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Onlinesucht
Die Studie
Lange Zeit galt die Datenlage über die Verbreitung von Internetabhängigen in der deutschen Bevölkerung als lückenhaft, basierte auf nicht repräsentativen Stichproben. Die von November 2011 bis Februar 2012 vorgenommene Studie PINTA – Prävalenz, also Häufigkeit der Internetabhängigkeit – sollte es richten, und zwar mithilfe der modernen Statistikmethode LCA (Latent Class Analyse). Die sah vor, aufgrund bestimmter Antwortmuster Personengruppen zusammenzufassen, die mit einer Onlinesucht übereinstimmende Besonderheiten aufwiesen.
Unter den 15.024 telefonisch Befragten im Alter von 14 bis 64 Jahren will die Studie ein Prozent ausgemacht haben, bei dem „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Abhängigkeit vorliegt.“ Die Quote vervierfacht sich bei den 14- bis 16-Jährigen. Auffallend ist hier der höhere Anteil an Mädchen, nämlich 4,9 Prozent gegenüber 3,1 Prozent der Jungen. Beide Geschlechter zieht es überwiegend in die sozialen Netzwerke wie Facebook, während sich Mädchen kaum, Jungen hingegen zu einem guten Drittel mit Onlinespielen vergnügen.
Was ist Onlinesucht?
Mögen die Quoten auch für sich sprechen, die Frage bleibt dennoch: Sind die Betroffenen wirklich süchtig nach dem Internet und ausschließlich nach dem Internet? Oder verbergen sich ganz andere Abhängigkeiten dahinter wie zum Beispiel Kommunikations-, Sex- oder Spielsucht? Fakt ist, das Internet erleichtert den Zugang zu entsprechenden Plattformen, auf denen Gefährdete eine Sucht entwickeln und Süchtige ihre Sucht befriedigen können. Andere wiederum könnten in dem Medium auch einen Weg gefunden haben, um Einsamkeit oder Depressionen zu kompensieren. Diese Annahme stützt Ronald Pies, Dozent an der Harvard Medical School, im Fachmagazin „Psychiatry“: „Es ist nicht klar, ob Onlinesucht Ausdruck einer Grunderkrankung oder eine eigenständige Erkrankung ist."
Und auch Matthias Walle, niedergelassener Psychiater im niedersächsischen Hemmoor, findet, dass Onlinesucht nicht der treffende Begriff sei. „Eher würde ich hier von einer Mediensucht sprechen, das ist auch die gängige Bezeichnung. Sie umfasst den krankhaften Hang zu Spielkonsolen, zum Fernsehen und natürlich auch zum Internet. Häufig leiden die Betroffenen an einer Sozialphobie. Sie sind extrem menschenscheu, flüchten sich in andere Welten oder finden in Spielen wie Warcraft Bestätigung bei ihren Online-Partnern.“
Weg aus der Sucht
Wie auch immer die Begriffslage sein mag, wer sein Leben verpasst, weil er sich nicht vom Bildschirm trennen kann – es sei denn aus beruflichen oder aus Studiengründen – benötigt Hilfe. Und die bietet am ehesten ein Psychotherapeut. In einer Gesprächstherapie ermittelt dieser die wahre Ursache für den krankhaften Medienkonsum und entscheidet, welche Maßnahmen geeignet sind. Eine Sucht wirkt sich bei jedem Menschen unterschiedlich aus und somit unterscheiden sich auch die Therapieansätze individuell. „Erster Schritt ist im Allgemeinen wie bei jeder Suchterkrankung eine Entwöhnung“, sagt Walle. Das Bedeutungsloch, das sich anschließend für den Patienten auftue, müsse dieser im Zuge der Therapie allmählich ausfüllen.