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#MeTwo-Debatte - Haben wir ein Rassismus-Problem?
Ein deutscher Fußballer tritt aus der Nationalmannschaft zurück, weil er sich rassistisch angefeindet fühlt: Die Diskussion, die Mesut Özil mit seinen Vorwürfen gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB) losgetreten hat, findet im Internet seit einigen Wochen eine unerwartete Fortsetzung. Unter dem Hashtag #MeTwo tauschen Menschen auf Twitter ihre persönlichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus in Deutschland aus.
Es sind Geschichten von Menschen, die sich wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer Herkunft in ganz alltäglichen Situationen diskriminiert fühlen. Da ist zum Beispiel die Studentin mit Kopftuch, die an der Universität für die Putzfrau gehalten wird, der Schüler, der für ein fehlerfreies Diktat keine Eins bekommt und der dunkelhäutige Bahnfahrer, der als einziger Fahrgast sein Ticket vorzeigen muss.
Mit zwei Ländern verbunden
Menschen wie sie haben unter dem an den weltweiten #MeToo-Skandal angelehnten Schlagwort nun eine neue Plattform für Austausch und Diskussionen gefunden. Zu verdanken haben sie diesen eingängigen Hashtag dem deutsch-türkischen Aktivisten Ali Can. "Ich dachte, es braucht endlich einen Raum für Menschen mit Migrationshintergrund", sagt er.
"Me Two", auf Deutsch "Ich Zwei", soll dabei als Symbol für die zwei Herzen stehen, die in der Brust vieler Menschen mit Einwanderungsgeschichte schlagen: Sie sind und fühlen sich einerseits deutsch. Gleichzeitig fühlen sie sich aber mit einem zweiten Land verbunden - beispielsweise, weil die Eltern von dort stammen. Dass dies von einigen Teilen unserer Bevölkerung offenbar nicht akzeptiert wird, zeigen die zahlreichen Geschichten, die unter dem Hashtag inzwischen erzählt wurden. #MeTwo avancierte innerhalb von nur zwei Tagen zum meistgeteilten Begriff in den deutschsprachigen sozialen Netzwerken.
Beleidigungen, Gewalt, Benachteiligung
Dass sich Menschen mit Migrationshintergrund in ihrem Alltag häufig rassistisch behandelt fühlen, belegen auch Studien: Einer Anfang des Jahres veröffentlichten, repräsentativen Untersuchung des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration zufolge haben 48 Prozent der Studienteilnehmer mit "sichtbarem Migrationshintergrund" schon einmal Diskriminierung erlebt. Bei Befragten aus dieser Gruppe, die außerdem mit Akzent Deutsch sprechen, liegt dieser Wert sogar bei 59 Prozent.
Einen großen Effekt hat zudem die Religionszugehörigkeit: Den Angaben zufolge fühlen sich 55 Prozent der zugewanderten Muslime diskriminiert. Unter den Christen mit Migrationshintergrund sind es 29, unter den Zuwanderern ohne Glaubenszugehörigkeit 32 Prozent. Die von den Betroffenen empfundene Diskriminierung reicht dabei von Gewalt, über beleidigende Äußerungen bis hin zu Benachteiligungen bei der Job- und Wohnungssuche.
"Beeindruckend und schmerzhaft"
Solche Formen des Alltagsrassismus gibt es in Deutschland nicht erst seit gestern. Doch in letzter Zeit scheint sich das Problem zu verschärfen. Experten beobachten, dass in Zeiten von Flüchtlingskrise, Pegida und AfD die Toleranzschwelle in Sachen Rassismus gestiegen ist. Kurzum: Die Diskriminierung ist in gewisser Weise "salonfähig" geworden, wie es der NDR-Moderator Michel Abdollahi kürzlich in einem Kommentar formulierte.
#MeTwo hat demnach eine Diskussion losgetreten, die früher oder später geführt werden musste. Inzwischen beteiligen sich auch Spitzenpolitiker daran - zum Beispiel Bundesaußenminister Heiko Maas: "Wer glaubt, Rassismus in Deutschland sei kein Problem mehr, dem empfehle ich, sich sämtliche #MeTwo-Tweets durchzulesen. Es ist beeindruckend und schmerzhaft, wie viele Menschen hier ihre Stimme erheben", erklärte er. "Erheben wir unsere Stimme mit ihnen: gegen Rassismus, jederzeit, überall."