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Mikroorganismen: Klein, aber erfolgreich
Brauchen wir Bakterien?
Ja, bestimmte Arten sind nicht nur natürliche Begleiter des Menschen, manche sind sogar unerlässlich für unser Wohlergehen. Beispielsweise wird die menschliche Haut von einer Lebensgemeinschaft von Mikroorganismen besiedelt, die in der Fachwelt unter dem Namen Hautflora bekannt ist. Sie besteht vorwiegend aus sog. grampositiven Bakterien, vor allem aus Staphylococcen und Coryne-Bakterien.
Beeinflusst wird die Hautflora u. a. vom Wetter, denn Lufttemperatur und Feuchtigkeit wirken sich auf das Wachstum der Mikroorganismen aus. Auch das Alter spielt eine Rolle: So haben Kinder eine andere Hautflora als Erwachsene; sie ist artenreicher und enthält häufig auch pathogene gramnegative Bakterien. Und selbstverständlich ist die Hautflora auch abhängig von der Körperpflege. Übertriebene Hygiene kann jedoch schaden, da sie die normalen Hautbewohner beseitigt, den natürlichen pH-Wert der Haut verändert und somit erst Platz schafft für krank machende Keime. Übrigens: Es gibt natürlich auch weniger hilfreiche Hautbewohner. Die Art Propionibacterium acnes, ein normalerweise harmloses Bakterium aus der Gruppe der Coryne-Bakterien, ist in bestimmten Lebensaltern an der Entstehung von Akne beteiligt.
Auch der Dickdarm, in dem der Nahrungsbrei eingedickt wird, birgt eine reiche Bakterienflora. Er bietet ein weitgehend sauerstofffreies, leicht alkalisches Milieu, in dem die Gattungen Bacteroides und Enterococcus überwiegen; Colibakterien (z. B. Escherichia coli) brauchen den gesamten vorhandenen Sauerstoff auf. Regelmäßig wird ein großer Teil der Darmbakterien mit dem Stuhl ausgeschieden, dies wird allerdings durch die natürliche Vermehrung der Darmbewohner wieder wettgemacht.
Darmbakterien ernähren sich z. T. von Nahrungsbestandteilen und sind auch direkt am Stoffwechsel des Darms beteiligt. Sie wandeln etwa die Gallensäuren des Körpers um und erzeugen Substanzen, die den typischen Geruch von Kot ausmachen. Sie sind es auch, die Darmgase produzieren: Methan, Kohlendioxid und Wasserstoff. Ein gesunder Mensch setzt pro Tag mehrere 100 ml Gase frei; dabei besteht ein Großteil jedoch aus (geruchlosem) Stickstoff, der aus verschluckter Luft stammt. Natürlich beeinflusst die Ernährung die Zusammensetzung der Darmflora: Bei einer stark fleischhaltigen Ernährungsweise überwiegen Bacteroides-Arten, durch pflanzliche Nahrungsmittel dagegen werden die Milchsäurebakterien (Lactobazillen) gefördert.
Wie helfen Bakterien im Haushalt?
Auf vielfältige Weise. Eine Reihe von beliebten Nahrungsmitteln entsteht mithilfe von Bakterien und bekannte Konservierungsverfahren wie sauer Einlegen wären ohne sie nicht möglich. Die meiste Verwendung finden wohl die Milchsäurebakterien, sie spielen sowohl bei der Herstellung von Joghurt und Käse als auch bei der Konservierung von Sauerkraut oder Salami die entscheidende Rolle.
Die Gruppe der Milchsäurebakterien umfasst Bakterien mit sehr unterschiedlichen Formen: lange oder kurze Stäbchen und auch rundliche Kokken. Sie alle gewinnen Stoffwechselenergie durch den Abbau von Kohlenhydraten, der stets anaerob – also ohne Beteiligung von Sauerstoff – vor sich geht. Als Endprodukt entsteht Milchsäure. Der gesamte Vorgang wird Milchsäuregärung oder Milchsäurefermentation genannt. Die Gärungsprozesse verlaufen zwar anaerob, doch viele Milchsäurebakterien können auch in Gegenwart von Luftsauerstoff gedeihen, was sie vielfältig einsetzbar macht.
Übrigens: Milchsäurebakterien sind »Krüppel«, was ihren Stoffwechsel betrifft: Viele Substanzen, die sie brauchen, können sie nicht selbst herstellen. Sie benötigen eine Umgebung, die ihnen ausreichende Mengen an Nährstoffen und Vitaminen zur Verfügung stellt. Deshalb kommen sie praktisch nie in Boden oder Wasser vor, sondern bevorzugen luxuriöser ausgestattete Lebensräume: Milch und Milch verarbeitende Organe, Darm und Schleimhäute von Säugetieren oder pflanzliche Materialien. Sagen ihnen die Bedingungen zu, vermehren sie sich schnell und verdrängen leicht andere Bakterien.
