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Zwei Stunden für Ruhm und Reichtum
Spätestens seit der quasi permanenten Ablenkung durch Social Media ist die Prokrastination zu einer Art Volkssport geworden. Aktivitäten wie Wäsche waschen oder Hausaufgaben schreiben werden gerne mal ein links liegen gelassen und später erledigt. Wer allerdings vorhat, eine Jahrhunderterfindung beim Patentamt anzumelden, sollte das besser sofort erledigen.
Schon früh an der Stimme interessiert
Das ist zumindest eine Moral, die man aus der Geschichte von Alexander Graham Bell ziehen kann. Doch beginnen wir von vorn. Bell kam 1847 in Schottland zur Welt, wurde dort Lehrer für Sprechtechnik und studierte später in London die Physiologie der menschlichen Stimme. Mit 23 Jahren wanderte er mit seinen Eltern wegen des besseren Klimas nach Nordamerika aus.
Dort tüftelte Bell an einer Maschine, die er bereits in Schottland kennengelernt hatte. Es handelte sich dabei um den Vorgänger des Telefons: ein Gerät, mit dem Töne mittels Elektrizität in die Ferne übertragen werden konnten – jedoch keine Stimmen. Erfunden vom deutschen Physiker Philipp Reis, diente es Bell als Vorbild für die Idee, ein ähnliches Gerät auch für die Übertragung von Sprache zu nutzen.
Stimme zu Strom, Strom zu Stimme
Das Grundprinzip war damals schon sehr ähnlich zu unseren heutigen Telefonen und bestand aus drei Schritten. Zuerst wurde der Schall der Stimme von einer Membran aufgefangen und in ein elektrisches Signal umgewandelt. Im Gegensatz zu Reis‘ Erfindung baute Bell dabei aber nicht darauf, den Strom systematisch zu unterbrechen, sondern eine durchgängige Übertragung zu modulieren. Das veränderte Signal wurde dann im zweiten Schritt an den Empfänger gesendet, wo es schließlich wieder in Schall umgewandelt und so hörbar gemacht wurde.
Am 14. Februar 1876 schickte Bell seinen Anwalt mit der neuen Erfindung schließlich zum Patentamt. Im Gepäck hatte dieser einen eher sporadisch ausgefüllten Antrag. Zwar beschrieb Bell darin grob die Funktionsweise seines Fernsprechapparates, einen funktionierenden Prototyp kann er allerdings nicht vorlegen. Zu seinem Glück ist diese Voraussetzung für einen Patentantrag aber wenige Jahre vorher abgeschafft worden.
Pechvogel Elisha Gray
Glück hatte Bell auch beim Zeitpunkt seines Antrags. Nur zwei Stunden später wäre der Traum vom Telefon für ihn vorbei gewesen, denn dann traf der Erfinder Elisha Gray mit den Skizzen seines Fernsprechers im Patentamt ein. Der Hauptunterschied zu Bells Telefon: Es funktionierte. Im Gegensatz zu Bells eher oberflächlicher Beschreibung konnte Gray zu diesem Zeitpunkt schon ins technisch kleinste Detail gehen – was ihm letztlich aber nicht weiterhalf.
Trotz mehrerer hundert Klagen und dem wohl größten Patentstreit der Geschichte erhielt Bell das Patent und durfte als einziger weiter am Telefon forschen. Kurze Zeit später konnte er auch ein funktionierendes Gerät vorweisen. Der erste, erfolgreich übertragene Satz soll sich an Bells Assistenten gerichtet haben: „Watson, kommen Sie hierher, ich brauche Sie.“
Obwohl Bell endlich erfolgreich war, sah er sich kurze Zeit später wieder vor Gericht. Gray warf ihm vor, in seinem Telefon eine Technik zu verwenden, die er sich bei Grays Patent abgeschaut hatte. Doch Grays Klage blieb erfolglos.
Die größte Telefongesellschaft der Welt
Das endlich funktionierende Telefon vertrieb Bell schließlich über die von ihm gegründete Bell Telephone Company, die durch die Monopolstellung schnell zu ansehnlicher Größe heranwuchs. Ihr Nachfolger ist noch heute die größte Telefongesellschaft der Welt: die American Telephone and Telegraph Company, kurz AT&T. Wie sich der weltweite Telefonmarkt entwickelt hätte, wenn Grays Wecker zwei Stunden früher geklingelt hätte, bleibt also nur unserer Phantasie überlassen.