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Warum fehlen aktuell so viele Medikamente?

Wer im Moment Fiebersaft, Antibiotika oder Brustkrebsmedikamente braucht, wird häufig enttäuscht. Denn diese und viele weitere Arzneimittel sind in Deutschland aktuell Mangelware. Vor allem solche in der passenden Dosierung für Kinder und Jugendliche. Doch wie entstehen Medikamenten-Engpässe überhaupt? Wie dramatisch sind ihre Folgen? Und wie lässt sich fehlenden Medikamenten in Zukunft vorbeugen?
AMA, 05.05.2023
Medikamentenlager einer Apotheke

© shapecharge, GettyImages

„Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!“, heißt es in einem offenen Brief von Kinderärzten verschiedener europäischer Länder. Adressiert ist er an die jeweiligen Gesundheitsminister, und zwar mit der Forderung, etwas gegen die aktuelle Arzneimittelkrise zu unternehmen. Doch der Medikamentenmangel ist mehr als nur ein vorübergehendes Problem. Immer wieder kommt es hierzulande und international zu Lieferengpässen.

Warum kommt es in Deutschland zu Medikamenten-Engpässen?

Ein Hauptgrund für den Mangel an bestimmten Medikamenten liegt in der Struktur der entsprechenden Lieferketten. Bis die Arzneien in den Regalreihen der Apotheken landen, sind sie häufig bereits um die halbe Welt gereist. Die Wirkstoffe, die später in Tabletten und Säften stecken, stammen zum Beispiel vorrangig aus China und Indien. Laut dem Pharmaverband VFA liegen in Asien ganze 68 Prozent der Produktionsorte von Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind. Doch vom Wirkstoff bis zum fertigen Produkt ist es immer noch ein langer Weg. So kommen etwa die Plastik-Blister, in denen die Tabletten verpackt werden, häufig aus Osteuropa. Die Beipackzettel in deutscher Sprache werden oft erst hierzulande ergänzt.

Eine solche globale Lieferkette ist störanfällig. Kommt es bei einem der Herstellungsschritte zu Problemen, kann das alle weiteren Schritte beeinträchtigen und schlussendlich zu einem Medikamentenmangel in Europa führen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Wirkstoffproduktion aufgrund mangelnder Rohstoffe oder einer ausgefallenen Maschine stockt. Oder wenn ganze Chargen verunreinigt sind und neu hergestellt werden müssen. Hinzu kommt, dass viele Hersteller sich laut Apothekerverband ABDA von nur einem einzigen oder sehr wenigen Wirkstofflieferanten abhängig gemacht haben, was die Lieferkette umso fragiler macht. Engpässe können auch entstehen, wenn der Bedarf an bestimmten Medikamenten plötzlich steigt, etwa während der Erkältungs- oder Grippezeit. Es dauert dann eine Weile, bis die Hersteller ihre Produktion ausreichend hochgefahren haben.

Auch die Inflation spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der aktuellen Medikamenten-Knappheit. In Deutschland werden seit Jahren patentfreie Medikamente wie Paracetamol oder Insuline mit demselben Festbetrag abgerechnet. Das bedeutet, dass die Hersteller von den Krankenkassen immer noch denselben Betrag pro verkauftem Medikament erhalten wie in den Jahren zuvor, obwohl die Herstellungskosten mittlerweile enorm gestiegen sind. Der Gewinn für die Hersteller schrumpft also und das hat Folgen: Ist die Produktion eines Medikaments unrentabel, wird sie heruntergefahren oder sogar komplett eingestellt.

Welche Medikamente sind besonders betroffen?

In der Regel sind Lieferengpässe am stärksten bei patentfreien Medikamenten, den sogenannten Generika, spürbar, was etwa Schmerzmittel, Antibiotika, Insuline und Krebstherapiemittel einschließt. Aktuell mangelt es unter anderem an Brustkrebsmedikamenten, Hustenmitteln, Antidepressiva und Antibiotika. Laut dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte gibt es im Moment zum Beispiel kein Penicillin. Auch fehle es an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform wie Fiebersäften oder Fieberzäpfchen.

Wie gefährlich ist ein Medikamentenmangel?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weist daraufhin, dass ein Lieferengpass nicht automatisch ein Versorgungsengpass ist. Ein Lieferengpass liegt dann vor, wenn einzelne Arzneimittel vorübergehend nicht zur Verfügung stehen. In den meisten Fällen kann das Medikament dann durch ein wirkstoffgleiches Präparat eines anderen Herstellers ersetzt werden. „Gibt es allerdings keine gleichwertigen Alternativen und kann der Patient nicht angemessen versorgt werden, wird aus dem Lieferengpass ein Versorgungsengpass“, erklärt der Apothekerverband ABDA.

Genau diese kritische Grenze ist aktuell bei antibiotikahaltigen Säften für Kinder erreicht. Das Gesundheitsministerium hat deshalb am 25. April einen Versorgungsmangel für diese Sparte bekanntgegeben. Einige Bundesländer haben daraufhin den Import nicht zugelassener antibiotikahaltiger Säfte für Kinder erlaubt. Wie gefährlich ein Medikamentenmangel für Betroffene ist, hängt also auch damit zusammen, ob Ersatzpräparate zur Verfügung stehen beziehungsweise ob es in den Apotheken noch Restbestände der ursprünglichen Medikamente gibt.

Wie lassen sich Medikamenten-Engpässe verhindern?

Lieferengpässe sind ein seit vielen Jahren bestehendes und wiederkehrendes Problem – nicht nur in Europa, sondern international. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die Situation nun zumindest in Deutschland mithilfe eines neuen Gesetzes etwas entspannen. Das Gesetz sieht unter anderem vor, Lieferungen nach Deutschland für die Hersteller wieder rentabler zu machen, indem diese für Generika wie Paracetamol oder Ibuprofen bald deutlich besser bezahlt werden sollen. Außerdem sollen die Lieferketten verbreitert und europäische Hersteller stärker miteinbezogen werden. Diese Regelung gilt zunächst allerdings nur für Antibiotika und Krebsmedikamente.

Darüber hinaus ist bei wichtigen Medikamenten eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Im Falle eines Lieferengpasses gäbe es so noch genügend Restbestände, um den Engpass zu überbrücken. Insgesamt würden die Reformen Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich verursachen. Kritik gibt es unter anderem von Seiten der Krankenkassen. Sie wünschen sich mehr Klarheit bei der Aufhebung der Preisschranken und finden es fragwürdig, unzuverlässige Hersteller mit höheren Gewinnen zu belohnen.

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