italiener, Türken, Normannen, Franzosen, Deutsche und dazu immer wieder die kriegerischen Reiternomaden Innerasiens, die bis in den Raum von Südosteuropa vorgestoßen sind, wo mit den Ungarn und den Ur-Bulgaren Teile von ihnen sogar auf Dauer Wohnsitz genommen haben.
Gräzisierung und Romanisierung haben seit der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. Südosteuropa weitgehend überformt. Die Gräzisierung nahm ihren Ausgangspunkt von zahlreichen Handelsniederlassungen, die Romanisierung von den Legionslagern und Garnisonsstädten in Makedonien, an der dalmatinisch-albanischen Küste und im Donauraum.
Der Sturm der germanischen Völkerwanderungszeit ging an Südosteuropa fast spurlos vorüber, ganz im Gegensatz zur Siedlungsausbreitung der Slawen seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. Zur Zeit der maximalen Ausdehnung der slawischen Siedler, im Zeitraum von etwa 600800 n. Chr., war der überwiegende Teil des Binnenlands von slawischen Ackerbauern in Besitz genommen.
Das Expansionsstreben mächtiger Nachbarn hat Ansätze eigenständiger politischer Herrschaftsbildungen in größerem Rahmen unter den Völkern Südosteuropas wiederholt gewaltsam unterbunden. Zunächst hatten die Bulgaren weite Teile der Balkanhalbinsel einem Großreich eingegliedert, das erst Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts an der wiedererstarkten byzantinischen Militärmacht zerbrach. Die ersten Herrschaftsbildungen der Serben und Kroaten des 9.12. Jahrhunderts entwuchsen lange Zeit kaum den stammhaften Bindungen. Dauerhafter gelang der Übergang zum Territorialstaat im Bosnien des hohen und späten Mittelalters und insbesondere im serbischen Nationalstaat der Nemanjiden (11231394).
Erst unter dem
Osmanischen Reich
, dem die balkanische Kleinstaatenwelt des 14. Jahrhunderts in rascher Folge zufiel, fand Südosteuropa wieder zu einer politischen Einheit zusammen; nur im Nordwesten konnten sich die Habsburger in Verbindung mit mitteleuropäischen Staaten behaupten.
Der innere Machtverfall des Osmanischen Reichs schuf im 19. Jahrhundert die Voraussetzungen für eine völlige Neuordnung. Sie wurde durch den Gegensatz zwischen dem erwachenden nationalen Selbstbewusstsein der kleinen Völker Südosteuropas und den machtpolitischen Interessen der Großmächte unheilvoll beeinflusst. Russland büßte seinen Vorsprung der ersten Jahrhunderthälfte während des Krimkriegs (18531856) gegen eine gesamteuropäische Koalition wieder ein. Die maßlosen russischen Forderungen nach dem erfolgreichen militärischen Engagement im Türkenkrieg von 1877/78 (Friede von San Stefano, Schaffung Bulgariens) ließen sich nicht gegen die auf einen Ausgleich bedachten Friedensbemühungen der europäischen Diplomatie durchsetzen, die nationalen Großreichträume und ein wachsender terroristischer Irredentismus unter den Balkanvölkern verhinderten andererseits dauerhafte politische Lösungen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts lösten sich immer mehr Völker aus dem Osmanischen Reich (1829 Griechenland, 1878 die Fürstentümer Serbien, Rumänien, Montenegro, 1908 Bulgarien, 1912 Albanien) und führten einen erbitterten Machtkampf (Balkankriege 1912/13). Auch nach dem Zusammenbruch der drei großen Vielvölkerstaaten Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich und Russland im 1. Weltkrieg fanden sie zu keinen dauerhaften Grenzregelungen. Mit dem machtpolitischen Übergreifen Italiens auf albanischen Boden (April 1939) geriet Südosteuropa am Vorabend des 2. Weltkriegs wiederum in den Einzugsbereich äußerer Mächte, die in der Uneinigkeit und der Schwäche der einzelnen Staaten günstige Ansatzpunkte fanden. Die nach Osten und Südosten ausgreifende expansive Politik des nationalsozialistischen Deutschlands hatte zudem die Bindungen der in der Kleinen Entente vereinigten Staaten mit Frankreich und Polen gelockert. Im Zug des 2. Weltkriegs wurde Südosteuropa wiederum zum Kriegsschauplatz fremder Mächte. Mit dem Sieg des Kommunismus in der Mehrzahl der Staaten Südosteuropas (Griechenland ausgenommen) brach eine neue Epoche an. Die Wiederherstellung des territorialen Status quo ante (1947 Pariser Friedensverträge) entsprach den nationalen Forderungen der siegreichen Staaten Südosteuropas; Ungarn, Rumänien und Bulgarien hatten auf die Gebietserwerbungen der Zwischenkriegszeit wieder Verzicht zu leisten, der 2. Wiener Schiedsspruch (30. 8. 1940) wurde annulliert, die Aufteilung des jugoslawischen Territoriums rückgängig gemacht.
Seit 1989 kam es zum Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Albanien. Der Übergang zur Demokratie war von erheblichen Problemen begleitet. Der 1991 einsetzende Zerfall Jugoslawiens führte zur Entstehung neuer Nationalstaaten (Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Makedonien, Serbien und Montenegro und Slowenien) in der Region. Nach dem Ende des Kosovo-Krieges 1999 bemühten sich die internationalen Organisationen unter Führung der EU mit einem Stabilitätspakt für Südosteuropa um den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die langfristige demokratische Entwicklung des Gebietes. 2006 sprach sich die Bevölkerung Montenegros in einem Referendum für die Unabhängigkeit aus.
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