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Wie Bionik gegen den Klimawandel helfen kann
Warum kann ein Vogel fliegen? Und wie können wir es ihm nachtun? Über diese Fragen hat der Gelehrte Leonardo da Vinci schon vor rund 400 Jahren vermutlich lange gegrübelt, bevor er versuchte, das Prinzip auf eine technische Konstruktion zu übertragen. Indem er den Flugmechanismus der Vögel als Vorbild für seine Experimente nutzte, entwarf er eines der ersten Fluggeräte – dieser Innovationsgeist machte ihn zum vermutlich ersten Bioniker der Welt.
Natur für Naturschutz
Wie damals das Universalgenie nehmen sich auch heute viele Bioniker die Tier- und Pflanzenwelt zum Vorbild: Sie analysieren die Strukturen, Prozesse und Konstruktionen, die die Evolution im Laufe der Zeit entwickelt hat und übertragen sie in die Technik. Die Herangehensweise ist effektiv: Verschiedenste nützliche Alltagsgegenstände sind so entstanden. So zum Beispiel der Klettverschluss – nach dem Prinzip der Klettpflanze.
Doch wenn wir weiterhin unbesorgt die Meere überfischen, Wälder roden und Kohle verbrennen, wird es vermutlich bald keine Natur mehr geben, von der wir uns etwas abschauen könnten. Lebensraumzerstörung und Plastikmüll bedrohen beispielsweise den Kraken – dessen Saugnäpfe als Vorbild für Handtuchalter oder unverrutschbare Seifenschalen dienten – schon heute. Aus diesem Grund hat das Thema Naturschutz auch in der Bionik einen Platz gefunden: Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit sind Fokus vieler Erfindungen.
Hier einige der „umweltfreundlichen“ bionischen Innovationen:
Mikroplastikfressende Meerestiere
Nach einem ausgiebigen Picknick am Strand vergisst man im allgemeinen Übermut gerne mal den einen oder anderen Plastikbecher. „Kein Problem“, denkt man sich vielleicht in dem Moment „Kann ja jemand anders später aufheben“. Aber: Der Becher weht ins Meer, wird von Wind, Wetter und Gezeiten zermahlen und in Mikroplastik transformiert. Die schädlichen Partikel treiben dann über Jahrhunderte in den weiten Gewässern, gelangen in die Körper von Fischen und anderen Meerestieren und letztlich auch in die menschliche Nahrungskette. Die Folgen: Fische sterben an Verletzungen, bei Menschen können die Partikel Zellschäden verursachen und möglicherweise Krebs erregen.
Um einen Weg zu finden, Mikroplastikfasern zu filtern, lohnt sich wieder der Blick ins Meer, auf Lebewesen, die sich von schwimmenden Partikeln ernähren: sogenannte Suspensionsfresser. Dazu gehören Schwämme, Flamingos, Finnwale und die Köcherfliegenlarve. Dieses kleine Insekt filtert Nahrungspartikel mit einem seidenen Netz aus dem Wasser. Solche Netze könnten Mikroplastikfasern im Abwasser bei Waschmaschinen oder direkt im Meer auffangen und sie so aus der Nahrungskette entfernen.
Aalglatte Wüstensandfische
Der gemeine Wüstensandfisch gleitet blitzschnell durch den Wüstensand – fast wie ein Fisch durch das Wasser. Der Grund für seine Geschwindigkeit ist seine spezielle Haut: Die Oberfläche seiner Schuppen besteht aus winzigen Querrillen. Der Abstand von Rille zu Rille ist minimal – 30-mal kleiner als der Durchmesser eines Sandkorns. Die Querrillen funktionieren wie winzige Bürsten, die dafür sorgen, dass Tonmineralien und Sandkörner von den Schuppen abperlen. Dieser Effekt macht die Schuppen glatter als Stahl.
Das lässt sich nutzen, beispielsweise für die das Design der Oberflächen von Solarzellen. Über die Zeit lagern sich dort Staubkörner und Dreck, bilden einen Schmutzfilm auf der Solarzelle und sie produziert weniger Strom. Der Querrillen der Sandfisch-Schuppen können den Dreck zum Abperlen bringen – das ist vor allem in staubigen, sandigen Gebieten wie Solarparks in der Wüste nützlich.
Ähnlich hilfreich gegen Staub und Verschmutzungen ist der Lotuseffekt einiger Pflanzenblätter. Sie haben Nanostrukturen ausgebildet, die Wassertropfen abperlen lassen – und diese Tropfen nehmen dann auch Staub und andere Verunreinigungen auf der Oberfläche mit. Auch dieses Prinzip wird heute schon als Beschichtung eingesetzt.
Hochelastische Seidenfäden
Spinnennetze sind ein Wunder der Natur: Die in harmonischer Form zusammengesponnenen Fäden sind nicht nur unglaublich schön, Spinnenseide ist auch elastischer als Gummi und belastbarer als Stahl. Das Material lässt sich im Labor mittlerweile synthetisch herstellen, man könnte daraus Kleidung herstellen. Der Nachhaltigkeits-Clou: Spinnenseide ist biologisch abbaubar – diese für Kleidungsproduktion zu nutzten, wäre eine Revolution der nachhaltigen Kleidungsindustrie.
Panzer aus Stahl
Wer schon mal versucht hat, eine Schildkröte an ihrem Panzer zu streicheln, hat vielleicht keinen neuen tierischen Freund gefunden – Schildkröten bemerken von dieser zärtlichen Geste natürlich überhaupt nichts – hat dabei aber zumindest eins gelernt: Ihr Panzer ist hart wie Stahl. Das liegt an dessen gewölbter Hexagonalstruktur – die zahlreichen Sechsecke aus Chitin des Panzers stabilisieren sich bei Druck von außen gegenseitig ab.
Dieses Prinzip lässt sich auf Baustrukturen von Hausdächern übertragen: Sogenannte hexagonale Baustrukturen sind bei weniger Materialeinsatz genauso stabil. Das spart Ressourcen. Bei einem aus Holz gebauten Dachstuhl benötigt man beispielsweise über 40 Prozent weniger von dem Baumaterial, wenn man dieses Prinzip berücksichtigt.