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Warum Tauben besser sind als ihr Ruf
Tauben sind zwar ein fester Bestandteil unserer Innenstädte, zu gern gesehenen Besuchern macht sie das aber lange noch nicht. An Balkonen, Kirchen und Bahnhöfen sollen große Netze die Vögel fernhalten, an Fenstersimsen und Gebäudevorsprüngen sind es lange Stacheln. Im hessischen Limburg an der Lahn sollte den Tauben sogar bis vor kurzem noch per Genickbruch beigekommen werden. Doch verdienen Stadttauben wirklich all den Hass?
Von wegen Ratten der Lüfte
Stadttauben wird zum Beispiel häufig nachgesagt, dass sie zahlreiche gefährliche Krankheiten in sich tragen. Viele Eltern bringen ihren Kindern daher von klein auf bei, die Vögel nicht zu berühren. Doch tatsächlich sind Tauben nicht ansatzweise die unhygienischen Plagegeister, für die sie die Allgemeinheilt hält. In Studien zeigte sich, dass die vermeintlichen „Ratten der Lüfte“ genauso viele beziehungsweise wenige Krankheiten übertragen wie andere Tiere auch.
Natürlich können Tauben krank werden, doch in den allermeisten Fällen springen die Erreger nicht auf den Menschen über. Von rund 40 Tauben-Bakterien, die potenziell auch uns Menschen infizieren können, haben das bisher nur drei Erreger getan, darunter Salmonellen. Doch um sich anzustecken, muss man sich tatsächlich große Mühe geben, wie Eva-Maria Servatius vom Verein „Stadttauben Bochum“ in einem Interview berichtet:
„Ein Tierarzt hat mir dazu gesagt: ‚Man müsste die Taube schon essen, wenn sie bereits drei Wochen in der Sonne lag. Dann könnte sie, wie jedes Geflügel, Salmonellen übertragen. Ansonsten ist das Berühren einer Taube ungefährlicher, als nach einer Türklinke zu greifen. Selbst ein Fünf-Euro-Schein überträgt mehr Krankheitserreger als eine Taube.“
Taubenkot ist nicht so schädlich wie behauptet
Selbst die Ausscheidungen der Tauben sind längst nicht so infektiös wie gemeinhin angenommen. Zumindest für Menschen mit gesundem Immunsystem geht von ihnen unter normalen Umständen kein großes Risiko aus. Nur wenn man beispielsweise einen schon länger von Tauben bewohnten, stark mit Kot verschmutzen Dachboden reinigt, sollte man den aufgewirbelten Staub nicht in großen Mengen einatmen. Denn er kann krankmachende Bakterien und Schimmelpilze enthalten, die in seltenen Fällen schwere Lungenentzündungen verursachen.
Doch der Taubenkot muss uns nicht erst mit gefährlichen Erregern infizieren, um ein Ärgernis darzustellen. Diese Aussage unterschreibt wahrscheinlich jeder, der regelmäßig sein Auto oder andere Flächen von den hartnäckigen Hinterlassenschaften der Vögel reinigen muss. Es gibt aber einen kleinen Trost: Wie eine Untersuchung der Technischen Universität Darmstadt ergeben hat, richten die Hinterlassenschaften von Tauben immerhin bei fast keinem Baumaterial nachhaltige Schäden an. Das betrifft zum Beispiel Sandstein, Granit, Ziegel und Nadelholz. Lediglich bestimmte Bleche können vorzeitig rosten, wenn sie Taubenkot über Wochen hinweg ausgesetzt sind.
Das Leid der Stadttauben
Taubenkot wäre allerdings längst nicht so schwer zu entfernen, wenn die Tiere in der Stadt mehr artgerechtes Futter wie Früchte, Samen und Körner fänden. Denn die dicken weißen Kleckse, die wir als Taubenkot kennen, sind in Wirklichkeit Taubendurchfall und nicht die regulären Ausscheidungen der Vögel. Dieser Durchfall – für die Tiere wahrscheinlich mit starken Magenschmerzen verbunden– entsteht, wenn sie schwer Verdauliches fressen wie Fritten, Brotkrumen oder im schlimmsten Fall sogar Erbrochenes.
Doch selbst von dieser schlechten Nahrung finden die Tauben häufig nicht einmal genug. Die meisten von ihnen sind daher stark unterernährt, was zusammen mit anderen Gefahren der Stadt wie Autokollisionen dafür sorgt, dass Straßentauben oft verfrüht sterben. Im Schnitt erreichen sie nur ein Zehntel ihrer eigentlichen Lebenserwartung, wie die Initiative „RespekTiere Tauben“ informiert.
Was hält die Tauben in der Stadt?
Doch wenn es den Tauben in unseren Städten so schlecht geht, warum fliegen sie nicht einfach davon? Das ist leichter gesagt als getan, denn es widerspricht dem Instinkt der Vögel. Tauben sind extrem ortstreu und würden lieber verhungern als ein paar Kilometer weiter zu ziehen. Deswegen würde es auch nichts bringen, die Tiere einzufangen und in Naturflächen im Umkreis der Städte auszusetzen. Sie kämen immer wieder zurück.
Davon abgesehen suchen Stadttauben sogar häufig gezielt die Nähe zu uns Menschen, denn anders als gemeinhin angenommen handelt es sich bei ihnen nicht um Wildtiere, sondern um die Nachfahren domestizierter Haustiere. Vor 6.000 bis 5.000 Jahren hielten die Menschen im alten Ägypten und Mesopotamien erstmals Felsentauben. Ihr Fleisch und ihre Eier dienten als Nahrung, ihr Kot als Dünger und ihr ausgezeichneter Orientierungssinn half bei der Übermittlung von Nachrichten.
Ausgesetzte und verirrte Tiere wurden dann irgendwann zu den heute bekannten Stadttauben. Genetisch sind diese den einstigen Haustieren aber noch zum Verwechseln ähnlich und dadurch eigentlich immer noch auf menschliche Fürsorge angewiesen.
Taubenschläge als Kompromiss
Es gäbe sogar eine Möglichkeit, diesen Fürsorge-Auftrag mit der Reduktion der Taubenpopulationen in den Städten zu verbinden: „All inclusive“-Taubenschläge. „In diesen betreuten Taubenschlägen werden die Tauben artgerecht versorgt und die Eier durch Attrappen ersetzt, um eine tierfreundliche Regulierung der Populationen zu ermöglichen“, erklärt die Tierschutzorganisation Peta. Die Tauben, denen im Übrigen angezüchtet wurde, mehrmals im Jahr ungeachtet der eigenen Gesundheit und verfügbaren Nahrung zu brüten, würden dann zum Beispiel Gips-Eier bebrüten, aus denen natürlich nie ein Küken schlüpfen wird.
Gleichzeitig werden die Tauben in solchen Anlagen mit artgerechter Nahrung versorgt und sind sicher vor den Gefahren der Stadt. „Zudem verbringen die Tauben die meiste Zeit in den Schlägen, wodurch auch 80 Prozent des Kots dort landen und nicht mehr auf den Straßen“, ergänzt Peta. Allerdings sind solche Taubenschläge im Vergleich zu martialischen Methoden wie dem Töten der Tauben per Genickbruch teuer und daher für Städte selten eine Option.
Doch auch ohne Taubenschläge würden wir den Tieren sicher schon damit etwas Gutes tun, sie nicht mehr hasserfüllt „Ratten der Lüfte“ zu taufen, sondern unseren verwilderten Haustieren ein wenig mehr Nachsicht und Liebe entgegenzubringen.