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Tag des Terrors (Podcast 203)

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Es sollten fröhliche, unbeschwerte und weltoffene Spiele werden – doch sie wurden von der blutig verlaufenden Entführung elf israelischer Sportler überschattet. Bis heute ist das Stichwort „München 1972“ unvermeidbar, wenn es um den Terrorismus in Deutschland geht. Dabei geraten oft auch die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden in die Kritik. Doch was ist während der Olympischen Sommerspiele wirklich passiert, und wie lassen sich die Ereignisse heute einordnen? wissen.de hat sich auf Spurensuche begeben.

 

Spiele in einem modernen Land

Wer die „Spiele der XX. Olympiade“ in München verstehen will, muss einen Blick auf die Zeit werfen, in denen sie stattfanden. Als nach sechsjährigen Vorbereitungen, die die Stadt vor enorme Herausforderungen stellten, die olympische Fackel am 26. August 1972 das neugebaute Olympiastadion von München erreichte, war dies auch eine späte Korrektur der Ereignisse von 1936. In diesem Jahr hatten die Olympischen Spiele von Berlin stattgefunden, und es war den Nationalsozialisten erfolgreich gelungen, das Sportereignis zu einer propagandistischen Plattform zu machen. Dies war das dunkle Erbe, dem man sich entgegenstellen wollte, um die Bundesrepublik Deutschland so zu präsentieren, wie sie sich verstand: als Mitglied einer demokratischen Völkerfamilie. Die Spiele sollten daher so bunt sein wie das Erscheinungsbild von Dackel Waldi, dem Maskottchen, das in blau, grün, gelb und orange gehalten war. Dazu gehörte auch der bis heute berühmte Olympiapark mit seinen zeltartig überdachten Spielstätten, die bewusst transparent und luftig gestaltet wurden. Zu all diesen Maßnahmen hätten Absperrungen, Kontrollen und Heerscharen von Polizisten nicht gepasst; man setzte eher auf zivil gekleidete Kräfte. Und noch etwas mag verwundern: Die Besorgnis vor Terroranschlägen war eine ganz andere als heute. Gewiss, es hatte entführte Politiker und Attentate auf Flugzeuge gegeben, doch das Terrorjahr 1977 mit dem „Deutschen Herbst“ lag fünf Jahre in der Zukunft. Nur so ist zu erklären, dass zum Beispiel noch im Dezember 1975 Terroristen eine Konferenz der OPEC in Wien betreten konnten, ohne kontrolliert worden zu sein. Es waren buchstäblich „andere Zeiten“.

 

Angriff auf die „heiteren Spiele“

Die Entführung während der Olympischen Spiele in München wurde von dem Terrorkommando „Schwarzer September“ begangen, das sich nach einem Aufstand von PLO-Anhängern im Jahr 1970 benannt hatte. Acht bewaffnete Männer drangen in den Morgenstunden des 5. September 1972 ins olympische Dorf ein, überwältigten die israelischen Sportler und nahmen elf Geiseln. Zwei von ihnen starben innerhalb kurzer Zeit – einer bei einem Fluchtversuch, der andere an den Folgen einer Verwundung. Gegen halb sechs Uhr morgens waren die Sicherheitskräfte alarmiert, und die Verhandlungen begannen. Die Terroristen forderten in erster Linie die Freilassung von über zweihundert Palästinensern aus israelischer Haft, ein Unterfangen, das von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Die Haltung der Regierung von Golda Meir war bekannt – keine Zugeständnisse an Terroristen. Hätte sich eine Art „Tauschhandel“ etabliert, wäre dies eine Einladung zu weiteren Entführungen gewesen. Das Terrorkommando verschärfte die Lage durch Setzung eines Ultimatums bis zwölf Uhr. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel begann. Mehrfach boten sich Offizielle der Spiele als Austauschgeiseln an, darunter der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der auch Vizepräsident des Organisationskomitees war – doch die Entführer gingen nicht darauf ein. Zumindest gelang es, mehrfach das Ultimatum zu verlängern. Am späten Nachmittag kam es dann zur Unterbrechung der Olympischen Spiele. Der Terror ließ sich nicht beiseiteschieben.

