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"Overtourism" - wenn die Touristen einfallen
Unser Reiseverhalten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert: Dank Billigfliegern und dem wachsenden Kreuzfahrttourismus machen heutzutage immer Menschen Urlaub in fremden Ländern. Doch die steigende Zahl von Touristen ist nicht der einzige Grund dafür, warum manche Orte inzwischen unter "Overtourism" leiden - einem Zuviel an Urlaubern.
Eine weitere Rolle spielen beispielsweise politische Konflikte. Sie sorgen dafür, dass Urlauber bestimmte Ziele meiden und sich daher immer mehr Touristen in den noch als unproblematisch geltenden Urlaubsregionen tummeln. Auch die sozialen Medien befeuern das Phänomen. Denn über Instagram, Facebook und Co geteilte Urlaubseindrücke können kleine Orte quasi über Nacht bekannt machen - und so zu einem regelrechten Run auf diese ehemaligen Geheimtipps führen.
Folgenreiche Überfüllung
Die Folgen für die betroffenen Orte sind bekannt: Viele Urlaubsgebiete haben vermehrt mit Überfüllung, steigenden Lebenshaltungskosten, Umweltproblemen und der Touristifizierung ganzer Stadtviertel zu kämpfen - zum Leidwesen der Einheimischen. In Orten wie Palma de Mallorca beschweren sich Anwohner inzwischen zunehmend über die Touristenplage und zum Teil passiert tatsächlich auch etwas. So versuchen sich Stadtverwaltungen unter anderem mit Benimmregeln, alkoholfreien Zonen und Nachhaltigkeitsabgaben gegen das Problem zu wehren.
Doch was denken eigentlich die Verursacher selbst über Overtourism? Forscher um Claudia Möller von der IUBH Internationale Hochschule in Bad Honnef haben nun erstmals die Sicht der Touristen, nicht die der Urlaubsorte, auf das Phänomen untersucht. Um herauszufinden, wie Urlauber das Problem der überlaufenen Orte wahrnehmen, befragte das Team 384 Jugendliche und Erwachsene mithilfe eines Online-Fragebogens.
Trotzdem reisen?
Das Ergebnis: Immerhin zwei von drei Befragten hatten schon einmal etwas von der Problematik Overtourism gehört. Konkret verbanden sie damit vor allem die Städte Venedig, Barcelona, Paris, Rom und Amsterdam. Von einer Reise in diese Orte würde sich die Mehrheit dennoch nicht abhalten lassen, wie die Untersuchung enthüllte.
Warum? "Viele der Studienteilnehmer interpretieren die Popularität einer Destination als ein 'Must see'", erklärt Möller. "Also als Beweis dafür, dass man diesen Ort einfach einmal gesehen haben muss." Als weitere Gründe für einen Besuch nannten die Befragten die "vielen und speziellen Attraktionen" vor Ort, "Kultur", "Geschichte" sowie "kostengünstiges Reisen". Immerhin: Viele Befragte würden die betroffenen Orte eher in der Nebensaison besuchen.
Sorge um das Urlaubserlebnis
Nicht jeder Befragte möchte dem Overtourism aber zusätzlich Nahrung geben: Ein Drittel aller Befragten würde eine Reise an überfüllte Urlaubsorte lieber vermeiden (30 Prozent) oder sogar klar ablehnen (5 Prozent). Als Grund gaben diese Personen jedoch nicht nur die negativen Folgen für die betroffenen Orte an - vor allem die Sorge um das eigene Urlaubserlebnis scheint für sie in diesem Zusammenhang eine Rolle zu spielen.
So zeigten die Auswertungen, dass die Befragten in erster Linie den Verlust von Authentizität, Stress und beeinträchtigten Urlaubsgenuss sowie erhöhte Preise und Lärm als wichtigste Auswirkungen des Overtourism betrachten. "Viele der Befragten befürchten das Gefühl der Massenabfertigung, das im Gegensatz zu einem gewünschten individuellen Service und Urlaub steht", sagt Möller.
Eine Frage des Geldbeutels
Ob sich jemand für oder gegen einen für seine Überfüllung bekannten Urlaubsort entscheidet, ist dabei offenbar vor allem eine Frage des Alters. Wie die Wissenschaftler berichten, tendierten Befragte aus der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen deutlich eher dazu, von Overtourism betroffene Ziele aufzusuchen als ältere Studienteilnehmer.
"Hierbei spielt vermutlich der Geldbeutel eine Rolle", meint Möller. "Jüngere Reisende buchen häufiger Billigflugreisen oder günstige Kreuzfahrten, die dann genau die typischen überfüllten Urlaubsorte ansteuern. Wer dagegen etwas mehr Geld im Urlaub ausgeben kann, entscheidet sich eher für Exklusivität statt Massentourismus." Und noch ein Grund sei denkbar: "Die Älteren waren vielleicht auch früher einfach schon mal da."