Brachten Pflanzen den Sauerstoff in die Luft?
Anders als oft dargestellt, sind die Pflanzen nicht die Ersten gewesen, die durch ihre Fotosynthese so viel Sauerstoff freigesetzt haben, dass die zunächst sauerstofffreie Uratmosphäre der Erde ihre heutige Zusammensetzung erhielt. Bereits vor 3,5 Milliarden Jahren und damit lange vor den Pflanzen »erfanden« Cyanobakterien diese Ernährungsweise und führten zu einem tiefgreifenden Wandel in den Lebensbedingungen auf unserem Planeten. Organismen, die keinen Sauerstoff vertragen, wurden in Nischen gedrängt wie vulkanische Quellen, Sümpfe oder das Verdauungssystem höherer Tiere. So konnten Sauerstoffatmer entstehen – Wesen wie wir Menschen, die den Luftsauerstoff veratmen, ohne sich der Pioniertat der Cyanobakterien bewusst zu sein!
Wie lang war ein Tag vor 1,5 Mrd. Jahren und woher wissen wir das?
In der Urzeit der Erde drehte sich die Erde schneller als heute, vor 1,5 Milliarden Jahren etwa war ein Tag nur 15 Stunden lang. Dies wissen wir von versteinerten Cyanobakterienkolonien, sog. Stromatolithen. Diese zeigen charakteristische Farbschichten, die mit dem Wechsel von Tag und Nacht zusammenhängen. Dadurch kann durch einfaches Abzählen (natürlich unter dem Mikroskop) die Zahl der Tage pro Jahr bestimmt werden. Insgesamt besitzen Stromatolithen, die vor mehr als 2,5 Milliarden Jahren entstanden, eine schwächere Färbung, während die jüngeren einen deutlichen »Rotstich« aufweisen. Dieser rührt von eisenhaltigen Mineralien her, die sich bildeten, als der Sauerstoffgehalt in der Luft einen gewissen Schwellenwert überschritt. So lässt sich mithilfe der Stromatolithen sogar der ungefähre Zeitpunkt angeben, an dem die Atmosphäre ihre heutige Zusammensetzung erhielt.
Welche Extreme können Lebewesen aushalten?
Viele Mikroorganismen ertragen so ungewöhnliche Umweltbedingungen, dass sie praktisch allen Vorstellungen von Leben, die uns gemeinhin geläufig sind, zu widersprechen scheinen. Diese Organismen, die meist zu den sog. Archaea zählen, fühlen sich z. B. erst bei Temperaturen um 80 °C wohl – und das ist längst nicht die Obergrenze! Andere wiederum brauchen die Eiseskälte der Antarktis, um zu gedeihen. Wieder andere suchen sich als Lebensraum extrem salzige Gewässer aus. Und manche verblüffen durch ihre ungewöhnlichen Stoffwechselfähigkeiten. Insgesamt markieren Archaea die Grenzen dessen, was Lebewesen aushalten können.
Diese Extremisten unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von allen anderen Lebensformen – den Bakterien ebenso wie den Tieren und Pflanzen. Deshalb werden Archaea neben Bakterien und Eukaryoten in einem eigenen Reich zusammengefasst. Von ihnen gibt es etwa 80 verschiedene Arten. Sie besitzen wie Bakterien keinen Zellkern, und auch ihre Größe und Form ist der von Bakterien ähnlich. Aber ihre Zellmembran besteht nicht aus einer Doppelschicht von Fettsäuremolekülen, sondern aus einer Einzelschicht von sog. Isopren-Molekülen. Diese Membran sowie spezifische Frost- und Hitzeschutzproteine machen sie besonders widerstandsfähig. Ihr Stoffwechsel erinnert in mancher Hinsicht an den von Pflanzen, denn auch Archaea bauen aus Kohlendioxid organische Verbindungen auf.
Archaea sind Relikte aus einer grauen Vorzeit, Überbleibsel der ältesten Organismen, die bis zum heutigen Tag in Nischen überlebt haben, in denen ähnliche Bedingungen wie auf der frühen Erde herrschen. Sie könnten den Schlüssel zum Verständnis dafür liefern, wie das Leben auf der Erde entstanden ist.
Gibt es Mikroorganismen, die keine Lebewesen sind?
Ja. Viren erfülle ein entscheidendes Kriterium für das Leben nicht: Sie können sich nicht aus eigener Kraft vermehren, ja nicht einmal selbst Moleküle zusammensetzen.
Ein Virus ist im Prinzip nichts anderes als ein Stück Erbsubstanz mit einer Hülle darum, die zum einen das Erbmolekül schützt und es ihm zum anderen ermöglicht, die Gene in eine Zelle einzuschleusen. Ist dies gelungen, so beginnt es, die »Programmierung« der Zelle dahingehend zu ändern, dass künftig anstelle von zelleigenen Stoffen die Bestandteile eines Virus anhand des eingeschleusten Bauplans produziert werden.
