Das Gefühl bodenloser Erschöpfung hat einen Namen: Burnout. Ein Schlagwort, das Schlagzeilen macht. Immer wieder brechen Prominente öffentlich unter dem Druck unserer Leistungsgesellschaft zusammen, darunter Skispringer Sven Hannawald, Hollwoodstar Renee Zellweger oder Ex-Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld. Ihre Schicksale verhelfen dem neuen Synonym für die totale Entkräftung zu großer Popularität.
Burnout ist in aller Munde. Schließlich kennt jeder das Gefühl, überlastet zu sein. Sich überfordert zu fühlen. Dass plötzlich alles zu viel ist. Meetings, Überstunden, Erfolgsdruck im Job. Schätzungen zufolge leiden 20 Prozent der deutschen Erwerbstätigen unter dem Burnout-Syndrom. Der als Modewort fast schon verrufene Begriff scheint omnipräsent zu sein - und dennoch bleibt er wenig greifbar. Selbst Mediziner scheuen sich vor einer Definition. Offiziell galt Burnout lange Zeit schließlich nicht als Krankheit, sondern als "Problem der Lebensbewältigung“. Seit Juni 2007 ist das Syndrom offiziell als Krankheit anerkannt.
Burnout - was heißt das eigentlich?
Die Bedeutung steckt schon im englischen Begriff: das Gefühl, ausgebrannt zu sein. Ein Zustand chronischer Erschöpfung und Leistungsschwäche vor allem bei Menschen mit hoher Arbeitsbelastung und mit hohem Leistungsdruck.
Dabei stand doch am Anfang so oft die flammende Begeisterung für den Job. Höher, schneller, weiter - das ist heute die Devise vieler erfolgsorientierter Menschen. Doch wenn das Feuer des Idealismus im Inneren wütet und immer weniger Raum für die Persönlichkeit lässt, wird die Flamme kleiner und hinterlässt irgendwann nur noch Asche. Es bleibt die Fassade, dahinter: Leere. An diesem Punkt geht meist gar nichts mehr. Selbst für die einfachsten Handgriffe fehlt plötzlich die Kraft.
Von der Überholspur in die Verzweiflung
Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communication und geschäftsführende Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen, erzählte dem Magazin Spiegel, wie sie persönlich diesen Moment erlebte: „Ich war in Berlin und wollte Koffer packen, nach einer Phase, in der ich wochenlang wieder nur gereist war. Ich habe es einfach nicht geschafft, war blockiert, hatte Schweißausbrüche und musste weinen. Ich wusste sofort, dass ich Hilfe brauche. Ich war absolut verzweifelt. Es war das erste Mal, dass ich so etwas so stark verspürt habe.“ Der Burnout kam 2008. Miriam Meckel hatte bis dahin ein Leben auf der Überholspur geführt.
Vielen Menschen geht es in ihrem Berufsleben ähnlich: Stress ist ihr ständiger Begleiter. Das Smartphone ist selbst im Urlaub dabei, die Präsentation bestimmt das Wochenende. Die Leistungsgesellschaft diktiert: Wir sollen in möglichst kurzer Zeit immer mehr schaffen. Das fängt heute sogar schon in der Schule und im Studium an. Gymnasien pressen den Lehrstoff bis zum Abitur von ehemals 13 Jahren in nur noch 12. Das Bachelor-Studium dampft einen akademischen Grad auf bis zu sechs Semester herunter.
Doch bedeutet Stress plus Überforderung gleich Burnout? So einfach ist die Formel nicht. Zu den äußeren Stressfaktoren gesellen sich meist auch innere. Dazu zählen etwa hohe Ideale und das Streben nach Perfektion. Dieser persönlich geprägte Leistungsdruck rührt oft noch aus der Kindheit.
Miriam Meckel fasst ihre persönliche Motivation wie folgt in Worte: "Ich habe versucht, mit quantitativen Kategorien qualitative Probleme zu lösen. 'Wie viele Aufsätze muss ich schreiben, um geliebt zu werden?' Oder: 'Wie viele Flugmeilen muss ich pro Jahr absolvieren, um attraktiv zu bleiben?'"
Echte soziale Netzwerke werden dünner
Früher fanden Menschen Anerkennung nicht nur im Job, sondern auch im Verein oder in der Familie. Diese Balance von Beruf und Privatleben bildet ein Schutzschild vor Erkrankungen wie Burnout. Doch diese Stützpfeiler werden immer fragiler.
