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Suezkanal: Abkürzung durch Afrika
Der Suezkanal ist wohl eine der bekanntesten Wasserstraßen der Welt. Als Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer stellt er einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt für die Seeschifffahrt zwischen Nordatlantik und Indischem Ozean dar: Die Abkürzung durch Afrika erspart Schiffen die Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung herum. Auf diese Weise verkürzt sich der Seeweg von Europa nach Indien um etwa 7.000 Kilometer – im eng getakteten Welthandel ein großer Vorteil.
Zwischen Suez und Port Said
Schon die alten Ägypter erkannten, welchen Nutzen eine solche Abkürzung bringen würde. Sie legten mit dem Bubastis-Kanal den Vorläufer des Suezkanals an, auch wenn dieser einen anderen Verlauf hatte. Die Wasserstraße versandete allerdings und musste immer wieder erneuert werden. Im 8. Jahrhundert wurde sie dann schließlich völlig unbrauchbar. Die Erinnerung an den Kanal blieb jedoch erhalten: Um 1500 kam bei den Venezianern die Idee auf, die Wasserstraße wiederherzustellen. Später interessierte sich Napoleon Bonaparte für das Projekt.
Realisiert wurde der Plan allerdings erst Mitte des 19. Jahrhunderts – diesmal waren die Franzosen die treibende Kraft. Sie überzeugten die ägyptische Regierung von der Wirtschaftlichkeit eines Kanals zwischen Suez und Port Said. Zur Finanzierung des Bauprojekts wurde eine Aktiengesellschaft gegründet, die für 99 Jahre die Rechte am Kanal erhielt. Der ägyptische Vizekönig übernahm rund 44 Prozent der Aktien, der Rest wurde größtenteils von Aktionären aus Frankreich erworben. Aus anderen europäischen Ländern gab es nur eine geringe Beteiligung.
Feierliche Eröffnung
Nachdem der französische Ingenieur Ferdinand de Lesseps mit der Konzeption und dem Bau des Kanals beauftragt worden war, begannen die Vorbereitungen. Dabei wurden viele Maschinen und Materialien aus Europa herangekarrt. Im Jahr 1858 konnte der Bau der Wasserstraße in die Sandwüste beginnen, elf Jahre später folgte die feierliche Einweihung des Megaprojekts.
Am 17. November 1869 eröffnete die französische Kaiserin Eugénie im Beisein geladener Gäste aus aller Welt den Suezkanal. Die Vollendung der damals 164 Kilometer langen Wasserstraße galt als technische Meisterleistung und wurde entsprechend pompös gefeiert. Dass über eine Million Menschen unter teils brutalen Bedingungen für die Realisierung des Kanals hatten schuften müssen und tausende Arbeiter während der Bauarbeiten ums Leben gekommen waren, wurde bei dem Festakt wahrscheinlich nicht erwähnt.
Auf Pleite folgt Besetzung
In den ersten Jahren seiner Fertigstellung erwies sich der Suezkanal als Pleite: Sein Betrieb war unrentabel und die ägyptische Regierung bankrott. Daraufhin kauften die Engländer im Jahr 1875 die Aktien der Suezkanal-Gesellschaft auf. Dass sie damit den Einfluss auf den Kanal erhielten, gefiel Teilen des ägyptischen Volkes allerdings nicht. Es kam zu Widerstand in der Bevölkerung und schließlich zum Einmarsch britischer Truppen. Ägypten wurde besetzt.
Auch als das Land 1922 formell wieder die Unabhängigkeit erlangte, blieb die Aktiengesellschaft und somit der Suezkanal in ausländischer Hand. Das Geschäft mit der Wasserstraße entwickelte sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem äußerst lukrativen Geschäft.
Folgenschwerer Eklat
Als der Ablauf der 99-Jahre-Konzession näher rückte, begannen die Diskussionen darüber, wer die Nutzungsrechte an der Wasserstraße danach erhalten sollte. Vor allem Großbritannien wollte seinen Einfluss nicht verlieren und drängte auf eine ausländische Lösung. Doch politische Umwälzungen und die Absetzung der königlich-ägyptischen Regierung führten dazu, dass sich das Verhältnis zwischen Ägypten und Großbritannien abrupt verschlechterte.
Die neue ägyptische Regierung wollte eine nationale Lösung für den Suezkanal. Sah es erst noch so aus, als könne eine friedliche Einigung möglich sein, kam es 1956 zum Eklat: Zwölf Jahre vor Ablauf der Konzession ließ Präsident Nasser den Suezkanal verstaatlichen – und löste damit die sogenannte Suezkrise aus, bei der Großbritannien, Frankreich und Israel versuchten, Nasser zu stürzen. Auf Drängen der USA und mithilfe der Vereinten Nationen konnte dies allerdings verhindert und der Konflikt beigelegt werden.
Umstrittenes Prestigeprojekt
Heute ist es friedlicher um den Kanal geworden. Doch das Nadelöhr durch die Wüste ist auch 150 Jahre nach seiner Eröffnung nicht aus dem Welthandel wegzudenken und wird immer wieder erweitert. Erst 2015 wurde die inzwischen 193 Kilometer lange Wasserstraße durch eine 37 Kilometer lange zweite Fahrrinne ergänzt, die die bisherige Strecke begradigt und etwas verkürzt. Außerdem ist der Kanal dadurch nun auf 115 seiner 193 Kilometer in beide Richtungen befahrbar.
Für Ägypten ist die Wasserstraße durch die Wüste nach wie vor ein Prestigeprojekt, das gute Umsätze bringt. Allerdings steht Präsident Al-Sisi für seine jüngst durchgeführten Erweiterungen in der Kritik. Ihm wird die Verschwendung von Staatsgeld vorgeworfen, das an anderer Stelle dringend benötigt wird: Ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze.