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Wenn Roboter schneller lernen
Ist von Industrierobotern die Rede, so taucht sofort das Bild von Schweißrobotern in der Automobilindustrie vor dem geistigen Auge auf, die völlig autark im Rohbau arbeiten. Doch das ist die Ausnahme. Viel häufiger arbeiten Mensch und Industrieroboter Hand in Hand. Dann übernimmt der Roboter monotone Tätigkeiten oder hebt schwere Bauteile, während der Mensch die anspruchsvolleren Aufgaben erledigt.
Seit einigen Jahren gibt es eine international gültige Norm, die die direkte Zusammenarbeit von Robotern und Menschen ermöglicht. Demnach darf ein Roboter einen Menschen sogar berühren, weil die Norm festlegt, mit welchen Kräften und Impulsen das geschehen kann, ohne den Menschen zu verletzen. Die Zeiten, in denen zwischen Menschen und Industrierobotern zwingend Absperrgitter oder Lichtschranken waren, sind vorbei. Vielmehr soll der Roboter nun den Menschen und dessen Intentionen verstehen: Wohin bewegt sich eine Person als nächstes? Und wonach greift sie?
Hilfe durch Künstliche Intelligenz
Auch Festo macht sich die neuen technischen Möglichkeiten zunutze. Das Esslinger Unternehmen hat sich auf Fabrik- und Prozessautomatisierung spezialisiert, zum Beispiel auf Lösungen zum Greifen, Bewegen und Positionieren von Teilen oder Baugruppen. „Dabei setzen wir für die Steuerung unserer Roboter zunehmend auf Künstliche Intelligenz“, sagt Jan Seyler, Leiter der Abteilung Advanced Development Analytics and Control.
Mit Unterstützung der Künstlichen Intelligenz (KI) lassen sich Automatisierungslösungen maßgeschneidert an die Anforderungen von Kundenunternehmen anpassen – auch nachträglich, zum Beispiel wenn sich Abläufe verändern. Gleichzeitig sorgen solche Algorithmen dafür, dass das Zusammenspiel zwischen Mensch und Roboter reibungslos funktioniert. Reibungslos heißt: Ein Roboter soll nicht einfach nur in der Bewegung stoppen, wenn ihm eine Person zu nahe kommt. Vielmehr soll er ausweichen und seiner Aufgabe weiter nachgehen.
Der Einsatz von KI bedeutet immer auch, einen Algorithmus trainieren zu müssen. Festo macht das unter anderem mit dem sogenannten Verstärkungslernen. Dabei bekommt der Algorithmus Daten vorgesetzt, aus denen er selbstständig eine Strategie ableiten muss, um seine Aufgabe zu erledigen. Während er seine Strategie entwickelt, bekommt er immer wieder Feedback, ob sie gut oder schlecht ist. Nach und nach passt der Algorithmus dadurch seine Strategie an, um immer mehr positives Feedback zu bekommen. Kinder lernen ähnlich.
Viele Varianten durchspielen
„Um unsere Roboter zu trainieren, nutzen wir Daten aus Simulationen und aus Videoaufnahmen von arbeitenden Robotern“, erklärt Seyler. In den Simulationen lassen sich leicht sehr viele Varianten von Problemen durchspielen, mit denen ein Roboter in einer realen Umgebung konfrontiert sein kann. Aber eine Simulation ist nie perfekt, sondern immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit. Deshalb sind für das Training des Algorithmus auch Videoaufnahmen von echten Robotern wichtig. „Wie das Verhältnis zwischen diesen beiden Kategorien von Trainingsdaten ausfällt, hängt stark vom spezifischen Anwendungsfall ab“, stellt Seyler fest. „Aber ein Verhältnis von 3:1 zwischen Simulations- und Videostreams ist schon realistisch.“
So oder so hat es Festo also mit sehr großen Datenmengen zu tun. Da kommen schnell 70 bis 100 Terabyte zusammen. „Das ist der Grund, warum wir die Kapazitäten des HLRS für das Basistraining unserer Algorithmen nutzen“, so Seyler. Es geht dabei nicht um die schiere Rechenleistung an sich, sondern um die schnelle Bereitstellung und parallele Verarbeitung der Festo-Daten, um möglichst rasch aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen. „Wir haben dazu mit dem HLRS gemeinsam unsere Software auf den größeren Rechner angepasst und einen sicheren Workflow für die Daten etabliert“, sagt Seyler. Es ist nicht das erste gemeinsame Projekt. Festo arbeitet bereits seit ungefähr zweieinhalb Jahren mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart zusammen.
In Summe dauerte das Basistraining zwei Wochen. Der trainierte Algorithmus lässt sich nun relativ rasch an spezifische Anwendungssituationen anpassen, wenn zum Beispiel ein anderes Robotermodell zum Einsatz kommt oder sich andere Objekte in der Umgebung befinden. „Das erforderliche Nachtrainieren dauert dann nur noch drei Tage“, freut sich Seyler. „Das können wir auf unseren eigenen Rechnern machen, oder sogar unsere Kundenunternehmen auf ihren Rechnern.“
Festo setzt den trainierten Roboter derzeit im Innovationsprojekt eines Kundenunternehmens ein. Bei diesem Projekt muss der Roboter an einem realen Industriearbeitsplatz eine schwere Last heben. „Im Verlauf des Jahres werden der Algorithmus und unsere bislang gewonnenen Erkenntnisse auch in unsere weiteren Produkte einfließen“, kündigt Seyler an.
Dieser Artikel ist Teil einer Sonderpublikation in Kooperation mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS). Hier finden Sie das vollständige bild der wissenschaft extra zum Download.