Fräulein – gelegentlich hört man die Anrede immer noch, obwohl sie eigentlich schon lange einer vergangenen Zeit angehört. Denn das "Hallo Fräulein" der Wirtschaftswunderjahre hat eigentlich seit beinahe dreißig Jahren ausgedient. Dennoch ist der Begriff Fräulein bis heute präsent – und als Bestandteil des legendären "Fräuleinwunders" sogar stark gefragt; zigtausendfach wird das Nachkriegswort weltweit in Suchmaschinen eingegeben.
Frau und Fräulein
Wer dem "Fräulein" auf den Grund kommen will, muss die Sprachgeschichte bemühen, die allerlei bemerkenswerte Erkenntnisse bereithält. Denn wer über die "Frau" zur mittelhochdeutschen "vrouwe" und darüber zur althochdeutschen "frouwa" zurückgeht, ist der Wortherkunft ganz nah. Im Althochdeutschen war "frô" nämlich "der Herr" und die "frouwa" – logisch – "die Herrin". Schließlich befinden wir uns in den Jahren 750 bis 1050, da machten solche patriarchalen Ableitungen noch Sinn. Entsprechend kam es auch zu einer Verkleinerungsform, einem so genannten Diminutiv, der neben der "Frau" im Mittelhochdeutschen auch ein "Fräulein" zuließ, damals "vrouwelin" genannt. Damit war jedoch keine Aussage über potentielle Heiratsfähigkeit verbunden – der Begriff bedeutete tatsächlich nur "kleine Frau". Wer betonen wollte, dass das Gegenüber ledig war, sprach hingegen von einer "juncfrouwe". Spezielle Adelsdamen, die einer Fürstin als "Kammerjungfern" dienten, um später gut verheiratet zu werden, bezeichnete man als "Jungfrauen" – was wiederum keine Aussage im Hinblick auf sexuelle Erfahrungen war. Erst im Mittelalter, als die "Jungfrau" unberührt zu sein hatte, wurde der Begriff des "Fräuleins" für die unverheirateten jungen Adelsdamen üblich; entsprechende Bürgerstöchter galten als "Jungfer" oder als "Mamsell". Und das männliche Gegenstück gab es auch, war doch der "Junker" neben vielen anderen Bedeutungen ein unverheirateter Mann. Heute spricht man eher vom "Junggesellen” – allerdings nicht in der Anrede, und auch nur dann, wenn es sich um einen noch recht jugendlichen Mann handelt. Für die Benennung älterer Vertreter – quasi als männliches Pendant zur "alten Jungfer" – kennen zumindest einige noch den Begriff "Hagestolz", über den einst Goethe spitz vermerkte: "Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen, das hat noch keinem wohlgetan." Was aber ein anderes Thema ist.
Hallo Fräulein!
Die Geschichte des Begriffs "Fräulein" macht jedoch einen entscheidenden Schlenker. Im späten 19. Jahrhundert wandelte sich das Wort zur Anrede für alle Frauen, die arbeiten gingen – in dieser Zeit war weibliche Berufstätigkeit nämlich nur in der Zeit vor der Ehe erlaubt. Verkäuferinnen, Kellnerinnen und auch Lehrerinnen hatten grundsätzlich als "Fräulein" zu gelten. Zwischen 1880 und 1919 existierte in Deutschland sogar ein "Lehrerinnenzölibat", das die Ledigkeit der Fachkraft zwingend festschrieb; in der Schweiz galt eine ähnliche Verfügung von 1912 bis immerhin 1962. Kein Wunder also, wenn die Lehrerin selbst im fortgeschrittenen Alter als "Fräulein" angeredet wurde – der Definition nach war sie eins.
Doch der Fortschritt ließ sich nicht aufhalten. Spätestens ab 1951 konnten Lehrerinnen in Deutschland berufstätig sein und gleichzeitig eine Familie gründen – obwohl das BGB bis 1957 dem Ehemann die Möglichkeit einräumte, der werten Gattin die Arbeit zu untersagen. Auch die Bezeichnung "Fräulein" wurde weniger strikt angewendet. Schon während des Nationalsozialismus hatte es Ausnahmen gegeben; ab 1955 war es jedem "Fräulein" grundsätzlich möglich, sich "im amtlichen Verkehr" als "Frau" anreden zu lassen. Lediglich in der DDR nahm man es mit dem Zeitgeist nicht so genau, dort war die Anrede bis 1989 üblich. Im Westen verschwand der Begriff 1972 auf Anordnung von behördlicher Seite in der Mottenkiste der Geschichte … wenn nicht wieder einmal alles ganz anders gekommen wäre.
