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Studieren auch ohne Abitur?

Allgemein gilt das Abitur als Voraussetzung für ein Studium. Fehlt dieser Abschluss, scheint eine akademische Ausbildung unmöglich. Doch das muss nicht sein: Es gibt auch Möglichkeiten, ohne Abitur zu studieren. Aber wie funktioniert das? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden? Welche Probleme können sich ergeben und wie lassen sich diese lösen?
KMI, 19.05.2022
Symbolbild Studium

skynesher, GettyImages

Studieren ohne Abitur, das geht also? Aber ja! Im Jahr 2020 gab es laut dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Deutschland knapp 66.000 Menschen, die trotz fehlenden Abiturs studierten. Allzu bekannt scheint die Möglichkeit bei uns allerdings noch nicht zu sein, denn diese Zahl entspricht gerade einmal 2,24 Prozent der Studierenden bundesweit.

Was viele nicht wissen: In Deutschland kann grundsätzlich an jeder staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule auch ohne Abitur studiert werden. Für Komplikationen sorgen hier einzig die Bundesländer, die den Zugang zum Studium individuell regeln. So sind die genauen Zugangsvoraussetzungen in jedem Bundesland unterschiedlich.  

Welche Voraussetzungen brauche ich?

Insgesamt ist die sogenannte Hochschulzugangsberechtigung (HZB) die grundlegende Voraussetzung für ein Studium, wobei man zwischen einer allgemeinen und einer fachgebundenen HZB unterscheidet. Die fachgebundene HZB ist dabei beschränkt auf Fachhochschulen und ausgewählte Studiengänge an Universitäten. Diese Studiengänge müssen dann fachnah sein, das heißt zur bisherigen Ausbildung passen.

Der häufigste und bekannteste Weg, sich eine Berechtigung zum Studium zu verschaffen, ist das Abitur oder Fachabitur. Aber er ist keineswegs der einzige: Möchte man nun ohne Abitur studieren, kann man die allgemeine HZB auch mit einer Fachschulausbildung oder Aufstiegsfortbildung erwerben. Diese Fortbildungen folgen auf eine bereits abgeschlossene Berufsausbildung sowie einige Jahre Berufserfahrung. So kann man sich beispielsweise nach einer Lehre im Handwerk und der Arbeit als Handwerker dadurch zum Meister, staatlich geprüften Fachwirt oder staatlich geprüften Betriebswirt qualifizieren.

Um mit einer fachgebundenen HZB zu studieren, braucht man eine mindestens zweijährige, abgeschlossene Berufsausbildung und drei Jahre Berufserfahrung. Je nach Bundesland sind hier zudem ein Beratungsgespräch an der Hochschule, eine Eignungsprüfung oder ein Probestudium nötig. Mit der fachgebunden HZB ist es außerdem unter bestimmten Bedingungen möglich, auch fachfremde Fächer zu wählen. Die dafür nötigen Eignungsprüfungen, werden aber je nach Bundesland und Hochschule unterschiedlich umgesetzt.

"Noch schneller" geht der Studienabschluss in manchen Bundesländern, wie Berlin oder Thüringen, wo man sogar ohne Bachelor und stattdessen mit abgeschlossener Berufsausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung, nach Eignungsprüfung, einen Master absolvieren kann. Hier geht es dann direkt "vom Meister zum Master" - der Bachelorabschluss wird übersprungen. Ein weiterer Weg zur HZB führt über die sogenannte Begabtenprüfung. Hier können besonders befähigte Personen über 25 Jahre, mit abgeschlossener Berufsausbildung und fünf Jahren Berufserfahrung das Abitur für die allgemeine HZB nachholen.

Symbolbild Studium mit Kind
Mittlerweile gibt es an den meisten Hochschulen eigens dafür eingerichtete Beratungsstellen für Studierende mit Kind(ern). Einen Hochschulabschluss zu erwerben und gleichzeitig ein Kind aufziehen, ist trotzdem eine echte Herausforderung.