Die von der Zelle vermehrten Virusgene und die Hüllenproteine des Virus lagern sich zu neuen kompletten Viren zusammen, die ihre Wirtszelle verlassen und neue Zellen befallen können. In der Regel findet die Wirtszelle dabei den Tod. Es gibt aber auch Viren, die ihren Wirt überleben lassen, so dass dieser beständig weitere Viren produziert. Dieser Mechanismus liegt allen von Viren verursachten Krebserkrankungen zugrunde.
Was macht Grippeviren so gefährlich?
Zwei fatale Eigenschaften: Zum einen verteilt sich ihr Erbgut auf mehrere Teilstücke, die darüber hinaus einer ständigen Variabilität unterliegen, weil zufällige Erbgutveränderungen nicht durch Reparaturenzyme korrigiert werden. Zum anderen befällt das menschliche Influenzavirus Typ A auch z. B. Schweine oder Vögel. Wo Mensch und Tier eng zusammenleben, treten manchmal Mischinfektionen von Schweinen mit geflügel- und menschentypischen Influenzaviren auf, da Schweine für beide Virentypen empfänglich sind. Bei der Vermehrung können Teilstücke des vogeltypischen mit denen des menschentypischen Virus kombiniert werden. Dabei entstehen oftmals Erreger, die bei der Infektion von Menschen besonders aggressive Grippeformen hervorrufen, da sie auf gänzlich unvorbereitete Wirtsorganismen treffen.
Wer hat Bakterien als Krankheitserreger erkannt?
Der deutsche Wissenschaftler Robert Koch (1843–1910). Er fand bei Experimenten mit an Milzbrand erkrankten Tieren heraus, dass im Blut aller befallenen Tiere bestimmte Bakterien vorkamen. Er konnte diese dann sogar außerhalb der Tiere kultivieren und mit diesen Kulturen weitere Exemplare infizieren.
Sind Antibiotika gefährlich für den Darm?
Antibiotika können die Darmflora schädigen, denn vor allem Breitbandpräparate wirken nicht nur gegen die Krankheitserreger, sondern gegen alle Bakterien. Stirbt die Darmflora ab, macht sie oft Platz für Staphylococcus und Candida-Hefen. Diese ungebetenen Gäste können die Verdauung erheblich beeinträchtigen. Bald nach dem Absetzen des Antibiotikums regeneriert sich die normale Darmflora jedoch wieder.
Wussten Sie, dass …
Darmbakterien bis zu einem Drittel des Gewichts der menschlichen Exkremente ausmachen?
es in der Biologie »das Virus« heißt, während Computerprogrammierer »der Virus« sagen?
Bakterien zusammen mit den Pilzen eine unerlässliche Rolle im Kreislauf der Natur spielen, indem sie abgestorbene Substanzen zersetzen und damit gewissermaßen recyclen?
bei der Spanischen Grippe 1918–1920 mehr Menschen starben als im Ersten Weltkrieg?
Windpocken und Gürtelrose vom selben Erreger verursacht werden?
es essbare Cyanobakterien gibt? Die fälschlich als »Alge« bezeichnete Cyanobakteriengattung Spirulina hat einen sehr hohen Eiweißgehalt und soll unbestätigten Berichten zufolge sogar Heilwirkungen haben.
es auch einzellige Pilze gibt? Bekanntestes Beispiel sind die Hefen, ohne die wir weder Bier noch Brötchen, Christstollen oder andere Backwaren hätten.
sog. höhere Organismen vom Standpunkt der Evolution aus gesehen nicht erfolgreicher, sondern bloß komplizierter als die Mikroben sind?
Gibt es Medikamente gegen Viren?
Ja, aber leider immer noch zu wenige. Gute Erfolge brachten Substanzen, deren Strukturen den Bausteinen der DNA gleichen und Enzyme hemmen, die das virale Erbgut ablesen bzw. synthetisieren. AIDS-Patienten werden heute mit einem solchen Stoff, dem Zidovudin (früher AZT, Azidothymidin), behandelt. Ähnlich funktioniert auch Aciclovir, das bei Herpesinfektionen angewendet wird.
Kosmologie im Härtetest
Bringen junge helle Galaxien das Standardmodell vom Universum in Erklärungsnot? von RÜDIGER VAAS Wir erahnen die Unermesslichkeit unserer Unwissenheit, wenn wir die Unermesslichkeit des Sternenhimmels betrachten“, sagte der Philosoph Karl Popper 1960 in einem Vortrag in London. Das James Webb Space Telescope (JWST) späht seit...
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Die Frage nach der Wahrheit ist ein Klassiker der Wissenschaftsphilosophie, und gerade in dieser Zeit besonders wichtig. von TOBIAS HÜRTER Es gibt eine merkwürdige Stelle in der Bibel, die man leicht überliest. Als Jesus im Amtssitz des römischen Statthalters Pontius Pilatus verhört wird und beteuert, er sei gekommen, um „für die...