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Weltfrauentag: Wo hakt es noch bei der Gleichberechtigung
Der Internationale Frauentag soll weltweit auf Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter aufmerksam machen und immer noch bestehende Diskriminierungen anprangern. Diese betreffen viele verschiedene Lebensbereiche, unter anderem die digitale Welt. Deshalb steht der Weltfrauentag bei den Vereinten Nationen im Jahr 2023 unter dem Motto „DigitALL: Innovation and technology for gender equality“ („Innovation und Technologie für die Gleichstellung der Geschlechter“). Doch nach wie vor gehören auch Klassiker wie der Gender Pay Gap zu den angeprangerten Missständen.
Ungleiche Bezahlung: Gender Pay Gap
Frauen und Männern verdienen in Deutschland immer noch sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt bekam im Jahr 2021 ein vollzeitbeschäftigter Mann 18,9 Prozent mehr Gehalt als eine vollzeitbeschäftigte Frau. Das geht aus einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Ein kleiner Trost: Fünf Jahre zuvor lag der sogenannte Gender Pay Gap noch 2,5 Prozentpunkte höher.
Der Hauptgrund für die Gehaltsunterschiede liegt laut IAB in der Berufswahl. Denn nach wie vor sind es Frauen, die deutlich häufiger in schlecht bezahlten Dienstleistungs-, Gesundheits- und Sozialberufen arbeiten als Männer. „Tätigkeiten in diesen Bereichen sind meistens mit einem geringeren Verdienst verbunden als in von Männern häufig ausgeübten Tätigkeiten“, erklärt Anja Rossen vom Regionalen Forschungsnetz des IAB. Außerdem seien Frauen häufiger in kleinen Betrieben tätig, wo sie nicht von den höheren Löhnen der Großbetriebe profitieren können.
Selbst wenn man strukturelle Faktoren wie diese miteinberechnet, klaffen die Löhne immer noch auseinander. Laut IAB lag dieser bereinigte Gender Pay Gap im Jahr 2021 bei 10,8 Prozent in Ostdeutschland und bei 15,3 Prozent in Westdeutschland.
Ungleiche digitale Zukunft: Gender Digital Gap
Nicht so bekannt, aber ebenso wichtig wie der Gender Pay Gap ist der sogenannte Gender Digital Gap. Er besagt, dass weibliche Beschäftigte mit Blick auf die digitale Zukunft im Job gegenüber männlichen Kollegen spürbar im Nachteil sind. Zu dem Ergebnis kommt auch eine Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung. Darin schätzen nur zehn Prozent der Frauen, aber 18 Prozent der Männer ihre Berufschancen auf einem zunehmend digitalisierten Arbeitsmarkt als gut ein. Diese Einschätzung ist wahrscheinlich realistisch, denn die Statistik zeigt auch, dass bislang vor allem frauendominierte Berufe der Digitalisierung und Automatisierung zum Opfer gefallen sind.
Um Frauen in Zukunft fitter für die digitale Arbeitswelt zu machen, empfehlen Experten, Digital-Kompetenzen bereits in der Schule zu vermitteln und dabei stärker als bisher beide Geschlechter gleichermaßen miteinzubeziehen. Das könnte auch bei Schülerinnen das Interesse an Informatik-Studiengängen und -Ausbildungen wecken. Im Berufsleben selbst sollte der Fokus darauf liegen, Frauen besseren Zugang zu Weiterbildungen zu ermöglichen. Bislang erhalten sie seltener und kürzere Weiterbildungen als Männer, was sich auch in geringeren Aufstiegschancen und ausbleibenden Lohnerhöhungen niederschlägt.
Ungleiche Datenlage: Gender Data Gap
Auch fernab vom Arbeitsplatz sind Frauen immer noch in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Das zeigt unter anderem der sogenannte Gender Data Gap, eine geschlechterbezogene Lücke bei wissenschaftlichen Daten. „Frauen werden beim Erfassen von Daten oft vergessen oder ignoriert“, formuliert es etwa die Organisation humanrights.ch. Die Datenlücke kann unterschiedlich schwere Folgen haben. Im besten Fall sind diese lediglich unangenehm für Frauen. Etwa indem die Standardtemperatur in Büros zu kühl für die Durchschnittsfrau eingestellt ist oder indem die Regale im Supermarkt zu hoch gebaut sind.
Im schlimmsten Fall kann die Gender Data Gap allerdings tödlich für Frauen enden. Beispielsweise wenn viele Crashtest-Dummies männliche Körpermaße haben und die Sicherheitsvorrichtungen im Auto sich dementsprechend an männlichen Körpern orientieren. Konkret heißt das: Wenn eine Frau einen Autounfall hat, wird sie im Vergleich zu einem Mann mit 47 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit schwer verletzt. Auch in der Medizin können fehlende weibliche Daten fatale Folgen haben. Da viele Tierversuche nur mit männlichen Tieren durchgeführt werden und der männliche Körper quasi stellvertretend für den menschlichen Körper verwendet wird, gehen weibliche Unterschiede in Hormonen, Geweben und Krankheitsverlauf nicht ausreichend in Wirkstoffe, Dosierungen und Diagnostik ein.
So sind bei Frauen zum Beispiel die typischen Symptome eines Herzinfarktes komplett anders als bei Männern. Statt Brustschmerzen haben sie Bauchschmerzen, sind kurzatmig, ihnen ist übel und sie sind müde. Da die Symptome zwischen den Geschlechtern so unterschiedlich sind, werden Herzinfarkte bei Frauen häufig übersehen oder fehldiagnostiziert. Außerdem erhalten Frauen oft viel zu hohe Medikamentendosen, da ihr Körper viele Wirkstoffe deutlich langsamer abbaut als der männliche.
Fehlende soziale Vorbilder für Männer
Gleichberechtigung ist allerdings keine Einbahnstraße. Zwar müssen die Chancen und Rechte von Frauen verbessert werden, aber ebenso muss es auch Männern möglich sein, ihre Interessen und Leidenschaften fernab des klassischen Männerbildes auszuleben. Obwohl sich männliche Schüler in Deutschland auch für soziale und pädagogische Berufe interessieren, entscheidet sich nur ein Fünftel von ihnen für eine entsprechende Ausbildung oder ein Studium. Das hat eine Befragung der IU Internationalen Hochschule ergeben. Dabei sind es interessanterweise weder die vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen noch die Meinung anderer, die die jungen Männern vom sozialen Karriereweg abhalten.
„Es fehlt vielen jungen Männern an praxisorientierten Einblicken wie zum Beispiel durch Praktika oder Hospitationen. Ein Kernproblem ist der Wegfall des Zivildienstes, der früher junge Männer für soziale und pädagogische Berufe sozialisierte. Heutzutage fehlt vielen Männern diese Kennenlernmöglichkeit“, erklärt Fabian van Essen, Mitinitiator der Studie. Hinzu kommt, dass jungen Männern entsprechende Vorbilder in sozialen Berufen fehlen. Haben sie Bekannte oder Verwandte in diesen Bereichen, sind diese fast immer weiblich.
Bis wir in Deutschland oder sogar auf der ganzen Welt tatsächlich vollständige Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern haben, wird es also noch eine ganze Weile dauern. Bis dahin helfen Anlässe wie der Weltfrauentag dabei, aktuelle Probleme und Missstände für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen.