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Wettervorhersage: Die eigenen Haare als Regenradar
Frisuren und Wetter vertragen sich oft nicht. Diese Erfahrung hat jeder schon einmal gemacht, der mit frisch gestylter Frisur das Haus verlassen hat. Ein Sturzregen ruiniert die Pracht natürlich sofort, aber auch Nieselregen und höhere Luftfeuchtigkeit setzen ungewollte Akzente als Kräuseln oder Volumenverlust. Doch wie kommt dieser Effekt zustande? Und inwiefern kann er von Meteorologen genutzt werden?
Feuchtes Haar ist länger
Dass das menschliche Haar auf Feuchtigkeit reagiert, weiß man bereits seit über 200 Jahren. Der Schweizer Physiker Horace-Bénédict de Saussure entdeckte damals schon, dass Haare die Eigenschaft haben, sich bei Feuchtigkeit auszudehnen und bei trockener Luft zusammenzuziehen. Auf Basis dieses Wissens erfand er 1783 das Haarhygrometer und damit das erste Messgerät zur Messung der Luftfeuchtigkeit.
In dem Haarhygrometer ist dabei nicht nur ein einziges menschliches Haar aufgespannt, sondern gleich ein ganzes Bündel. Verändert sich die Luftfeuchtigkeit, wird die sich ändernde Haarlänge über ein Hebelwerk auf einen Zeiger übertragen. Dieser zeigt dann die Luftfeuchte auf einer Skala an oder zeichnet den Feuchtigkeitsverlauf mechanisch auf einer sich drehenden Papierwalze auf. Die Längenänderung der Haare ist dabei beachtlich: „Steigt die relative Feuchte von null auf hundert Prozent an, so werden menschliche Haare um 2,5 Prozent länger“, erklärt Meteorologe Björn Goldhausen.
„Back to the roots“
Diese besondere Messung ist möglich, weil sich die Wassermoleküle aus der Umgebungsluft an die Haarstruktur anlagern, so dass eine Art Quelleffekt entsteht. Der macht sich vor allem in der Länge des Haares bemerkbar und kann gemessen werden. Doch auch auf die Struktur des Haares nimmt die Feuchtigkeit damit einen Einfluss.
Die Haarstruktur setzt sich aus Verknüpfungen zwischen Fasern des Haarproteins Keratin zusammen. Neben den wasserunempfindlichen starken Disulfidbrücken gibt es auch die sogenannten Wasserstoffbrückenbindungen, die so schwach sind, dass bereits Hitze und Feuchtigkeit sie brechen können. Regnet es also draußen, werden diese Bindungen gebrochen, das Haar verliert an Stabilität und kehrt in seine ursprüngliche Form zurück – egal, ob es davor künstlich geglättet, gelockt oder von einer Mütze plattgedrückt wurde.
Wanted: Feines Frauenhaar
Bei der Suche nach dem idealen Haar für das Haarhygrometer stellte sich heraus, dass blondes Frauenhaar deutlich besser geeignet ist als braunes oder schwarzes und auch als Männer- oder Tierhaar. Denn blondes Frauenhaar ist besonders fein, so dass sich der Effekt der aufgenommenen Wassermoleküle stärker bemerkbar macht und das Haar empfindlicher auf Veränderungen in der Luftfeuchtigkeit reagiert.
„Solche Hygrographen findet man häufig in Bibliotheken und Museen, wo eine gleichbleibende Luftfeuchtigkeit wichtig ist und akribisch auf eine konstante Feuchte geachtet wird“, erklärt Goldhausen. „Das Haarhygrometer wird heutzutage aber in der Regel durch moderne elektronische Messgeräte ersetzt“. Für den Eigenbedarf ist es aber trotzdem ganz interessant, mal die eigenen Haare genauer zu betrachten, anstatt einen Blick in die Wetter-App zu werfen.