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Schluss mit Rauchen – Schluss mit lustig?
Rauchen ist ungesund. Wissen wir und rauchen trotzdem. Zumindest gut ein Viertel hierzulande tut es. Handelt es sich hier durch die Bank um uneinsichtige Selbstzerstörer, die mit Stolz und Schmackes ihren Zigarettenstummel austreten und sagen "Ich habe das Recht und nehme mir die Freiheit selbst zu bestimmen, was ich ein- und wieder ausatme!" Zweifellos gibt es unschlagbare Argumente dafür, das Rauchen aufzugeben. Da wird es aber auch Gründe geben, dass das Rauchen seit Jahrhunderten fester Bestandteil vieler Kulturen ist. wissen.de wirft einen Blick auf die Geschichte des Glimmstängels – und zwar ohne den konsequent erhobenen Zeigefinger. So ascht es sich im Übrigen auch nicht so leicht ab...
Drei Wochen war der Frosch so krank.
Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank!
Wilhelm Busch
Rauchen war, ist und bleibt eine Komponente des Menschseins. Betrachtet man den Rauch von Zigarette, Zigarre und Co. als eine Art Aroma der Gesellschaft, so gehört Tabak wohl in jedes gut sortierte Gewürzregal nördlich und südlich des Äquators. Rauchen ist Imagefaktor, Wirtschaftsfaktor, sozialer und medizinischer Faktor. Und das schlägt sich nicht nur auf unsere Lungen, sondern auch auf unseren Wortschatz nieder: Zigarettenpause, Raucherbereich oder Rauchverbot, Raucherhusten, -lunge oder -bein, Rauchentwöhnung, Weltnichtrauchertag und so weiter und so fort. Ein ganzes Wortfeld hat sich erschlossen und wird unermüdlich beackert.
Ein leidenschaftlicher Raucher, der immer wieder von den Gefahren des Rauchens liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.
Sir Winston Churchill
Die häufigste Frage unter Rauchern: „’Tschuldigen Sie, haben Sie mal Feuer?“ Weitaus interessanter aber wäre: „’Tschuldigen Sie, was sind denn Sie eigentlich für ein Rauchertyp?“ Da gibt es den Genussraucher, der – wenn überhaupt – dann tatsächlich mal wegen einer Bronchitis hustet. Da gibt es den Gelegenheitsraucher, der sich mit den Worten „ich rauche also bei jeder Gelegenheit“ selbst auf den Arm nimmt. Beispielsweise in Großraumbüros stark vertreten ist der Frustraucher. Am Aussterben – die semantische Doppeldeutigkeit ist hier rein zufällig – ist der Typus Kettenraucher. Prominente Beispiele sind Ex-Kanzler Helmut Schmidt und Margarete II. von Dänemark. Für das normale Fußvolk allerdings wird es schlicht zu teuer! Von halbstarken Vollrauchern verhöhnt wird der noch nicht inhalierende Nachwuchs, der noch mit leicht hervortretenden Augen den Würgreiz unterdrückt. "Ha! Du paffst ja nur!", heißt es dann, gefolgt von bewährtem Ratschlag: "Nimm einen Zug und dann sag hhhh, Papa kommt!" Und der ganze Rest? Das sind die so genannten Nichtraucher. Oder einigen wir uns besser auf Passivraucher.
Toleranz kann man von Rauchern lernen. Noch nie hat sich ein Raucher über einen Nichtraucher beschwert.
Alessandro Pertini
Im 17. und 18. Jahrhundert gehörte über das hochgeistige Haupt eines jeden Schriftstellers ein Tabakrauchwölkchen. In die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fällt das Zeitalter des Genussrauchens und die Geburtsstunde des Smoking, das perfekte Outfit für den Besuch im Rauchersalon. Und die Zigarre? In der Epoche des deutschen Vormärz verlieh sie der militanten Avantgarde der Arbeiterbewegung ihr Revoluzzer-Image und kehrte Generationen später zurück als Statussymbol des nadelstreifigen Kapitalismus. Kurz: Das Image des Rauchens ist so unbeständig wie der Rauch selbst. Mal Statussymbol, mal Imageproblem! Mal ein Zeichen von Coolness und Laissez-faire, mal eines von Nervosität oder sogar Schäbigkeit. Wer stört sich an einem Poster von Colin Farrell mit Zigarette im Mundwinkel? Vielleicht die, die Colin Farrell sowieso doof finden. Und wer stört sich an einer jungen Frau, die rauchend ihr Kind spazierenfährt? Nahezu jeder, vermutlich! Thema öffentlicher Diskussionen ist dieses weit verbreitete Laster jedenfalls schon bevor die gesundheitsschädigenden Folgen als wissenschaftlich erwiesen gelten.
