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Wie steuern Reflexe unseren Körper?
Der ein oder andere erinnert sich vielleicht an einen Arztbesuch, bei dem der Arzt oder die Ärztin ihm mit einem kleinen Hämmerchen auf die Stelle unterhalb des Knies geklopft hat, woraufhin sich unwillkürlich sein Unterschenkel hob. Diese Reaktion läuft bei nahezu allen Menschen und bei jedem Versuch gleich ab und ist von uns nicht bewusst gesteuert. Es ist ein sogenannter unbedingter, angeborener Reflex.
Welche Reflexe gibt es?
Diese automatische Kniebewegung ist kein Einzelfall. Unser Körper verfügt sogar über ein ganzes Arsenal an Reflexen. Ähnliches passiert beispielsweise bei einem leichten Schlag auf andere Sehnen an Armen und Beinen, wo der Reiz ebenfalls marionettenartige Streck- oder Beugebewegungen auslöst. Im Alltag werden unsere Reflexe jedoch nicht durch das Hämmerchen des Arztes ausgelöst, sondern durch natürliche Ereignisse.
Zum Beispiel schließen sich unsere Augenlider unwillkürlich, wenn ein Staubkorn oder ein Luftstoß auf das Auge trifft. Wenn wir mit der Hand eine heiße Herdplatte berühren, schnellt sogar der ganze Arm zurück. Auch das Zittern und die Gänsehaut sind angeborene Reflexe unseres Körpers, die auftreten, wenn uns kalt ist. Husten und Würgen treten wiederum auf, wenn uns etwas im Hals oder den Atemwegen reizt, und der Speichelfluss wird durch Nahrung im Mund angeregt. Vielen bekannt ist vermutlich auch der Pupillenreflex, bei dem sich die Pupille je nach Lichteinfall verengt oder weitet.
Was passiert bei einem Reflex im Körper?
Doch wie kommt es in unserem Körper zu solchen Reaktionen? Anatomisch betrachtet kommt ein Reflex immer dort zustande, wo unser Nervensystem über einen speziellen Aufbau verfügt, der das Gehirn als Schaltzentrale umgeht und stattdessen eine Abkürzung über das Rückenmark oder den Hirnstamm nimmt. Daran beteiligt sind jeweils verschiedene Sensor-, Nerven- und Muskelzellen, die zusammen einen sogenannten Reflexbogen bilden, der Ursache und Wirkung verknüpft.
Beim Hämmerchen-Test auf unserem Knie trifft zum Beispiel ein sanfter Schlag die Patellarsehne unterhalb der Kniescheibe, woraufhin die Sehne am benachbarten Muskel zieht. Dort erkennen sensorische Zellen diesen Reiz und melden ihn mittels elektrischer Signale über eine lange Nervenfaser an das Rückenmark. Dort überträgt sich das Signal über eine Synapse automatisch auf einen anderen langen Nerv, der die Anweisung an den Muskel im Oberschenkel sendet, sich zusammenzuziehen. Daraufhin wird das Knie durchgestreckt.
Neben diesem minimalistischen Aufbau eines Reflexbogens gibt es in unserem Körper auch komplexere Reflexe, an deren Informationsverarbeitung mehrere Nervenzellen und Synapsen beteiligt sind. Diese dienen meist dazu, Reaktionen in anderen Körperteilen auszulösen, die weiter entfernt vom eigentlichen Reiz liegen – wie zum Beispiel beim Handrückzieher. Mediziner unterscheiden entsprechend zwischen Eigen- und Fremdreflexen.
Warum testen Ärzte unsere Reflexe?
Im Gegensatz zu erlernten Körperreaktionen sowie unechten Reflexen wie dem Niesen werden echte angeborene Reflexe stets über das Nervensystem vermittelt – ohne die Beteiligung des Gehirns als Befehlsgeber und ohne Botenstoffe wie Hormonen. Wie ausgeprägt die jeweilige Reaktion ausfällt, ist jedoch von Mensch zu Mensch verschieden und kann sich auch zwischen den Reflexen unterscheiden.
Bedenklich ist es dagegen, wenn die Reflexe nicht in beiden Körperhälften gleich stark auftreten. Ärzte testen daher zum Beispiel mit einem Hämmerchen oder einer Taschenlampe, wie stark unsere Reflexe sind. Falls sie ausbleiben, untypisch oder asymmetrisch auftreten, gibt ihnen dies Hinweise auf einen bestehenden Nervenschaden. Ein beschleunigter Blinzelreflex kann beispielsweise auf eine Gehirnerschütterung hinweisen.
Wofür brauchen wir Reflexe?
Einige unserer Reflexe mögen skurril erscheinen, es gibt sie aber nicht ohne biologischen Grund. Im Zuge der Evolution haben sie sich entwickelt, um unseren Körper möglichst schnell vor drohenden oder realen Gefahren zu schützen. Der einfache Aufbau des Reflexbogens und seine automatische Auslösung bewirken dabei eine extrem kurze Reaktionszeit. Der Kniesehnenreflex dauert zum Beispiel nur 30 Millisekunden.
Dieser und ähnliche Reflexe dienen dazu, unsere Körperposition automatisch anzupassen, so dass wir bei einem unerwarteten Stoß oder einem Stolpern nicht umfallen. Zudem weichen wir durch Reflexe Gefahren wie Glasscherben oder heißen Herdplatten aus, indem sich Fuß oder Hand blitzschnell anheben. Angeborene Reflexe schützen unseren Körper darüber hinaus wie eine Art Türsteher vor ungewollten Substanzen oder übermäßigen Reizen.
Der Pupillenreflex hat beispielsweise die Aufgabe, je nach Lichtverhältnis mehr oder weniger Licht ins Auge zu lassen, damit wir besser sehen können. Der Würgereflex schützt uns vor verdorbener Nahrung und somit vor einer Vergiftung. Der Lidschlussreflex verhindert, dass Fremdkörper ins Auge gelangen, und der Hust- und Schluckreflex, dass wir Flüssigkeiten, Nahrung oder andere Fremdkörper über die Luftröhre einatmen und ersticken.
Warum haben Babys mehr Reflexe?
Diese und viele weitere angeborene Bewegungsautomatismen helfen damit insgesamt, uns am Leben zu erhalten. Weil sie unsere Überlebenschancen erhöhen, haben sie sich bis heute erhalten und sind in unserem Erbgut verankert. Am größten ist das natürliche Schutzbedürfnis bei Neugeborenen, weswegen sie noch mehr Reflexe aufweisen als Erwachsene.
Beispielsweise halten sich Säuglinge automatisch mit Händen und Füßen an der Mutter fest oder suchen und saugen unwillkürlich an der Brust. Solche frühkindlichen Reflexe, auch primitive Reflexe genannt, treten jedoch nur in den ersten Lebensmonaten auf. Sie verlieren sich meist im ersten Lebensjahr, sobald sie keinen unmittelbaren Nutzen mehr haben oder der weiteren Entwicklung des Kindes im Wege stehen würden.