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Moderne Mythen im Test: Beeinflusst der Mond unseren Schlaf?
Der Schlaf will und will nicht kommen: Wieder wälzt man sich nur im Bett herum, dann ein Blick aus dem Fenster: Am Himmel steht, als wolle er uns verspotten, hell leuchtend der Vollmond. Kein Wunder, dass viele Menschen im Vollmond auch die Ursache für ihre Schlaflosigkeit sehen. Aber was ist dran, an diesem Volksglauben? Schon früher haben Forscher dies untersucht – meist, indem sie Daten aus Schlaflaboren und anderen nicht eigens zu diesem Zweck durchgeführten Studien auf einen Zusammenhang mit der Mondphase auswerteten.
Widersprüchliche Ergebnisse
Die Ergebnisse blieben aber uneindeutig: In manchen Studien schienen sich die Mondphasen besonders auf Frauen auszuwirken, in andern wiederum besonders auf Männer. Vor rund einem Jahr dann schienen Schweizer Forscher einen Durchbruch erzielt zu haben: Sie wiesen nach, dass ihre gut 30 Versuchspersonen selbst in einem komplett verdunkelten Raum durchschnittlich immerhin fünf Minuten später einschliefen, wenn draußen der Vollmond schien. Auch ihre Tiefschlafphasen waren um ein Drittel kürzer.
Um dieses Ergebnis zu überprüfen, haben die Münchener Forscher nun das Ganze noch einmal mit erheblich mehr Daten überprüft: Sie analysierten die Schlafdaten von immerhin 1.265 Probanden aus 2.097 Nächten, hinzu kamen Daten aus zuvor unveröffentlichten Studien, die rund 20.000 Schlafnächten entsprachen. Das Resultat widerspricht dem der Schweizer diametral: „Nachdem wir diese große Anzahl von Daten ausgewertet hatten, konnten wir frühere Ergebnisse aus anderen Studien nicht bestätigen“, berichtet Martin Dresler, Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Demnach schläft es sich bei Vollmond genauso gut oder schlecht wie bei Neumond oder in einer beliebigen anderen Mondphase.
Ein psychologischer Effekt…
Dass sich der Volksglauben trotzdem so hartnäckig hält, hat zwei Gründe: Zum einen neigen wir Menschen dazu, vermeintliche Zusammenhänge auch dort zu sehen, wo es keine gibt – dazu reicht manchmal allein ein zeitliches Zusammentreffen – beispielsweise von Schlaflosigkeit und dem Blick auf den Vollmond vor dem Fenster. Schon wegen des beeindruckenden Anblicks merken wir uns dies. Liegen wir jedoch wach, ohne dass eine besondere Mondphase sichtbar ist, vergessen wir diesen "Nicht-Zusammenhang" auch schnell wieder – im Gedächtnis bleibt der Vollmond als Förderer der Schlaflosigkeit.
…und das Schubladenproblem
Im wissenschaftlichen Bereich kommt ein weiterer Aspekt zum Tragen, wie die Münchener Forscher feststellten: verzerrte Veröffentlichungspraxis, auch als sogenanntes „Schubladenproblem“ bekannt. Darunter versteht man das Phänomen, dass viele Untersuchungen zwar durchgeführt, aber nie veröffentlicht werden – sie bleiben in der Schublade der Forscher, weil diese sie für nicht interessant genug halten. Die Tendenz nur positive oder signifikante Ergebnisse zu veröffentlichen, nicht aber negative oder unschlüssige, ist ein viel diskutiertes Problem in der Wissenschaft, Medizin und Pharmazie.
Für den vermeintlichen Einfluss der Mondphasen auf unseren Schlaf könnte daher das gleiche gelten: Forscher, die keinen Einfluss finden, hängen dies nicht an die große Glocke, weil dies in ihren Augen wenig überraschend ist. Andere, die einen Zusammenhang zu finden glauben, tun dies dagegen schon – und dies verstärkt ebenfalls den Volksglauben vom schlaflos machenden Mond.