Erst schuf der liebe Gott den Mann, dann schuf er die Frau. Daraufhin tat ihm der Mann leid, und er gab ihm den Tabak.
Mark Twain
Kolumbus mag sich im Kontinent geirrt haben, nicht aber in seiner Annahme, die wunderliche Sitte kubanischer Ureinwohner „Rauch zu trinken“ könnte auch auf den zivilisierten Europäer Eindruck machen. Also fand Ende des 15. Jahrhunderts die Tabakpflanze ihren Weg nach Europa, und auch ihr Rauch wurde bald – wenn zunächst auch nur durch die Nase – mit Genuss inhaliert.
Will man nun einen Blick auf die weitere Geschichte des Glimmstängels werfen, kann man auch gleich die Geschichte der damit einhergehenden Verbote und Sanktionen wiedergeben – denn beide sind im Grunde genommen gleich lang. So war es schon Kolumbus’ Gefährte Rodrigo de Jerez, der arme Tropf, den man in Spanien für zehn Jahre wegsperrte. Denn dass es aus seinem Kopf herausrauchte, konnte ja nur Teufelswerk sein! Anfang des 17. Jahrhunderts diffamiert der englische Monarch das Rauchen mit dem weitsichtigen Urteil, es sei verschwenderisch, ungesund und im Rauch selbst würde auch das Erbgut und Manneskraft verpuffen. Es hebt sich an dieser Stelle also nur noch der mahnende Zeigefinger. Da es nicht gelang, den Untertanen das Rauchen zu verbieten, wollte man zumindest daran verdienen – und zwar durch Erhöhung der Zollgebühren. In Asien hatte man mit Rauchverboten mehr Erfolg, wenigstens so lange, bis die edlen Fürsten den Tabakgenuss für sich entdeckten. Rabiat in ihren Sanktionen waren in dieser Zeit zum Beispiel der damalige persische Schah Abbas, der Rauchern Nase und Lippen stutzte, oder der russische Zar Michael, der mit selbem drohte, dann aber doch Kastrationen präferierte. Der blutrünstigste Vertreter aber war der türkische Sultan Murad, der neben Tabak auch gleich noch Opium, Wein und Kaffee verbot. Getreu dem Motto: Nicht erlaubt ist, was Spaß macht! Wer es trotzdem tat, atmete bald gar nichts mehr ein.
In weiten Teilen Europas war das Schmöken während des Dreißigjährigen Krieges in Mode gekommen. Als wieder Frieden einkehrte, gab es auch schon wieder die ersten Rauchverbote. Fast hätte es sogar ein elftes Gebot gegeben: Du sollst nicht rauchen. Aber eben nur fast. Die Kirche schwankte immer wieder zwischen „erlaubt“ und „verboten“ hin und her. Man bedenke die dämpfende Wirkung auf die Fleischeslust, die man dem Rauchen nachsagt!
In USA marschierten zum ausgehenden 19. Jahrhundert die Damen in vorderster Front gegen das Rauchen. Aus der Chicago Anti-Cigarette League wuchs bald die National Anti-Cigarette League.Bis in die 1920’er Jahre herrschte in vierzehn US-Staaten Rauchverbot. Die Soldaten wollten es sich aber nicht einfach so verbieten lassen – und das war mit ausschlaggebend dafür, dass ab den 30’ern schon wieder überall gequalmt wurde. Ähnlicher Widerstand plagte auch Hitler, der von der Reinheit des arischen Körpers besessen war. Ein Ex-Raucher übrigens – und das sind ja oft plötzlich die schärfsten Rauchgegner! Letztlich konnte er es aber nicht einmal seiner Eva verbieten. Und schließlich war da ja auch noch die Tabaksteuer und der drohende Unmut der Soldaten, die sich wahrlich genug in Verzicht übten! Endlösung der Tabakfrage? Da konnte ihm auch sein kettenrauchender Propagandaminister nicht weiterhelfen.