Das Fräulein macht Eindruck
1945. Der Krieg ist vorbei, das Land liegt am Boden. Doch recht bald fiel den in Deutschland stationierten amerikanischen GIs auf, dass nicht wenige der "doitschen Froilains" recht ansehnlich daherkamen. Und Männer waren natürlich Mangelware nach dem verlorenen Krieg. In den Ruinen wurden hie und da zarte Bande geknüpft, doch das war längst nicht alles. 1950 gewann die Berlinerin Susanne Erichsen die erste "Miss Germany"-Wahl nach Gründung der Bundesrepublik. Als die attraktive und elegante Frau als "Botschafterin der deutschen Mode” durch die USA reiste, war rasch vom "Fräuleinwunder" die Rede. Das Wort wurde salonfähig und bis in die 1960er Jahre hinein als Synonym für junge, moderne und selbstbewusste deutsche Frauen gebraucht. In der Heimat nahm man diese Zuschreibung geschmeichelt zur Kenntnis. Sie fiel auf fruchtbaren Boden, hatte sich doch 1954 das "Wunder von Bern" ereignet, und der beispiellose Aufschwung galt ohnehin als "Wirtschaftswunder". Da konnte das Ausland dann auch gern von den hübschen Landestöchtern begeistert sein. Tatsächlich hält sich der Begriff bis heute. 198.000 Einträge verzeichnet allein Google. "Fräulein" wird Jahr für Jahr immerhin 45.000mal als Suchbegriff eingegeben – und sicherlich nicht allein von Nostalgikern. Ganz offenbar wird die Vorstellung eines bestimmten weiblichen Stils damit verknüpft. Das Fräulein macht also noch immer von sich reden.
Das Fräulein im neuen Jahrtausend
Nachdem das "Fräulein" 1992 durch den Bestseller Fräulein Smillas Gespür für Schnee von Peter Høeg in aller Munde war, gab es den Begriff "Fräuleinwunder" Ende der 1990er Jahre wieder öfters zu lesen. Er diente als Sammelbegriff für eine Reihe von jungen Autorinnen, die in dieser Zeit mit ihren Büchern starke mediale Aufmerksamkeit genossen – darunter Judith Hermann, Alexa Hennig von Lange und Juli Zeh. Allerdings: Literarisch wie äußerlich ließen sich die jungen Damen kaum über einen Kamm scheren, der Begriff diente also eher Marketingzwecken.
Als Ventil in wirtschaftlich brisanter Zeit funktionierte hingegen die Zuschreibung "Fräuleinwunder" für Lena Meyer-Landrut, die 2010 den Eurovision Song Contest gewann. Da Deutschland hier traditionell schlecht abschneidet, ist die Begeisterung und damit auch die Zuschreibung verständlich – auch wenn es diesmal nur um ein Fräulein ging. Doch immerhin – als Bezeichnung ist das "Fräulein" nicht totzukriegen.
Eine Frage stellt sich natürlich. Schon Anfang der 1980er Jahre war der Titel "Fräulein" so ironisch zu verstehen, dass eine Sängerin als "Frl. Menke" auftreten und zwei bis heute bekannte Hits der Neuen Deutschen Welle landen konnte.
Wie aber redet man denn nun die freundliche Bedienung in Café oder Bistro an, wenn es "Fräulein, zahlen bitte!" nicht mehr tut – und das bekannte "Herr Ober!" ebenfalls wie von gestern wirkt? Hilfloses Winken mit der Serviette erscheint nicht angezeigt, doch da verbindliche Regeln fehlen, muss jeder Gast seinen eigenen Stil entwickeln – für gewöhnlich sollte ein freundlicher Fingerzeig und der dezente Hinweis "Entschuldigung …" genügen. Doch wer weiß, vielleicht fehlt dem einen oder anderen hier ja doch das "Fräulein", das als Anrede in früheren Jahren manchmal eben doch gute Dienste geleistet hat. Und das bis heute nicht ganz aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist. Wohl ist auch der Frau von heute noch jenes vorwurfsvolle "mein liebes Fräulein!!" gut im Ohr, wenn man sich in jungen Jahren den Eltern gegenüber im Ton vergriffen hatte oder ein Stündchen zu spät von der Party nach Hause gekommen war.
Kai U. Jürgens, wissen.de-Redaktion