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Schönheitsideale im Wandel der Zeit

Vorteil Schönheit
Dass der Wunsch nach Schönheit indes mehr als nur ein jugendlicher Spleen ist, belegen zahlreiche Studien: Wer schön ist, hat im Leben viele Vorteile. "Das beginnt bereits ganz früh", berichtet der Psychologe und Attraktivitätsforscher Dr. Martin Gründl von der Universität Regensburg. "Schon attraktive Babys bekommen mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung. Im Kindergarten haben hübsche Kinder häufig mehr Freunde, und in der Schule bekommen sie die besseren Noten." Im Erwachsenenleben werden die Vorteile immer handfester. "Attraktive Menschen erhalten häufiger eine Einladung zu Bewerbungsgesprächen. Und vor Gericht beispielsweise werden schöne Menschen seltener verurteilt – und wenn doch, dann fallen die Strafen geringer aus."
Aus der Sicht der Biologie besteht der größte Vorteil der Schönheit darin, dass attraktive Menschen auf der Suche nach einem Partner eine viel größere Auswahl haben. Dies ist vermutlich auch der Grund, warum wir der Schönheit so einen hohen Stellenwert einräumen – der Vorzug der Schönheit ist wahrscheinlich tief in unseren Genen verankert. Was wir aber schön finden, ist vermutlich nur zu einem kleinen Teil genetisch festgelegt. Unser Schönheitsideal hat sich im Lauf der Geschichte erheblich verändert.
Antike Schönheiten

Mittelalter: Elegante Blässe

Beginn der Neuzeit: Dicker wird schicker
Mit dem Ausklingen des Mittelalters kamen Rundungen wieder in Mode. Galt noch im Mittelalter die Blässe als wichtigstes Zeichen für Wohlstand, waren die Wohlhabenden der Neuzeit vor allem an ihren wohlgenährten Körpern zu erkennen. Ob dicker Bauch oder Doppelkinn, spätestens mit dem Barock schossen die Fülligen auf der Schönheitsskala nach oben – davon zeugen zum Beispiel die nach heutigen Maßstäben extrem dicken Frauen auf den Gemälden des Barockmalers Peter Paul Rubens. Noch heute gilt „Rubensmodell“ als elegante Umschreibung für "ziemlich dicke Frau". "Ganz so dick wie die Rubensfrauen musste man aber wohl nicht aussehen, um für schön gehalten zu werden“, vermutet Gründl. Das zeigten die Gemälde anderer Barockkünstler sehr deutlich: "Die dicken Frauen, die Rubens gemalt hat, entsprachen wahrscheinlich auch seinem persönlichen Geschmack.“

Korsettgestütztes Ideal: Sanduhrfigur
Die Erfindung des Korsetts bereitete der entspannten Körperfülle der „idealen“ Frau ein jähes Ende. Ab dem 17. Jahrhundert galten schmale Taillen als schick, bis etwa 1900 wurde es immer dünner um die Körpermitte. Schönheitsbewusste Frauen zahlten einen hohen Preis für ihre schlanken Silhouetten, denn die Korsetts führten auf Dauer zu ungesunden Organverlagerungen. Erst die Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereitete der quälerischen Korsettmode allmählich ein Ende.
Schlank und braungebrannt ins 21. Jahrhundert

Jung und gesund: Zeitlose Schönheit
So sehr sich das Schönheitsideal im Lauf der Jahrhunderte auch gewandelt hat, ist doch manches in allen Epochen gleich geblieben. „Merkmale, die auf Gesundheit und Jugend hindeuten, galten in allen Zeiten und in allen Kulturen als schön“, berichtet Gründl. Allem voran ist damit eine glatte, makel- und faltenlose Haut gemeint – sie strahlt Jugend und Gesundheit zugleich aus. Auch volle Lippen signalisieren Jugendlichkeit – mit zunehmendem Alter baut das Fettgewebe in den Lippen ab.
Daneben zählen so genannte „geschlechtstypische Merkmale“ zu den universalen Zutaten der Schönheit: Während bei Männern durch alle Epochen hindurch eine kraftvolle Gesamterscheinung als schön galt, sind es bei Frauen einige typisch feminine Züge, die sich in den Schönheitsidealen aller Zeiten wiederfinden, zum Beispiel eine schmale, zierliche Nase und schmale Augenbrauen. Umgekehrt gesagt: Mit Brauen wie die Muppets-Figur Gonzo und einer großen Knollnase hätte Frau zu keiner Zeit den ersten Platz im Schönheitskontest einheimsen können.
Schönheit als Statussymbol

Ein jugendliches Äußeres und zunehmend auch Status versprechen Schönheits-OPs. Gründl glaubt, dass der Trend zur medizinisch unterstützten Verjüngungskur bei uns gerade erst begonnen hat, einige Jahre nach dem Schönheitsboom in Amerika. „In den USA ist es bereits ein beliebtes Smalltalk-Thema auf Partys, was die neue Nase gekostet hat. Bei uns kommt dieser Trend erst allmählich an.“ Der Regensburger Attraktivitätforscher geht davon aus, dass vor allem ästhetisch-chirurgische Maßnahmen, die den Körper jünger wirken lassen, bei uns in Zukunft hoffähiger werden – insbesondere die weniger invasiven Methoden wie etwa das Aufspritzen von Gesichtsfalten.
Liegt die Schönheit im Auge des Betrachters?
Gesellschaft, Mode und unsere Gene haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie sich unser Schönheitsideal entwickelt. Trotzdem bleibt noch jede Menge Raum für einen individuellen Geschmack. Nicht jeder Mann steht auf die mageren Körper der Supermodels, nicht jede Frau möchte einem ewig strahlenden Zac Efron in die Arme sinken. Gründl weiß, warum das so ist: „Heute haben wir es nicht mit einem einzigen, sondern mit vielen verschiedenen Schönheitsidealen zu tun, genauso wie es in unserer Gesellschaft viele verschiedene Lebensstile gibt, die parallel existieren.“ Über 50-Jährige beispielsweise, so habe eine Studie herausgefunden, fänden eine behaarte männliche Brust durchaus attraktiv. „Jüngere hingegen finden Brusthaare – salopp gesagt – eher eklig.“