wissen.de Artikel

Wie Istanbul vor 570 Jahren islamisch wurde

Istanbul ist heute eine der meistbesuchten Städte der Welt. Über zehn Millionen Touristen genießen jedes Jahr das bunte Basar-Treiben, machen eine Schiffstour auf dem Bosporus oder besuchen die berühmte Moschee Hagia Sophia. Doch so sah es dort nicht immer aus – nachdem die Osmanen vor 570 Jahren, am 29. Mai 1453, die Kontrolle über die Stadt übernommen hatten, änderte sich auch ihr Charakter. Damals trug sie noch den Namen Konstantinopel und wandelte sich binnen eines Tages von einer christlichen zu einer islamischen Kulturmetropole. Doch die Eroberung hatte noch deutlich weitreichendere Konsequenzen.
AMA, 26.05.2023
Blick auf die Altstadt von Istanbul

© AvigatorPhotographer, GettyImages

Konstantinopel hatte seit jeher eine bewegte Geschichte. Gegründet wurde die Stadt am Bosporus im Jahr 658 vor Christus, damals noch unter dem Namen Byzanz. Rund 500 Jahre später war sie Teil des Römischen Reiches. Eine Zerstörung und einen Wiederaufbau später hatte sie sich zu einer bedeutenden und wohlhabenden Metropole entwickelt. Das veranlasste den römischen Kaiser Konstantin im Jahr 330 nach Christus schließlich dazu, sie nach sich selbst zu benennen. Byzanz war fortan Konstantinopel („Konstantins Stadt“) und gleichzeitig die Hauptstadt des Oströmischen beziehungsweise Byzantinischen Reiches.

Blick über das einstige Palastviertel Konstantinopels mit Blauer Moschee und Hagia Sophia
Blick über das einstige Palastviertel Konstantinopels mit Blauer Moschee und Hagia Sophia. Vorne links die Überreste des berühmten Hippodroms von Byzanz mit den beiden Obelisken.

© nantonov, GettyImages

Der Untergang Konstantinopels

Mehr als 1.000 Jahre lang sollte Konstantinopel diesen erhabenen Status beibehalten. Doch dann kam das Jahr 1453 und alles änderte sich mit dem Angriff des Sultans Mehmed II. Der Herrscher des Osmanischen Reiches wollte das zu Ende bringen, was sein Volk bereits seit Jahrhunderten erfolglos versucht hatte: Konstantinopel einnehmen und ins Osmanische Reich eingliedern. Die Stadt war gleich aus zwei Gründen interessant für den Herrscher. Einerseits teilte sie das Osmanische Reich umständlicherweise in eine europäische und in eine asiatische Seite. Andererseits war Konstantinopel aufgrund seiner Lage an einer Meerenge ein mächtiges, reiches Handelszentrum, das der Sultan auch aus wirtschaftlichen Gründen in seine Gewalt bringen wollte.

Um das Ziel ein für alle Mal zu erreichen, hatte Mehmed II. ein 80.000 Mann starkes Heer hinter sich versammelt, das Anfang April 1453 damit begann, die Stadt zu belagern. Die gewaltigen Mauern und zahlreichen Stadttore und Befestigungstürme Konstantinopels konnten den Osmanen und ihren Kanonen zwar eine Zeitlang standhalten, doch in der Nacht des 29. Mai zwang der Sultan die Stadt schließlich mit einem geschickten Doppelangriff in die Knie. Während sein Heer die landseitigen Mauern attackierte, bedrängte seine Schiffsflotte die Stadt gleichzeitig von der Rückseite. Bis zum Morgengrauen war Konstantinopel gefallen und mit ihr das Byzantinische Reich.

Theo
Die zu Beginn es 5. Jahrhunderts unter Kaiser Theodosius errichteten Stadtmauern galten als die mächtigsten und stärksten Befestigungsanlagen Europas.

© rogkoff, GettyImages

Eine neue Ära

Geschichtsschreibern zufolge mordeten Mehmeds Männer daraufhin hemmungslos in der Stadt und auch der byzantinische Kaiser Konstantinos XI. Palaiologos kam bei den Kämpfen ums Leben. Konstantinopel wurde geplündert und zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches erklärt. Die Metropole der christlich-orthodoxen Welt wurde zum Zentrum eines islamisch geprägten Vielvölkerstaates, die einstige Bevölkerung größtenteils vertrieben und ausgetauscht. Klöster und Kirchen wandelten die Eroberer entweder in Moscheen um oder in Trümmerhaufen. Auch die berühmte Hagia Sophia hat ihre Geschichte rund 900 Jahre zuvor als christliches Gotteshaus begonnen, ehe die Osmanen sie zur Moschee machten und mit Minaretten bestückten.

Die neuen Herrscher hatten durch die Eroberung Konstantinopels ihr Reich geeint und bauten ihre Vormacht im Mittelmeerraum daraufhin weiter aus. Doch der Regimewechsel in der umkämpften Stadt hatte noch deutlich weitreichendere Folgen für den Lauf der Geschichte. Einige Historiker sehen in ihm eine Zeitenwende und sogar den Beginn der Renaissance in Europa, den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Denn in der ersten Zeit nach dem Fall Konstantinopels flohen viele Christen, unter ihnen auch zahlreiche Gelehrte, nach Europa. Mit ihnen kam frisches Wissen und damit ein neues Zeitalter.

Blick in den gewaltigen Kuppelsaal der Hagia Sophia
Blick in den gewaltigen Kuppelsaal der Hagia Sophia. Nach der Eroberung wurde die christlich-orthodoxe Kirche als Hauptmoschee der Osmanen adaptiert und hatte großen Einfluss auf die Entfaltung der osmanischen Baukunst.

© Rune_Landale, GettyImages

Wie es mit Konstantinopel weiterging

In Konstantinopel hatte sich die Lage einige Zeit nach der Eroberung wieder beruhigt. Sultan Mehmed II. erlaubte irgendwann sogar allen Christen, weiterhin in den eroberten Gebieten zu leben und ihre Religion auszuüben. Konstantinopel selbst ist seit der Eroberung Mitte des 15. Jahrhunderts in den Händen der Osmanen geblieben. Bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg hatte es auch seine Rolle als Hauptstadt beibehalten. Erst im Jahr 1923, als die heutige Türkei offiziell gegründet wurde, ging dieser Rang auf Ankara über. 1930 erhielt Konstantinopel dann seinen heute geläufigeren Namen Istanbul.