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Wie Zucker dem Gehirn schadet

Im Sommer wird Eis genascht, im Winter verspeisen viele mit Vorliebe Kuchen oder Plätzchen – Süßigkeiten schmecken eben zu jeder Jahreszeit. Doch wer zu viel Zucker zu sich nimmt, wird nicht nur dick, er schädigt auf Dauer auch manche seiner Gehirnfunktionen. Weshalb können wir unsere Finger trotzdem nicht von dem Zuckerzeug lassen? Und welche Folgen hat das für die Hirngesundheit?
THE, 15.07.2024
Vergrößerungsglas, das eine Donut im Gehirn zeigt

© canbedone, iStock

Morgens steht beim Frühstück die Nutella auf dem Tisch, die Kantine bietet das Mittagsspecial „Pfannkuchen mit Zimt und Zucker“ an, nachmittags wollen Freunde ein Eis essen gehen und zum Kinofilm gehört Popcorn einfach dazu. Im Alltag kann es fast unmöglich sein, leckeren Naschereien und Zuckerzeug aus dem Weg zu gehen. Und selbst, wenn gesunde Alternativen existieren, sind die Zimtschnecke beim Bäcker oder der Schokoriegel im Supermarkt immer nur eine Entscheidung entfernt.

Hoher Zuckerkonsum macht krank

Vermutlich ist diese universelle Zuckerpräsenz auch der Grund, weshalb die Menschen in fast allen Ländern viel mehr von der süßen Substanz zu sich nehmen als empfohlen. 2021 waren laut Statista die Brasilianer die Spitzenreiter. Fast 130 Gramm nahmen sie täglich zu sich – das entspricht knapp 45 Stück Würfelzucker. Doch auch die Deutschen naschen gerne und verspeisten circa 90 Gramm am Tag. Von Gesundheitsexperten empfohlen ist offiziell etwa die Hälfte.

Der Grund: Ein  übermäßiger Zuckerkonsum steht in engem Zusammenhang mit einer Vielzahl gesundheitlicher Probleme. So trägt das kalorienhaltige Süßungsmittel maßgeblich zur Entstehung von Übergewicht und Fettleibigkeit bei. Außerdem schüttet der Körper jedes Mal, wenn wir Zucker essen, Insulin aus, um ihn in die Zellen zu befördern. Wenn wir zu viele Süßigkeiten essen, schießt auch der Insulinspiegel im Blut ständig in die Höhe. Irgendwann kann der Körper dadurch die Insulinproduktion nicht mehr richtig regulieren. Die Folge: Typ-2-Diabetes, die Organe und Gewebe schwer schädigen und die unbehandelt im Extremfall sogar zum vorzeitigen Tod führen kann.

Folgen für die Hirngesundheit

Doch nicht nur der Körper leidet unter zu viel Zucker: Eine übermäßig süße Ernährung schadet auch unserem Gehirn. „Bei einer dauerhaften Erhöhung des Blutzuckerspiegels durch das ständige Naschen und „Snacken“ nebenbei befeuern wir die Entstehung von neurologischen Krankheiten, allen voran auch von Demenz und Schlaganfällen“, erklärt Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung.

Und dies ist kein Randproblem. „Allein 40 Prozent aller Demenzfälle und 90 Prozent aller Schlaganfälle sind vermeidbar und viele von ihnen gehen auf das Konto von Industriezucker“, erklärt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Das Risiko für Schlaganfälle steigt dabei aus mehreren Gründen. Einer davon: Eine durch einen erhöhten Blutzuckerspiegel ausgelöste Diabetes Typ 2 erhöht auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle.

Wie Zucker dem Gehirn schadet

Die Ursachen für den negativen Effekt von Zucker auf das Gehirn sind vielseitig. Zum einen schädigen hohe Blutzuckerspiegel die Hirngefäße und führen zu Ablagerungen an den Gefäßwänden, die die Gefäße verengen und die Blutzufuhr und damit die Versorgung der Gehirnzellen mit Nährstoffen drosseln. Das kann eine sogenannte vaskuläre Demenz nach sich ziehen – eine Demenz-Form, die mit kognitiven Beeinträchtigungen wie Gedächtnisverlust oder Sprachstörungen einhergeht.

