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Organspende - Kommt die Widerspruchslösung?

Tausende Menschen in Deutschland warten dringend auf ein Spenderorgan. Doch genau davon gibt es viel zu wenige. Um dies zu ändern, will Bundesgesundheitsminister Spahn künftig jeden automatisch zum Spender machen. Wer das nicht möchte, muss ausdrücklich widersprechen. Wie würde eine solche Widerspruchslösung genau funktionieren? Und könnte die Regelung das Spenderproblem wirklich lösen?
DAL, 19.11.2018

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) warten derzeit 10.000 Menschen in Deutschland auf eine Organspende.

thinkstock.com, tcly

Für Menschen mit akutem Organversagen oder einer schweren chronischen Erkrankung ist eine Organtransplantation oftmals die letzte Hoffnung. Doch in Deutschland warten viele Patienten vergebens auf diese Möglichkeit – nur zwei Drittel schaffen es bis zum lebensrettenden Eingriff. Der Grund dafür ist bekannt: Es gibt zu wenige Spender und Spenderorgane und entsprechend lang sind die Wartelisten. Auf eine neue Niere warten Betroffene bei uns zum Beispiel im Schnitt acht bis zehn Jahre. In vielen Nachbarländern hingegen sind es nur zwei.

Deutschland ist in Sachen Transplantationsaktivitäten das traurige Schlusslicht in Europa. Erst im vergangenen Jahr haben die Transplantationszahlen bei uns einen neuen Tiefstand erreicht: Nur 797 Spender kamen auf rund 10.000 wartende Patienten – und das obwohl im gleichen Zeitraum fast 900.000 Menschen und damit potenzielle Spender verstarben. Das Paradoxe daran: Umfragen zufolge wären rund 80 Prozent der Bevölkerung grundsätzlich bereit zur Organspende. Warum also wird nur ein Bruchteil dieser Menschen tatsächlich zum Spender?

Widersprechen statt zustimmen

Nach Ansicht vieler Experten ist die derzeit geltende, sogenannte Entscheidungslösung das Problem: Nur wer sich aktiv um einen Spenderausweis kümmert und einer Organentnahme ausdrücklich zustimmt, wird zum Spender. Wer dies – aus welchen Gründen auch immer – versäumt, für den müssen im Zweifel später die Angehörigen entscheiden. Das bedeutet auch, dass im Prinzip niemand gezwungen ist, sich Zeit seines Lebens ernsthaft über das Thema Gedanken zu machen.

Bei der sogenannten Widerspruchslösung wird der Spieß dagegen umgedreht: Wer untätig bleibt und nicht widerspricht, dem können im Falle eines Hirntods Organe entnommen werden. Diese Regelung haben inzwischen viele Länder eingeführt, darunter Schweden, Frankreich, Belgien und die Niederlande. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn möchte die Widerspruchslösung nun gerne auch in Deutschland etablieren. Denn er hofft, dass die Organspenderzahlen dadurch steigen könnten.

Der in Deutschland meistgenutzte Organspendeausweis wird von der BZgA herausgegeben und hat das Scheckkartenformat.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Auch Angehörige dürfen entscheiden

Konkret handelt es sich bei der von Spahn vorgeschlagenen Variante um eine doppelte Widerspruchslösung. Das bedeutet: Hat ein Mensch zu Lebzeiten nicht widersprochen, dann haben immer noch seine Angehörigen das Recht zum Widerspruch, bevor die Organe entnommen werden. Bei einer einfachen Widerspruchslösung ist dagegen nur der potenzielle Spender selbst widerspruchsberechtigt.

Kritiker sehen in der nun diskutierten Änderung der Organspende-Regelung eine unzulässige Bevormundung der Bürger. Dieses Argument lässt der Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Christian Hugo, nicht gelten: "Niemandem wird die Entscheidung abgenommen. Im Gegenteil, der mündige Bürger wird ernst genommen, ihm wird eine Entscheidung abverlangt. Seine Entscheidung kann jeder auch zu jeder Zeit wieder ändern", betont er.

Probleme in den Kliniken

Ob es in absehbarer Zeit allerdings überhaupt zu einer Neuregelung kommt, steht noch in den Sternen. Ende November werden die Abgeordneten des Bundestags erst einmal in einer unverbindlichen "Orientierungsdebatte" ohne Fraktionszwang Stellung zu dem heiklen Thema beziehen.

Doch ob Entscheidungs- oder Widerspruchslösung: Um eine Trendwende in der Transplantationsmedizin herbeizuführen, muss künftig auch an weiteren Stellschrauben gedreht werden. Vielfach sind es nämlich klinikinterne Abläufe, die die Organspende erschweren: Wird der Hirntod rechtzeitig festgestellt und gemeldet? Ist entsprechend geschultes Personal für die Organentnahme erreichbar? Und möchte sich die Klinik den teuren, nur mit knapp bemessenen Pauschalen vergüteten Eingriff überhaupt leisten?

Für den Rückgang der postmortalen Organspenden sind auch Organisationsprobleme in den Entnahmekrankenhäuser verantwortlich.

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Gesetz für bessere Abläufe geplant

Um diese Aspekte anzugehen, ist bereits ein Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende geplant. Es soll voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 2019 in Kraft treten und dazu beitragen, dass Transplantationsbeauftragte mehr Zeit für ihre Aufgaben erhalten, die Abläufe verbessert werden und die Entnahmekrankenhäuser mehr Geld für die Organspenden erhalten.

"Das wichtigste Ziel muss sein, mehr Menschen durch eine Transplantation zu retten. Dazu brauchen wir beides: die notwendigen strukturellen Maßnahmen und – als gesellschaftliches Bekenntnis zur Organspende – die Widerspruchslösung", sagt die Vorsitzende vom Leben-Spenden-Bündnis Jutta Falke-Ischinger.

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