Die Menschen werden immer rauchen.
Helmut Schmidt
Tatsächlich: Tabak hat einen langen Atem! Die erste Zigarette, so wie wir sie heute kennen und rauchen, kam Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Markt. Seither verläuft die Konsumlinie steil nach oben. Aber nachdem in der Mitte des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich und hoch offiziell nachgewiesen wurde, was ohnehin schon alle wussten (also dass Rauchen ungesund ist), hat sich unser Rauchverhalten geändert: Wir rauchen seitdem nämlich mit schlechtem Gewissen.
Laut WHO sterben jährlich fünf Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. Und in diesem Jahrhundert wird es nach Schätzung von Experten insgesamt eine Milliarde sein. Statistisch gesehen verkürzt man mit jeder Zigarette sein Leben um 22 Minuten. Wäre das nicht toll, wenn man sich diese 22 Minuten jeweils aussuchen könnte – wie „die lange Strafpredigt der Eltern“ oder „das Kleingeldgesuche am Zigarettenautomaten“? Geht aber leider nicht! Und noch eine Zahl: Wer 20 Jahre lang jeden Tag zwei Schachteln raucht, verkürzt sein Leben um acht Jahre. Hand auf’s Herz: Haben Sie irgendjemand bestimmten gerade gedanklich eine Zigarette angeboten? Aber mal im Ernst. Wir sind uns der grausamen Konsequenzen des Tabakkonsums bewusst. Warum lassen wir es dann nicht?
Die Raucher vernebeln nicht nur die Luft, sondern meist auch ihren Geist, und so kann man leichter mit ihnen fertig werden.
Konrad Adenauer
Und:
Zu glauben, dass wir etwas tun, während wir nichts tun, ist die Hauptillusion des Tabaks.
Ralph Waldo Emerson
Rauchen war in uramerikanischen Kulturen etwas Rituelles und ist es auch hier und heute noch: Sonntagmorgen, zwei Brötchen und Kaffee, dann eine rauchen und Mutti anrufen. Oder: „Schatz, wie war ich? Und...hast du mal Feuer?“ Mit Rauchen assoziiert man Geselligkeit und Entspannung. Manche empfinden Rauchen als anregend (fragen Sie mal jemanden, der hin und wieder mit Verstopfung geplagt ist), als eine Art Belohnung, zum Beispiel nach sechs Stunden Matheklausur, oder als willkommenes Fluchtmittel, zum Beispiel als kostbare fünf bis sieben Minuten Auszeit von Aktenbergen und zermürbenden Telefonaten am Arbeitsplatz. Zweifellos hat das Rauchen eine soziale Funktion. Gerade Jugendliche empfinden das so. Man gehört dazu, man ist dabei. Und wenn man nichts zu sagen weiß, nimmt man eben noch einen tiefen Zug. Und nicht vergessen: Rauchen zügelt den Appetit. Und hat doch gerade auf nüchternen Magen so fatale Folgen! Die meisten Raucher mildern es ab als „dumme Gewohnheit“, am Ende aber steht doch die „Sucht“ nach Nikotin. Tabakabhängigkeit rangiert heute unter dem Begriff Krankheit und ist unter dem Diagnoseschlüssel ICD-10 gelistet.
Galt das Rauchen ab dem frühen 19. Jahrhundert noch als Zeichen der gesellschaftlichen Überlegenheit, steht es heute in einem ganz anderen sozialen Kontext. Hier kann man beliebige Umfrageergebnisse herauspicken: Der Raucheranteil bei Menschen mit geringem Einkommen ist circa dreimal so hoch wie der bei Ärzten, Gymnasial- oder Hochschullehrern. Oder rauchen diese aufgrund ihrer Vorbildfunktion bloß heimlich? Gehen wir mal nicht davon aus und betrachten folgenden Teufelskreis: Wenig Geld bedeutet Frust. Gegen emotionale Krisen wird gegenangeraucht. Das kostet noch mehr Geld, und so weiter... Es bleibt nicht mal Geld für einen Pauschalurlaub. Wirklich nicht? Täglich eine Schachtel rauchen hieße 365 mal 4,90 Euro. Das entspräche mit 1.788,50 Euro etwa zwei Wochen Karibik all inclusive. Aber wie sähe das denn aus? Das Sozialamt zahlt keinen Karibikurlaub – finanziert dafür aber den nikotinhaltigen Trost in der sozialen Krise. Und so gehen täglich Lebensträume einfach in Rauch auf.