 

Fluchtpunkt Fürstenfeldbruck

Natürlich war daran gedacht worden, das Haus, in dem sich die Terroristen verschanzt hatten, zu stürmen. Doch die Befreiungsaktion scheiterte, bevor sie begonnen hatte – das Kommando erfuhr aus dem Fernsehen von den Bemühungen. Man hatte nicht nur vergessen, die Stromzufuhr zu unterbrechen, sondern auch der Presse keine oder nicht ausreichende Auflagen zur Berichterstattung gemacht. Keine guten Aussichten für jede weitere Aktion. Unterdessen war ausgehandelt worden, dass die Terroristen mit ihren Geiseln nach Kairo ausfliegen; hierzu wurden sie mit Hubschraubern zum Fliegerhorst Fürstenfeldbruck gebracht, der in der Nähe von München liegt. Dort hatten sich bereits Scharfschützen positioniert – allerdings nur fünf, da man die Anzahl der Entführer unterschätzt hatte, und um richtig ausgebildete Kräfte handelte es sich auch nicht. Was folgte, war ein Fiasko, bei dem nicht nur alle neun Geiseln umkamen, sondern auch ein Polizist, der von einer verirrten Kugel getroffen wurde. Den Polizisten fehlte die richtige Ausrüstung – es gab zum Beispiel weder Funkgeräte, um sich miteinander abzusprechen, noch Nachtsichtgeräte, um Ziele ausmachen zu können. Als Verstärkung eintraf, wurden zum Teil die eigenen Leute beschossen, weil deren Positionen nicht bekannt waren; die angeforderten Panzerfahrzeuge kamen zu spät. Die Schießerei dauerte rund zwei Stunden. Ein Teil der Geiseln starb durch Beschuss, der andere durch eine Handgranate. Fünf der acht Attentäter wurden getötet, die restlichen überwältigt. Äußerst makaber ist schließlich, dass zunächst Falschmeldungen die Runde machten, die Aktion wäre erfolgreich gewesen und die Geiseln hätten befreit werden können.

 

München und die Zeit danach

Am 6. September, also am Tag nach dem Desaster, fand eine Trauerfeier statt, bei der Avery Brundage, der damalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, „die Kraft eines großen Ideals“ beschwor und dazu aufforderte, die Spiele weitergehen zu lassen: „The games must go on.“ Die Wettbewerbe wurden wie geplant weitergeführt; die Spiele in München endeten schließlich am 11. September 1972 – einen Tag später als ursprünglich vorgesehen. Insgesamt wurden 195 Wettbewerbe in 21 Sportarten ausgetragen; die 122 teilnehmenden Mannschaften sorgten für einen neuen Teilnehmerrekord. Auch das ist ein Fazit von München. Die drei festgenommenen Attentäter wurden niemals verurteilt, sondern im Rahmen einer anderen Entführungsaktion freigepresst. Zwei von ihnen wurden später von einer israelischen Sondereinheit getötet, der dritte lebt vermutlich in Afrika. Für die Bundesrepublik hatte München eine unmittelbare Konsequenz: Noch im September 1972 wurde die „Grenzschutzgruppe 9“ gebildet, die heute als „GSG 9 der Bundespolizei“ bekannt ist. Fünf Jahre später sorgte sie in Mogadischu maßgeblich für die Beendigung der Entführung des Flugzeugs „Landshut“. – Avery Brundage sprach auf der Abschlussveranstaltung auf Deutsch: „Liebe Münchner, Ihre herzliche und liebenswürdige Gastfreundschaft hat uns tief bewegt. Die Tage der strahlenden Freude haben wir zusammen gefeiert, und die schweren Stunden tiefster Dunkelheit haben wir mit Ihnen gemeinsam ertragen. Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Wir kehren in unsere Heimat zurück und rufen Ihnen allen zu: Auf Wiedersehen!“ München war kein Endpunkt für die Spiele. Turnusgemäß fanden sie vier Jahre später in Montreal statt.

 

von wissen.de-Autor Kai Jürgens