Und so avanciert Burnout zum Massenphänomen. Noch 2004 stellten Ärzte laut der Krankenkasse AOK 48 Mal die Diagnose Burnout. 2010 stieg die Zahl auf alarmierende 4831 Fälle. Frauen sind mit 61% häufiger betroffen. Beschäftigte im Gesundheitswesen, Lehrer, Ärzte, Journalisten, Selbständige und Führungskräfte sind besonders gefährdet. Jeder vierte Chef fühlt sich laut einer Studie unter Druck, sich verändern zu müssen. Innovationsstress nennen das die Forscher. In den Mitarbeiterriegen sind neben privaten Belastungen auch Konflikte mit Kollegen, Zeitdruck und Arbeitsverdichtung Schuld an der totalen Erschöpfung. Burnout zehrt auch volkswirtschaftlich. Die Kosten der Erkrankung werden auf 20 Milliarden Euro jährlich geschätzt.
Wie lässt sich das Burnout-Syndrom zuverlässig erkennen? Und vor allem: Wie kann man es von vorübergehenden Erschöpfungszuständen unterscheiden? Drei wesentliche Merkmale weisen in ihrer Kombination darauf hin, dass es sich um einen Burnout handelt: Erstens: Die Erschöpfung ist ein Dauerzustand. Zweitens: Der Betroffene zweifelt am Sinn seiner Tätigkeit. Und drittens: Er begegnet Menschen in seinem beruflichen Umfeld mit einer großen Portion Zynismus und Widerwillen. Dieser schleichende Prozess kann unterschiedlich lange dauern.
Das Gegenstück zu Burnout – das Boreout
Neben der Überforderung führt aber auch chronische Unterforderung zu einem hohen Leidensdruck. Boreout heißt das Stichwort. Die englische Vokabel to bore - sich langweilen – verweist auf die konträre Bedeutung zum Burnout. Dieses Phänomen betrifft meist qualifizierte Mitarbeiter oder kreative Gemüter. Wenn quälende Routine den Alltag bestimmt, der Tag nicht sinnvoll ausgefüllt ist, die eigene Meinung nicht gefragt ist oder überhört wird und keine Chance auf die Entfaltung der eigenen Fähigkeiten besteht, leiden die Unterforderten unter denselben Symptomen wie Burnoutkranke.
Erste körperliche Warnsignale sind etwa Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen und eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Schwindel oder das typische Überlastungssymptom Tinnitus. Das Herz-Kreislaufsystem, der Magen-Darm-Trakt und das Immunsystem können sich bemerkbar machen. Auch psychosomatische Beschwerden sind möglich. Wer betroffen ist, leidet häufig unter Angstgefühlen und dem Eindruck, ausgeliefert zu sein. Resignation macht sich breit. Betroffene sollten sich in diesem Stadium professionelle Hilfe suchen und selbst möglichst früh gegensteuern. Mindestens ein freier Tag und Abend pro Woche, regelmäßige Mahlzeiten und ausreichend Bewegung sind bereits ein guter Anfang. Andernfalls droht eine Verschärfung der Situation: Der Burnout-Kandidat zieht sich immer mehr zurück, vernachlässigt seine sozialen Kontakte und seine Hobbys. Seine Situation gipfelt schließlich in vollständiger Hoffnungslosigkeit und im schlimmsten Fall in Suizidgedanken.
Viele Unternehmen setzen auf Prävention. So erließ VW im Dezember 2011 ein E-Mail-Verbot nach Feierabend, um die Ruhezeiten seiner Mitarbeiter zu schützen. Ausgenommen von dieser Regelung ist jedoch die Top-Risikogruppe von Burnout: die außertariflich bezahlten Manager.
Vom Burnout zum neuen Lebensgefühl
Berufstätigen sollten achtsam mit ihren Ressourcen umgehen. Der Blick von außen kann zunächst dabei helfen, die eigene Situation zu reflektieren: Experten raten Betroffenen dazu, das Gespräch mit Freunden und Familienmitgliedern zu suchen. Hat sich das Verhalten verändert? Steht der Job stark im Fokus? Die Diagnose Burnout jedoch kann nur ein Arzt stellen. Schwer Erkrankte sind auf psychotherapeutische Hilfe angewiesen, entweder in Form einer ambulanten Behandlung oder eines Klinikaufenthalts.
In der stationären Therapie lernen ehemals gehetzte Führungskräfte erstmalig wieder, das Nichtstun zuzulassen. Hier werden keine Ziele auf Flipcharts gekritzelt, sondern Gefühle auf Leinwand gemalt. Betroffene lernen Entspannungstechniken und auf sich zu achten. Ein neues Verantwortungsgefühl, hinter dem Burnoutkranke ein neues Lebensgefühl erwartet.