Mit dem Rauchen aufzuhören ist kinderleicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft.
Mark Twain
Was hätten wir denn, wenn jetzt alle aufhörten zu rauchen? Lauter glückliche, gesunde Bürger und ein riesiges wirtschaftliches Problem. Die Tabaksteuer als politisches Instrument im Auftrag der Gesundheit – das klingt gut, ist aber eben nur die halbe Wahrheit. Zudem bleibt abzuwägen, was schwerer wiegt: die verminderten Sozialleistungen durch das tendenziell früher eintretende Lebensende von Rauchern oder der geringere medizinische Kostenaufwand, wenn jetzt alle aufhören zu rauchen? Jedenfalls kommen schlanke Nichtraucher rein rechnerisch den Staat teurer als übergewichtige Raucher. Dennoch gibt es zahlreiche politische Maßnahmen im Kampf gegen Nikotin: Anti-Rauch-Kampagnen, Ratgeber, Broschüren, Aufklärung in den Schulen, Angebote zur Rauchentwöhnung, steigende Preise, gesetzliche Richtlinien für Verkauf, Werbung und Rauchen in öffentlichen Gebäuden. Aber wo Verbote sind, ist auch Widerstand. Denn viele Raucher fühlen sich in ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, zum Beispiel durch das Rauchverbot in Restaurants und Kneipen. Hier fällt übrigens auch der wirtschaftliche Schaden für die Gastwirte ins Gewicht. Und nebenbei bemerkt: Ist Ihnen schon mal aufgefallen, was man neuerdings für menschliche Gerüche wahrnimmt, seit der Tabakqualm nicht mehr alles überdeckt? Letztlich steht zwar jedem von uns die Selbstbestimmung des eigenen Lebensstils ohne staatliche Beeinflussung zu – aber bitte nur so lange kein anderer dadurch beeinträchtigt wird: Nichtraucherschutz darf also auch für leidenschaftliche Raucher kein Tabuthema sein. Egal aus welcher Perspektive: Der Abgesang auf das Rauchen als Lebenskultur hat noch viele, viele Strophen.
Rauchen ist ein Ritual, um böse Geister, wie zum Beispiel Nichtraucher, zu vertreiben.
Wolfram Weidner
Apropos Lebenskultur: Der Marlboro-Mann, der einst für das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit ritt und rauchte, rief kurz vor seinem Lungenkrebstod eine Antitabakkampagne ins Leben. Die Zigarettenindustrie, die mittlerweile in ihren Werbemöglichkeiten stark eingeschränkt ist, behauptet beharrlich, ihre Reklame diene allein dem Zweck, Raucher zu einem Umstieg auf eine andere Marke zu bewegen. Fakt aber ist, dass der Markt nur stabil bleiben kann, wenn neue Raucher dazu kommen!
Alles andere als auf Nikotinentzug ist auch Hollywood. Hier nehmen sich bei Weitem nicht nur Antihelden genau die Freiheit, die im realen Leben mehr und mehr beschnitten wird. Und dadurch wird die Kippe zum dramaturgischen Instrument. Die verzweifelte Hauptfigur, der nervöse Antiheld, knisternde Erotik. Jedes Glimmen, jede ausgestoßene Rauchwolke hat symbolischen Charakter und einen ästhetischen Effekt. Derzeit fesselt die US-Serie „Mad Men“ Millionen Zuschauer an den Bildschirm. Sie zeigt uns die amerikanische Gesellschaft in den Jahren Kennedys am Beispiel der Werbebranche. Schneidet man die Szenen, in denen geraucht wird, aus der Serie – es würden lediglich die Werbepause und der Abspann übrig bleiben.
Lucky Luke hingegen kaut heute an einem Strohhalm und nicht mehr an einer Selbstgedrehten. Der Anarchist!
Abschließend sei noch einmal wiederholt: Rauchen schadet der Gesundheit! Aufzuhören ist schwer – aber nicht unmöglich. Übrigens: Elektronische Zigaretten sollen angeblich auch schädlich sein. Nun gut. Was bleibt zu sagen? Humor ist, wenn man trotzdem raucht.