Zum anderen zeigen Studien, dass ein ständiger Zuckerkonsum die kognitiven Funktionen auc firekt beeinträchtigt. Zwar steigert sich die geistige Leistungsfähigkeit nach dem süßen Snack für kurze Zeit, weil unser Gehirn mehr Energie bekommt. Doch auf Dauer stören die komplexen Zuckermoleküle im Gehirn die Fähigkeit der Synapsen, neue Verbindungen zu knüpfen und so Informationen im Gehirn zu speichern. Das beeinträchtigt langfristig auch die Gehirnfunktion und das Gedächtnis der Naschkatzen.

Warum Zuckerverzicht so schwerfällt

Doch warum können wir trotz all dieser negativen Konsequenzen nicht die Finger von Schokoriegeln, Eis und Gummibärchen lassen? Um diese Frage zu beantworten, haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung einer Gruppe von Testpersonen über acht Wochen lang zusätzlich zu ihrem normalen Ernährungsplan pro Tag einen kleinen zuckerreichen Pudding verabreicht. Die andere Gruppe erhielt dagegen einen zuckerfreien, eiweißhaltigen Pudding.

Nach den acht Wochen war in der Gruppe, die den zuckerhaltigen Pudding aßen, die Gehirnreaktion auf süße Lebensmittel stark erhöht. „Durch diese Veränderungen im Gehirn werden wir unbewusst immer die Lebensmittel bevorzugen, die viel Fett und Zucker enthalten“, erklärt der Forscher Marc Tittgemeyer. Außerdem stößt das Gehirn beim Naschen das Hormon Dopamin aus, welches für Motivation und Belohnung zuständig ist. Auch das führt dazu, dass man immer mehr vom süßen Stoff haben möchte. Anders ausgedrückt: Zucker macht süchtig.

Zuckerentzug und andere Tricks

Doch wie lässt sich diese Sucht wieder bekämpfen? Viele Experten empfehlen den radikalen Entzug. „Es ist sinnvoll, durch weitgehenden Verzicht auf Zucker diesem Teufelskreis zu entgehen“, erklärt Berlit. Wer mutig ist, traut sich den kalten Entzug und verzichtet von einem Tag auf den anderen auf zuckerhaltige Leckereien, Softdrinks und Co. Die Risiken und Nebenwirkungen dieser Herangehensweise sind allerdings ein starker Zuckerjieper und wahrscheinlich ziemlich schlechte Laune. Alternativ kann man seinen Zuckerkonsum aber auch Schritt für Schritt herunterfahren.

Tipps zum erfolgreichen Zuckerentzug gibt es wie Sand am Meer. Der entscheidende erste Schritt ist es dabei aber, versteckten Zucker in den Lebensmitteln zu identifizieren. Denn auch vermeintlich gesunde Gerichte sind teilweise voll davon. Weißkraut enthält beispielsweise fast fünf Würfelzucker auf 100 Gramm. Um dies zu umgehen, lässt sich beispielsweise die Nährwerttabelle im Supermarkt studieren. Außerdem soll es helfen, im Falle heftiger Cravings einen weniger süßen Ersatzsnack zu etablieren. „Geröstete Ofenmandeln oder Obst helfen mir dabei. Zu denen greife ich, falls ich doch Lust auf Süßes kriege“, berichtet Sabine Schütze gegenüber dem SWR.

Wer den Kampf gegen den inneren Schweinehund mehrere Wochen lang gewinnt, wird merken, dass das Zuckerbedürfnis mit der Zeit sinkt. Einige Leute berichten sogar, dass ihnen stark gesüßtes Essen nach einiger Zeit gar nicht mehr geschmeckt hat. Und wenn das Schlimmste überstanden ist, kann man sich ab und zu auch wieder Kuchen oder Schokolade gönnen. „Natürlich ist es so, dass hier die Dosis das Gift macht, denn das Gehirn als Höchstleistungsorgan des Körpers benötigt Glukose, um zu funktionieren“, findet auch Erbguth.

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