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Vorherige Berufserfahrung bringt Vorteile

Wenn man als Seiteneinsteiger erst nach einer Berufsausbildung ins Studium einsteigt, ist dies keineswegs verlorene Zeit. Denn die im Beruf gemachten Erfahrungen können zum einen beim Bewältigen des Lernstoffs helfen – einiges hat man bereits praktisch umgesetzt, jetzt folgt die Theorie. Zum anderen können die außerhalb der Hochschule erworbenen Kompetenzen auch formell im Studium angerechnet werden. Dadurch kann man einzelne Studienleistungen wie Klausuren oder ganze Module, wie eine Vorlesung mit Abschlussprüfung, weglassen. Auch Praktika während des Studiums können durch die eigene Berufserfahrung ersetzt werden – man spart dadurch während des Studiums Zeit.

Außerdem wird in manchen Bundesländern, wie Bayern, Hessen, Berlin oder Thüringen ein Kontigent für Studierende ohne Abitur freigehalten. Dadurch ist es für die Bewerber ohne Abitur einfacher, in den Studiengang aufgenommen zu werden, da sie nicht mit Abiturienten, sondern nur unter sich konkurrieren.

Voraussetzungen erfüllt und jetzt?

Ist die erste Hürde bewältigt und dem Beginn des Studiums steht nichts mehr im Wege, kommen auf viele Studierende ohne Abitur allerdings auch einige Schwierigkeiten zu. Denn anders als Schulabgänger haben sie oft schon Familie, leben nicht mehr Zuhause und haben höhere finanzielle Verpflichtungen. Dadurch sind die Anforderungen höher: Wie kann beispielsweise neben Studium weiterhin gearbeitet und die Familie versorgt werden? Wie soll man das Studium finanzieren, wenn dafür auf die Arbeitsstelle verzichtet wird?

Hier kann dann schon die Wahl der passenden Studienform helfen. Neben einem Vollzeitstudium, das kaum für ein Arbeiten, die Haushaltsführung oder Kinderbetreuung nebenher geeignet ist, gibt es nämlich auch die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums. Hier sind Anforderungen und Ablauf die gleichen wie beim Vollzeitstudium, aber die Regelstudienzeit ist verlängert. So steht einem bis zu doppelt so viel Zeit zur Verfügung und die Veranstaltungen finden teils blockweise oder abends statt, was sich wesentlich besser mit dem Leben eines Berufstätigen vereinbaren lässt. Auch ein Fernstudium, in dem man selbstständig von Zuhause aus arbeitet, kann einen Arbeitsalltag mit Familie erleichtern.

Mögliche Probleme mit der Kinderbetreuung können zudem durch viele Angebote der Unis gelöst werden. Fragen dazu beantworten unieigene Beratungsstellen oder Studentenwerke und sorgen für Unterstützung. So können beispielsweise Kinder in der Uni betreut werden und kostenlos in der Mensa mitessen oder manchmal können Abgabefristen verlängert und Ersatzleistungen für Klausuren erbracht werden.

Genauso gibt es Unterstützung bei finanziellen Engpässen für beruflich-qualifiziert Studierende. So werden beispielsweise bei einer Studienfinanzierung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaFög), die normalerweise geltenden Altersgrenzen aufgehoben, wenn man ohne Abitur beginnt zu studieren.  Zudem ist die Höhe der Förderung unabhängig vom Einkommen der Eltern, wenn der Bewerber nach Abschluss der Ausbildung seit drei Jahren finanziell unabhängig von den Eltern lebt.

Lohnt es sich?

Dass sich ein Studium auch ohne Abitur auszahlt, zeigen aktuelle Studien. Trotz fehlendem Grundwissen in manchen Bereichen oder unvertrauter wissenschaftlicher Arbeitsweise, schneiden Studierende ohne Abitur keinesfalls schlechter ab. Ihre Noten sind im Schnitt ähnlich gut und auch die Abbruchquote ist nur geringfügig höher. Letztere kann zudem mit den, für ein Studium ungünstigen, Lebensumständen erklärt werden. Außerdem sind Studierende ohne Abitur häufig motivierter und absolvieren das Studium sogar schneller als "traditionelle" Studierende.

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